Kuhzart kümmert’s – Musikjournalismus braucht Urlaub

23.08.2013
Foto:Ruke
Wie sagte Slug von Atmosphere so schön: »Not giving a fuck is so played out mainstream.« Das findet auch unser Autor. Er nimmt sich alles zu Herzen – Kuhzart kümmert‘s. Heute: Warum Musikjournalismus öfter Pause machen sollte.

Ich bin zurück aus dem Urlaub und hieve meine Kolumne aus dem Sommerloch. Die wenigsten wird es interessieren, aber es führt mich zum Thema der heutigen Kolumne: Der Urlaub hat mir gut getan. Neben der Tatsache, dass ich mich durch den gewonnen Teint hübsch fühle, und das Salzwasser den Schorf an meinem Hinterkopf geheilt hat, war vor allem eines eine Wohltat: Ich war so richtig offline. Ich habe keine Ahnung, wer in den vergangenen Wochen Musik veröffentlicht hat, habe keinen neuen Song gehört, kein neues Video gesehen und habe seit meiner Rückkehr die Alben gehört, die ich vor dem Urlaub gehört habe. Für die Alben und mich war das beziehungsfestigend, da sonst meine Beziehung zu Alben meist nicht über das Veröffentlichen einer Review hinausreicht. Ich will, muss, darf, ja immer gleich die nächsten hören.

Im Online-Musikjournalismus manifestiert sich die Schnelllebigkeit unserer Zeit spürbar. Der Job fühlt sich manchmal an, als würde man an der Autobahn sitzen und müsste jede einzelne Karre vom Cinquecento bis zum Porsche sofort beschreiben und es der Welt mitteilen. Nachdem ich mal zwei Wochen nicht an der Autobahn saß, finde ich, dass man allgemein mit dem An-Der-Autobahn-Gesitze aufhören sollte. Ich fordere erstmal nur: Musikjournalismus braucht Siestas, Musikjournalismus braucht Wochenende, Musikjournalismus braucht Urlaub. Dass Musikportale online immer auf Sendung sind, tut niemandem gut: Die Mitarbeiter können ihre Konzentration nicht lange genug auf eine Sache richten, die Qualität der Texte lässt nach, die Leser sind überfordert und am Ende des Tages profitieren auch die Musiker nicht davon.

Man kann jetzt entgegnen »Aber Musiker machen auch kein Wochenende, der Output macht keinen Urlaub, wie könnt ihr dem gerecht werden?!«. Können wir nicht. So oder so. Denn selbst wenn wir ohne Pause versuchen, der Veröffentlichungsflut ein Becken zu bieten, hecheln wir am Ende doch hinterher. Alles zu überschauen geht ohnehin nicht mehr und doch versuchen einige Musikportale soviel wie möglich abzudecken und dabei so aktuell wie möglich zu sein.

CITI:»Aktualität bedeutet im Online-Musikjournalismus heute leider Relevanz, aber kaum ein Leser kann dieser Aktualität folgen, er hat schließlich auch anderes zu tun.«:### Dieser Aktualitätszwang hat aber zur Folge, dass die Halbwertszeit von Songs, Videos und Alben kürzer sind, als die Zeiten zwischen einem neuen Gucci-Mane-Release im Jahre 2013. Musikjournalismus im Internet beinhaltet auch und vieler Orts vor allem das Posten von neuen Songs und Videos – das ist nichts anderes als Bloggen, weswegen ich in der Folge von Bloggen reden werde. Filterloses Dauerbloggen trägt zwar dazu bei, dass auch kleinere Künstler eine Chance bekommen, führt aber auch dazu, dass wirklich kunstfertige Werke nur »angehyped« und dann wieder fallen gelassen werden. Mit der hektischen Bloggerei füttert man außerdem die Lieblingsidee unserer Generation, dass jeder ein Künstler sein kann. Ableton Live, vielleicht ein Keyboard und ein Soundcloud-Account reichen oft schon, um als »Musiker« auf einem Musikportal vorgestellt zu werden.

