Yaneqdoten – Neger, Fitschis und der AfD

15.08.2014
Foto:Illustration by KLUB7 & Lina Augustin / © hhv.de mag
Yaneq erzählt von Idiomen, und ihrer falschen Benutzung, darüber, dass das Wort »Jude« wieder als Schimpfwort und das Wort »Fitschi« als »normale« Bezeichnung für asiatische Mitbürger herhalten muss. Und wieso davon die AfD profitiert.

»Gegenüber ist ein Fitschi«, sagte die Arzthelferin in einer Friedrichshainer Praxis neulich, als sie nach einem Blumenladen in der Nähe gefragt wurde, ohne sich was dabei zu denken. Ganz normal für sie.
Und auch ein Künstlerfreund erzählte mir, dass seine Verwandtschaft im Oderbruch seine Frau Fitschi nennt, weil sie eine Mutter hat, die aus Thailand stammt und einen Vater aus Neukölln. Die Verwandtschaft des Künstlers arbeitet als Lehrer und Beamte.
»Die meinen das aber nicht rassistisch. Für die ist das ein normales Wort.«
»Wie fühlt sich deine Frau dabei«, fragte ich.
Da lächelte er vielsagend und verzog das Gesicht. Die Blicke der Bevölkerung in Bad Freienwalde empfinde seine Frau auch anders als er selbst, sagte mein Künstlerfreund.

Ich hab ja keine Ahnung vom Fußball, aber vor ein paar Jahren hatte ich eine leidenschaftliche Diskussion mit einem Dortmunder, der 1988 aus Dresden »rübergemacht« hatte. Marco pflegte seine Leidenschaft für Dynamo über zwanzig Jahre treu weiter. Ich hatte gehört, dass die Fans von Dynamo »Juden Jena!« skandiert hatten und fragte ihn, was das denn für Penner seien.
»Für die ist das ein ganz normales Wort«, wollte er abwiegeln. »Die verstehen gar nicht, dass das antisemitisch ist.«
»Das macht die Sache ja nicht besser. Eher im Gegenteil«, erwiderte ich.

Überhaupt Sachsen. Bei der letzten Europawahl hatten die Europa-Kritiker von der AfD genau dort ihre größten Erfolge. Wie geht das denn? Sich in den letzten 25 Jahren jede Schule, Straße, Bahnhof, Brücke oder Unternehmensgründung von der EU mitfinanzieren lassen und dann gegen Europa stänkern, wenn man mal mit den anderen solidarisch sein soll. Wie moralisch kaputt kann man denn sein, bitte? Habe die denn keinen Funken Ehre mehr im Leib?
Oder Thüringen. Da machen wir mit den Freunden vom Kunsthaus Erfurt eine Party Arty und als ich zum Klo gehe, höre ich einen Typen dozieren: »Das schlimmste überhaupt sind Neger-Zivis.« Den Zusammenhang hatte ich nicht mitgekriegt, trotzdem ließ ich ihn wissen, dass er ein beschissenes Vokabular führt.
»Wieso denn? Was ist denn daran falsch«, freute sich der kleine Thüri-Sarrazin, »ich könnte ja auch stark pigmentierte Zivis sagen, wenn dir das besser gefällt.«
Ich ging dann weiter. Keine Lust vernagelten Provokateuren die Freude zu machen, auf ihren Bullshit auch noch einzusteigen.

Wie geht das denn? Sich in den letzten 25 Jahren jede Schule, Straße, Bahnhof, Brücke oder Unternehmensgründung von der EU mitfinanzieren lassen und dann gegen Europa stänkern, wenn man mal mit den anderen solidarisch sein soll. «

Nicht dass ich falsch verstanden werde und jetzt irgendwer zwischen Elbe und Oder Kieferstarre vom Reflexbellen kriegt: »Immer auf die Ossis!« Quatsch, meine Freunde vom Kunsthaus Erfurt ticken zum Beispiel auch nicht so. (Oder die Illustratoren der Yaneqdoten.)
Die mussten sich mit Nazis schlagen, als die mal bei einer Vernissage vorbeischauten. Die Polizei der Landeshauptstadt lancierte zwar wie gewöhnlich eine Pressemitteilung, das seien keine Nazis gewesen, musste aber wieder zurückrudern. Es war kurz nach dem Auffliegen des NSU und selbst die Thüringer Polizei kam mit den dreistesten Lügen und Verharmlosungen, mit denen sie sonst seit jeher routiniert operierte, nicht mehr durch.
Speaking of Auffliegen des NSU. Kurz danach brachte der MDR doch glatt ein Schlagerlied in dem ein fröhlicher, junger Fritz über die Qualitäten der Thüringer Klöße sang. »Nicht Döner, nicht Spaghetti, nein, Thüringer Klöße müssen’s sein!« Na, Prost Mahlzeit, da zahlt man doch gerne GEZ.

