Aigners Inventur – August 2016

30.08.2016
Zurück aus der Sommerpause setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Any given month, dieses Mal derer zwei und mit Platten von Vince Staples,Gonjasufi und Der Coup.
Während sich der Default-Millenial den Sommer mit »Pokemon Go« und Dosenbier um die Ohren geschlagen hat, scheint sich unter Journalisten ein anderer Trendsport etabliert zu haben: Beginner verprügeln. Das ist einfach, oft auch lustig (Testsieger/Denyo/Altersheim/Mads Traumavisage), aber irgendwie auch ein bisschen zu traurig als Aufhänger für eine virile Inventur-Rückkehr. Deswegen lieber Frank Ocean zu Beginn. Wobei auch doof, hatten wir ja schon besprochen

Dann eben Vince Staples, der klügste und witzigste 22-jährige Rapper seit überhaupt. »Prima Donna« heißt dessen neue 7-Track-EP und Vince Staples bleibt dort, egal ob nun James Blake oder No I.D. an den Reglern sitzt, der lyrisch interessanteste Rapper des Hier und Jetzt. Weil er Kendrick Richard Pryor, Larry David und Earl gleichermaßen verstanden hat. Und weil er dabei mit so einer unvergleichlichen Mischung aus Lakonie und Nachdruck rappt, dass selbst zwei musikalisch eher durchschnittliche Tracks nicht weiter ins Gewicht fallen.

Ka
Honor Killed The Samurai
Iron Works • 2016 • ab 30.99€
Natürlich auch sensationell, weil nur um sich selbst kreisend: die neue Platte von Ka, der in seinem Hauptberuf gerade eine widerliche Schmierkampagne ertragen muss, weil Rap anscheinend für besorgte Bürger immer noch eine größere Schweinerei ist als KKK-Co-Signs für Präsidentschaftskandidaten. Zurück zur Musik: Loop-Minimalismus und eine Delivery, gegen die selbst Roc Marciano wirkt wie Danny Brown Wir lieben dich hier, Ka.

Atmosphere
Fishing Blues
Rhymesayers • 2016 • ab 16.99€
Gegen Atmosphere zu sticheln war schon immer schwierig. Klar, der frühe über-emotionalisierte Slug, den konnte man als Kazaa-Thug noch für sein Werther-Tum belächeln, aber spätestens seit Anfang der Nullerjahre hat sich das Rhymesayers-Aushängeschild völlig skandalfrei durch eine solide Rapkarriere manövriert und Ant stets handwerklich solide Musik dazu produziert. Weil Rap aber keine Versicherungskaufmannslehre ist, langweilt mich »Fishing Blues« beinahe zu Tode, aber vielleicht sollten all die treuen Fans von Oddissee der letzten Jahre den beiden nochmal eine Chance geben.

ScHoolboy Q
Blank Face
TDE • 2016 • ab 17.24€
Zur Review
So, weiter vom Werther zu Mephisto. Schoolboy Q war noch nie darum verlegen über trockene Westküsten-Stomper seine Dämonen mit uns zu teilen, wie schonungslos »Blank Face« aber mit Qs Versäumnissen als Vater, Rapper und Liebhaber umgeht, ist schon bemerkenswert. Nicht nur weil Qs Zeilen so trocken und vollkommen selbstmitleidsfrei zwischen den üblichen Representer-Wahnsinn geklinkt sind, sondern auch weil selbst ein vermeintlicher Clubtrack nicht davor gefeit ist, von Qs bitterbösen Beobachtungen konterkariert zu werden. Hits gibt es zwar kaum mehr, dafür aber die Gewissheit, dass da eine künstlerische Identität endlich vollständig realisiert wurde.

Ey überhaupt: wer behauptet Rap hätte gerade keine Typen mehr, der checkt’s einfach nicht. Young Thug heißt jetzt Jeffery, sieht auf seinem neuen Mixtape-Cover laut Twitter aus wie eine Mischung aus Sub Zero und einer Waschanlage und brennt nebenher in einem Interview auch noch die letzte Bastion verunsicherter Hypermaskulinität nieder. Applaus für diese Kunstfigur, auch wenn die »Slime Season«-Tapes die bessere Musik beinhalteten.

Rae Sremmurd
SremmLife 2 Deluxe Edition
Interscope • 2016 • ab 18.99€
Auch eine schöne Geschichte: wie langsam auch Deutschland sein Default-Misstrauen für Rae Sremmurd ablegt und einsieht, dass die beiden Mike-Will-Schützlinge nicht viel wollen, außer ein bisschen Abriss und Weltflucht. Weil sich hier aber Rap, Singsang und Bassbassbass besser ergänzen als bei 90% der verkrampften Neosizzurp-Hansel, ist »Sremmlife 2« ein würdiger Eintrag im Kopf zu / Gläser Hoch – Lexikon.