Der Filter fehlt. Der Leser selbst muss der Filter sein; oder darf. Je nachdem wie man es sieht. Die Chance ist, dass so jeder für sich selbst entscheiden kann, was er gut findet. Die Gefahr ist, dass die meisten das gar nicht wollen oder können (man denkt es kaum, wenn man aus einem entsprechenden Umfeld kommt, aber: Nicht jeder ist daueronline auf Musikblogs). Letztendlich hört am Ende des Tages jeder doch das, was jeder hört. Man kann sagen: Also setzt sich Qualität sowieso durch. Schwierig. Mann muss aber sagen: Wir bloggen in ein Fass ohne Boden. Aktualität ist im Online-Musikjournalismus schleichend gleichgesetzt worden mit Relevanz, aber kaum ein Leser kann oder will dieser Aktualität folgen, er hat schließlich auch anderes zu tun.

CITI: »Dieser Aktualitätswahn ist nichts als die nicht-verheilte und eklig eiternde Wunde der Anfangszeit des MP3-Formats.«:### Warum sind Musikportale überhaupt so besessen davon, aktuell zu sein? Dieser Aktualitätswahn ist nichts als die nicht-verheilte und eklig eiternde Wunde der Anfangszeit des MP3-Formats. Musik wurde damals so leicht zugänglich und in kleinen Häppchen angeboten wie nie zuvor und jeder wollte als Erster einen Geheimtipp finden und herunterladen und den allerneusten coolen Scheiss haben. Darüber konnte man sich damals definieren. »Boahr, xy kennt krass viel Musik.« Die Musikportale bedienten und bedienen das, sie wollten und wollen die Fundgrube für solchen Typen sein. Obwohl heute keiner mehr xy dafür bewundert. Jeder kennt »krass viel Musik«. Es ist keine Kunst mehr viel zu kennen und es schnell kennengelernt zu haben.

Das Geblogge bedient also ein Relikt aus Tagen, in denen die Konsummentalität von Musik eine andere war. Und sie war eine andere! Warum sonst kaufen wieder viel mehr Menschen Schallplatten? Weil sie (die Schallplatten jetzt) bleiben, weil sie Substanz haben und weil sie nicht von 60 im Laufe des Tages heruntergeladenen MP3s selbst in der Wiedergabeliste »Zuletzt Hinzugefügt« untergehen. Online-Musikjournalismus Schrägstrich Musikbloggen wollte immer schnell sein, aber hat inzwischen vergessen warum.

Anstatt, dass 1.000 Musikportale (ich halte die Anzahl der Nullen aus Gründen der Lesbarkeit hier absichtlich unrealistisch klein) täglich zwanzig neue Posts verfassen und auf 1.000 Musikportalen überall die zehn gleichen Künstler präsentiert werden, könnte jedes Portal jeden Tag nur einen richtigen Artikel über einen Künstler verfassen, auf den das jeweilige Portal so richtig was hält. Und den Künstler kann das Portal dann begleiten. Das ist jetzt natürlich unter ökonomischen Gesichtspunkten schwachsinnig für die Portale, aber die Richtung ist mir wichtig: So würde es weiterhin ein Forum für Cinquecento-Musiker und Porsche-Musiker geben, aber die Substanz wäre eine andere.

Online-Musikjournalismus sollte sich wieder öfter eine Pause gönnen. Mal ein Schritt zurücktreten, um so andere, alternative Sichtweisen auf Themen einnehmen zu können. Denn darum geht es ja bei Journalismus, der mit Kultur zu tun hat. So könnte sich der Online-Musikjournalismus wieder klar vom Musik-Bloggen unterscheiden und der Hypetrak-isierung der Musikberichterstattung im Internet einen Gegenpol bieten.
Ich für meinen Teil werde wieder öfter offline sein, woraufhin ich mit dem Kopf frei von Schorf und unzähligen neuen MP3s und Videos, wieder mehr Sinn für die wirklichen Themen habe. Wie zum Beispiel Twerken. Aber darüber habe ich schon an anderer Stelle berichtet.