Label Watch: Important Records

11.03.2021
Ob Pauline Oliveros, Éliane Radigue, Alina Kalancea oder Caterina Barbieri: Seit 20 Jahren ist Important Records wie ein gut bestückter Plattenladen für aufregende Sounds – die beste Anlaufstelle für Musik, die intensiv gehört werden muss.

Ende der 1990er Jahre ist John Brien Jr. gerade dabei, sein Lehramtsstudium zu abzuschließen, als ihn ein Plattenladen in Portsmouth im US-amerikanischen Bundesstaat New Hampshire als Einkäufer für die Indie-Sektion anheuert. »Qualifiziert war ich dafür nicht und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich sonderlich gut darin war«, sagt er heute. »Als ich aber den Job im Jahr 2001 aufgab, bestellte ich weiterhin bei denselben Vertrieben und verkaufte die Platten über eBay und die erste Website von Important Records.«) Das ist der Name seines Mailorders, aus dem schnell ein Label werden soll. Die erste Katalognummer ist eine 7inch der Outsider-Folk-Legende Daniel Johnston, dem Brien einen Brief geschrieben hatte. »Ich fiel aus allen Wolken, als eines Tages das Telefon klingelte und sein Vater dran war«, sagt er. »Ein Traum wurde wahr.«

Schon die zweite Katalognummer aber steht in starkem Kontrast zu Johnstons eingängigen, wenngleich schrulligen Folk-Rock-Stücken: »Amlux« ist ein Album der japanischen Harsh-Noise-Legende Merzbow Ein verwirrender Auftakt, wie auch Brien zugibt. Aber eben auch Teil des (Nicht-)Konzepts der frühen Important-Tage: »Anfangs war mein Ansatz, das Label wie einen guten Plattenladen zu betreiben – mit interessanten, einzigartigen Veröffentlichungen in jeder Sektion. Ich war gegen Branding, gegen Werbemaßnahmen, ich wollte keine Marke sein. Sondern Musik veröffentlichen und ein Label führen, die sich nicht kategorisieren lassen.« So stehen dann auch der Goth-Pop der Dresden Dolls neben dem Psych-Rock von Acid Mothers Temple & The Melting Paraiso UFO und Releases von Andrew McKenzies Projekt Hafler Trio Das Artwork sowie Design übernimmt Brien selbst und die auf Vinyl, CD sowie Kassette, manchmal aber auch seltenen Formaten veröffentlichten Releases werden jeweils den Ansprüchen der darauf enthaltenen Musik angepasst oder auch mal, wie im Falle des Tape-Sublabels Cassauna, als Möglichkeit wahrgenommen, ohne großes finanzielles Risiko ausgefallenen Sounds Platz einzuräumen.

Die stehen bei Important Records indes ohne Frage im Zentrum. Über die Jahre hinweg gab Brien aber die Anschlussfähigkeit seines Imprints an den Pop- und Rock-Bereich merklich auf. Er verweist auf seine eigenen Hörgewohnheiten, die ihn bei der Kuration des Labels leiten. Ein Indikator, wie diese sich im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte konkretisiert haben, liefert sein eigener Output als ELEH: Seit dem Jahr 2006 veröffentlicht Brien unter diesem Namen in hoher Frequenz Alben, die mit minimalistischen Mitteln die Möglichkeiten analoger Synthesizer ausprobieren. Drones, Klangmaterialität, Intensität, Langsamkeit: Das sind nicht allein die Eckpunkte seines eigenen Sounds, sondern auch in jeweils verschiedenen Kombinationen die der Künstler*innen auf Important Records. Viele von denen sind im Laufe von zwei Jahrzehnten zu Konstanten im Backkatalog geworden. Merzbow zum Beispiel veröffentlichte noch mehrere Alben auf Important Records, darunter einen gewaltigen Albumzyklus über in Japan ansässige Vogelarten.

» Ich war gegen Branding, gegen Werbemaßnahmen, ich wollte keine Marke sein. Sondern Musik veröffentlichen und ein Label führen, die sich nicht kategorisieren lassen.«

John Brien Jr.

Zwei der wichtigsten Künstler*innen im Kader des Labels allerdings sind nicht mehr am Leben. Die radikale Komponistin, Akkordeonistin und »Deep Listening«-Theoretikerin Pauline Oliveros etwa begann im Jahr 2006 im Zuge einer Neuveröffentlichung ihres Albums »Accordion & Voice« mit Brien zusammenzuarbeiten und ließ dem bis zu ihrem Tod zehn Jahre später noch einige weitere folgen. »Es fällt mir immer noch schwer, zu glauben, dass sie nicht mehr unter uns weilt und ihr Geist doch über den Dingen schwebt«, sagt Brien über die langjährige Weggefährtin. »Ich lese ihre Bücher wieder und wieder, denke an all ihre Ratschläge zurück und habe erst letzte Woche jedes einzelne Interview geschaut, das ich von ihr auftreiben konnte.« Dass er sich in Abstimmung mit ihrem Anwesen um ihren musikalischen Nachlass kümmern darf, empfindet er dementsprechend als große Ehre.

Auch dem bereits Ende der siebziger Jahre verstorbenen Klangskulpturenbauer Harry Bertoia werden auf Important Records umfassende Neuauflagen oder gar Erstveröffentlichungen aus dem Archiv des visionären Komponisten gewidmet. »Harrys künstlerischer Ansatz und seine Philosophie überschneiden sich mit meinen eigenen, insbesondere was Sound angeht. Ich glaube, wir hören auf eine ähnliche Art. Wie Pauline ist er ein deep listener«, so der Labelbetreiber, der über die Aufarbeitung der Werke von Oliveros oder Bertoia aber die zeitgenössische Musik nicht aus den Ohren verlieren wird. »Auch wenn ich es nicht bewusst mache, gefällt mir der Gedanke, das Alte und das Neue in Balance zu halten.« Sich in den Archiven zu vergraben, ist aber weiterhin seine größte Freude. Doch gibt es viele Überschneidungen und Kontinuitäten zwischen dem, wofür die jüngere Generation von Important-Records-Artists wie Caterina Barbieri Jessica Ekomane oder Alina Kalancea einstehen, und den künstlerischen und technischen Ansätzen zwischen Größen der Neuen Musik und Sound Art wie Éliane Radigue.

Davon zeugt auch der Veröffentlichungsplan von Brien für das Jahr 2021, in welchem neben Reissues von unter anderem Oliveros, Acid Mothers Temple with the Silver Apples, Tod Dockstader, Wanderwelle, Saint Abdullah, Éliane Radigue und ELEH auch Tape-Releases von Rose Bolton, Jeff Burch, Pauline Oliveros, Rama Parwata und Brian Thumler sowie eine umfassende Compilation zum 20. Jubiläum des Labels, die zugleich die 500. Katalognummer, anstehen. Zusammengestellt wurden die Tracks für diese vom ehemaligen Skateboarder und Drone-Künstler Duane Pitre, mit dabei sind unter anderem Kali Malone und Tashi Wada. Es ist ein Projekt, wie es ganz in der Tradition von Important Records steht, das sich seit seinen Anfangstagen an die Erkundung von Möglichkeitsräumen im Sound verschrieben hat. Ob nun kratzige Analog-Electronica, Langform-Drones, knuspriger Noise und feakiger Psych-Rock_ deep listening forever!