Was sagt man Menschen die tatsächlich die Paradoxie stemmen, das neutrale Idiom »Jude« als Schimpfwort zu benutzen, das beleidigende Rassistenwort »Fitschi« dabei aber ganz normal finden. Und wo kommt diese Lust bei diesen Menschen her, das Wort »Neger« auf der kessen Lippe zu führen? So, als hätten sie sich gerade etwas ganz verbotenes getraut. Hui.
Einem Malerfreund, sonst ein ganz okayer Typ, der das auch immer tat und auch gerne »Kanacke« sagte und dann immer voll kindlichem Stolz grinste, sagte ich mal genervt: »Die Leute, die du Kanacke nennst, wohnten doch zum größten Teil schon in der Bundesrepublik, als du noch in der NVA gedient hast.« Da war er dann beleidigt.
»Deine scheiß Bundesrepublik kannst du dir in den Arsch schieben!« Aber immer schön Stütze von der BRD beziehen, damit man in Mitte das bohème Leben genießen kann. Auch nicht in sich stimmig.

Ich weiß nicht, wo diese trotzige Wut herkommt, die doch nur Zeichen eigener Unmündigkeit ist. Vermutlich aus einem Minderwertigkeitskomplex. Man hörte ja im Osten in den Neunzigern oft den Satz, »Man ist ja hier ja nur Bürger zweiter Klasse und wird hier schon schlechter als die Ausländer behandelt.« Das klingt doch sehr beleidigt oder?!
Ich vermute beleidigt, ob der Enttäuschung, dass der vermeintlich große Bruder im Westen, von dem man sich doch familiäre Wärme und blühende Landschaften erwartet hatte, als ignoranter Materialist entpuppt hatte, dem der Osten so ziemlich schnurzpiepe war. Hätte man bloß mal dem »Schwarzen Kanal« geglaubt, statt der schwarzen Birne.
Im Westen nichts Neues: Nutella, Mercedes, Reihenhaus und Grundgesetz. Und Dank des Ostens noch mal acht Jahre Kohl für alle. Und im Osten? Das Gefühl verschmäht worden zu sein. Die Wessis mögen die Türken lieber als uns. Buhu.
Jaja, ich male hier schwarz/weiß oder Ost/West, schon klar. Aber es ist doch frappierend, dass in Regionen und Bundesländern, wo keine drei Prozent der Bevölkerung auch nur ein kleines bisschen Migrationshintergrund haben, die höchste Ausländerfeindlichkeit der gesamten Republik herrscht.

Ich bin vor ein paar Monaten mit dem Auto stundenlang durch Brandenburg gefahren. Ganze Straßendörfer, wo an wirklich jedem Laternenpfahl NPD-Plakate hingen. An jedem! Kein CDU. Ab und zu mal SPD oder Linke. Und alle Drecksplakate unbeschädigt. Fein säuberlich, als wäre gleich Dorffest.
»Mehr Geld für Oma – statt für Sinti und Roma« und »Maria statt Scharia« beweisen zwar dass die Werbetexter der Nazis sich nicht unbedingt auf die Dichter- und Denker-Tradition ihres geliebten Heimatlandes beziehen, sind in Brandenburg in ihrer Perfidität aber trotzdem absolute Normalität.
Nur auf Facebook sah ich auf dem »Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell!«-Plakat den sinnvollen Edding-Kommentar: »Was ihr Idioten bloß nicht wisst, dass Ali’s (sic) Heimat Deutschland ist.«

In diesem Sinne, Genossen. Keinen Raum den Spinnern.


Jan Kage aka Yaneq veranstaltet regelmäßig die Reihe »Party Arty« Er hat auch eine schicke Galerie eine Radiosendung auf Flux.FM und eine ungepflegte Webseite. Nicht zu vergessen, der neue “Übershop für Kunst im Netz”:www.arty-shop.de.