Review Rock

Culk

Zerstreuen über euch

Siluh • 2020

»Wir geben, wir vergeben / Wir machen, wir vermachen«, begrüßen CULK die Hörer*innen ihrer zweiten LP und damit ist der (zer-)denkerische Ansatz von Sängerin und Band-Mastermind Sophie Löw schon ausformuliert: Lyrisch wie musikalisch zielt die Wiener Band auf Bedeutungsverschiebungen ab, indem sie additiven Hochleistunssport betreibt wie fleißige Grundschulkids. »Zerstreuen über euch«, dieser zuerst so merkwürdige Titel, ist Teil und Ausdruck der disseminatorischen Methode. Es wird ge-, ver- und letztlich zerstreut, jede Menge Bedeutung mal als Stream of Consciousness angelegt (»Nacht«, der innere Monolog einer einsam wandelnden Frau, die verfolgt wird) oder als diskursive Verhandlung (»Dichterin« über die Machtmechanismen des Sprachgebrauchs) vorgerechnet. Es ist kurzum der richtige Ansatz, um die Komplexität heutiger gender troubles auszubreiten, zu analysieren und nicht einfach nur auf Plattitüden zu reduzieren. Die produktive Zerdenkung des schwer Sagbaren schreibt sich zwischen Post-Punk-Understatement und orchestralem Po(m)p auch in der Musik weiter, die zwischen stoischen Grooves und pathetischen Crescendi immer wieder Klischees aufrufen und sie manchmal für sich stehen lässt. Hier wird den alten Tropen anders als auf sprachlicher Ebene nichts hinzugefügt und somit das Rad nicht neu erfunden, sondern vielmehr angekurbelt, um damit die Inhalte in Fahrt zu bringen. Und weil obendrein noch jeder Ton und Snare-Schlag sitzen und jedes Effektpedal an den richtigen Stellen angetriggert wird, klingt das auch schlicht mitreißend. Wer sich darunter nicht zerstreuen lässt, ist selber schuld.