DJ Khaled
Major Key
RCA • 2016 • ab 4.99€
DEEEEJAAAAAAY KHALED äh DJ Khaled ist 2016 im Meme-Game deiner Eltern angekommen, irgendwo zwischen Grumpy Cat, Hey Girl, U Mad und Gene Wilder (R.I.P. an dieser Stelle). Das ist an sich schon ein Lifetime Achievement. Dass Khaled überhaupt noch Musik macht/machen lässt, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Kiosk-Besitzer, der im Lotto gewonnen hat, aber trotzdem noch 14-Stunden-Schichten im Späti schiebt (Shoutout GZSZ). »Major Key« ist also another one, another Speisekarte aus der Prä-Deliveroo-Ära. Bei DJ Khaled gibt es Schnitzel mit Pommes (Jadakiss, Busta Rhymes), Pizza Margarita (Chris Brown), Hummus (Drake), Rinderfilet (Nas), Magnum Mandel (Nicki Minaj), die 67 Süß/Sauer (J. Cole), Mac ’n‘ Cheese (Gucci Mane) und Toast Hawai (Fat Joe). Kann alles ganz lecker sein, aber mit dem Gewissen, dass das hier von ein und dem selben Koch in einem ungespülten Topf zusammengerührt wurde, ist halt auch immer ein bisschen ekelhaft.

Coup (Haftbefehl & Xatar)
Der Holland Job
Four Music • 2016 • ab 10.19€
Dass Deutschrap in seinen Promo-Bemühen mittlerweile bei Vince MacMahon und Jerry Bruckheimer abschreibt, klingt ein wenig amüsant und ein noch größeres wenig ridikulös. Beim gemeinsamen Album von Haftbefehl und Xatar als Der Coup sind wir bei der Vermengung von Fiktion und Realität für meinen Geschmack eindeutig fünf Schritte zu nah auf Guido Knopp zugesteuert. Wie soll man überhaupt noch versuchen die Musik aufzunehmen, wenn es alle vier Stunden irgendwelche diffusen Fluchtversuche abzuarbeiten gibt? Zu alt für den Scheiß, die Herren. Ah ja, Musik: Brenk stiehlt auf »Kanacks« der von mir ebenfalls sehr geschätzten Die Achse die Show und Hafti ist ein viel besserer Rapper, wenn er bedrohlich flüsternd in Zeitlupe doziert, anstatt angestachelt zu brüllen. Leider gibt es auf diesem Album wesentlich mehr von letzterem zu hören.

Clams Casino
32 Levels
Sony • 2016 • ab 36.99€
Vergebene Chancen auch bei Clams Casino. Nicht dass es »32 Levels« an Clamsie Trademarks fehlen würden, gerade die Zusammenarbeit mit Lil B und Rocky ist eine freudige Überraschung, aber Clams‘ erstes tatsächlich als Album konzipiertes Album verdeutlicht auch die Spätfolgen davon, wenn man mit seinen ersten Beats quasi eine ganze Sub-Kultur definiert hat und seither nicht mehr ganz weiß, wie man Magie ohne Enya-Samples kreiert. Halbherzige Versuche jetzt ›richtige‹ Musik zu machen (mit Sängerin und alles) können jedenfalls nicht die Lösung sein. Schade, aber für zwei, drei magische Momente für zugeschwollene Augen hat es trotzdem noch gereicht.

Gonjasufi
Callus
Warp • 2016 • ab 24.99€
Kurzer Dämonennachtrag: wenn Schoolboy Q eine letztendlich doch angenehme Binge-Session »Stranger Things« war, dann macht euch bei »Callus« auf einen Lars von Trier-Marathon gefasst. Gonjasufi erspart dem Hörer nichts, von brüchig vorgetragenem, assoziativem Fieberwahn über verstimmten Gitarrenwänden bis zur psychotischen Dekonstruktion des Low-End-Theory-Sounds zu verzweifeltem Nuscheln, hier wird Tabula Rasa gemacht. Eine egoistische, eine starke Platte.

Überhaupt Stranger Things: ich fühle mich momentan im Freundeskreis ähnlich marginalisiert wie damals, als meine Eltern viel zu lange mit der Verkabelung warteten und ich um Tele 5 gucken zu können immer diesen einen Grundschulfreund besuchen musste, der in drei Jahren dreieinhalb Worte sagte (»Optimus Prime ist cool«), aber als einziger den ganzen Tag Kabelfernsehen gucken durfte. Da ich außer des Trailers und ungefähr 5.832.323 Screenshots noch nichts gesehen habe vom Hype des Sommers (vielleicht auch aufgrund eines über die Jahre gewachsenen tiefen Hasses für Jump Scares ), ist auch die Wirkungskraft des – ihr wisst es eh – sehr guten Soundtracks noch nicht final abzuschätzen. Aber auch ohne gesichtslose Monster und grobkörnige Teenievisagen geht da schon viel.

Roosevelt
Roosevelt Black Vinyl Edition
City Slang • 2016 • ab 25.99€
Warum es in Köln momentan so viele junge Männer gibt, die keine Angst vor der großem 80er-Pop-Käse haben, mag daran liegen, dass die meisten auch als recht geschmackssichere House DJs arbeiten. Unter all den Vimeses und Coma sticht Roosevelt dennoch hervor, weil er vielleicht der ungenierteste von allen ist. Auf seinem selbstbetitelten Album wird derart harmoniegeständert, dass einem endlich mal wieder einfällt wie schön »Magnetic City« eigentlich war. Klar läuft das auch immer akut Gefahr von der Caipi-Crowd vereinnahmt zu werden, aber der Mut zum genuinen Popstartum ist in Deutschland bisher sowieso noch viel zu selten wirklich ausgeprägt.

Bin ich eigentlich der einzige Vollpfosten, der nicht gewusst hat, dass Delroy Edwards, dieser verkiffte Lulatsch mit dem Low-Fi-Boner der verdammte Sohn von friggin Ron Perlman ist? Das hat alles nichts mit »Hangin At The Beach« zu tun, einer wunderbar unfertigen Skizzensammlung, die mal wieder so DIY-mäßig rüberkommt wie eine handgeklebte Punk 7inch, aber irgendwie amüsiert mich die Vorstellung so sehr, dass Delroy bei Papa am Tisch sitzt und Nicolas Winding Refn im Anschluss durch sein neues Kellerstudio führt.

Portable
Alan Abrahams
!K7 • 2016 • ab 12.15€
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So unpoliert Delroy Edwards seine offenen Hi-Hats mitten im Raum stehen lässt, so peinlich genau räumt Portable seinen melancholischen Post-Minimal-House auf. »Alan Abrams« wäre vor sechs Jahren vielleicht noch eine kleine Sensation gewesen, heute mäandert Portable mit seiner kruden Vocalschmachterei und den streberhaft sauberen Arrangements langsam gen Beliebigkeit.

Factory Floor
25 25
DFA • 2016 • ab 22.09€
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Latent angepisst wirken Factory Floor auf »25/25«. Die für DFA typische Affirmation, dass nach all dem Acid-Fiepsen und nach jeder gemeinen Bassdrum auch wieder Zeit für Umarmungen sein muss, wird hier fast komplett ignoriert, stattdessen gibt es ungehobelten, aber trotzdem sehr perfektionistisch produzierten Peaktime-Bums.

Kornel Kovacs
The Bells
Studio Barnhus • 2016 • ab 18.99€
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Studio Barnhus arbeiten derweil weiter daran die erste Adresse für leicht schrulligen House zu bleiben, der zu korrekt für die Avantgarde, aber auch zu unvorhersehbar für Innervisions, Kompakt und Konsorten bleibt. Ein fairer Kompromiss, der schon in einer überdurschnittlichen Anzahl gelungener Alben kulminiert ist und auch bei Kornel Kovacs‘ »The Bells« funktioniert. Ein Album, das Tempo- und Strukturfaschismus den Mittelfinger zeigt und dabei genüsslich an einer Kugel Pistazieneis leckt.

Mickey Pearce
Michael
Swamp 81 • 2016 • ab 9.99€
Oida wow, eine kontemplative LP auf Swamp 81? Mickey Pearce sollte ursprünglich nur eine Loop-Compilation vorlegen, aber weil sich der Produktionsprozess verselbstständigte wurde aus »Michael« ein perkussiv fesselndes, facettenreiches Album, dessen Cover sich außerdem auch prima über eurem neuen Kakteen-Topf machen wird. 7,8 für die Musik, 9,5 für Instagramability.

Die neue Convextion könnte an der Wand zu sehr nach Kinderzimmer 1989 aussehen, aber Social Media Wettwichserei ist Convextion ohnehin fremd. Stattdessen greift »2845« das alte Detroiter Futurismus-Diktat für Techno wieder auf und weil Convextion so ein ausgebuffter Routinier ist, kommt hier schon nach 90 Sekunden mehr Blade Runner zustande, als bei einem ganzen Kurzfilmfestival an einer Provinz-Uni.

Vakula
Cyclicality Between Procyon And Gomeisa
Dekmantel • 2016 • ab 28.99€
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Zur neuen Vakula hat Kristoffer Cornils schon alles weggeflext. Lesen

Michal Turtle
Phantoms Of Dreamland
Music From Memory • 2016 • ab 22.99€
Zum Schluss noch Music From Memory, diesem tollen Label dieser tollen Holländer, die nur tolle Sachen machen. Nach der letztjährigen, (natürlich) überragenden Michal Turtle Single haben die Amsterdamer Super-Nerds noch mehr unveröffentlichtes Material von Turtle zusammengetragen, primär aus den frühen Achtzigern und wie immer bei diesen Jungs: essentiell und ein Verbrechen, dass das ohne den Idealismus einer handvoll Überzeugungstäter niemals veröffentlicht worden wäre. Siehe auch: Suso Saiz, Gigi Masin und und und.

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