17 Fidelity Guards – Im Gespräch mit Tim Hecker

15.02.2011
Foto:Kranky Records
Seit über einem Jahrzehnt ist Tim Hecker einer der meistgeschätzten elektronischen Musiker Kanadas. Mit seinem neuestem Werk __Ravedeath, 1972__ bestätigt der 36-jährige einmal mehr sein Können.

Im Gegensatz zu allgemeinen Vorstellungen sind kanadische Musiker nicht nur Taktgeber im Indierock-Bereich, sondern durchaus auch in der elektronischen Musik. Und das nicht erst seit Caribou. In den letzten zehn Jahren haben Kanadier in den verschiedensten Sparten der elektronischen Musik Impulse gesetzt: Richie Hawtin prägte Minimal Techno, Marc Lecklair (Akufen) erfand das »Microsampling« und Venetian Snares hat Drum’n’Bass ganz neue Richtungen aufgezeigt. Hinsichtlich der abstrakteren, formloseren Spielarten war sicherlich Tim Hecker aus Montréal die maßgebende Figur. Seine Entwürfe einer Ambientmusik sind derart dicht, drängend und physisch erfahrbar, dass nur der Körper der Adressat sein kann. Darin mag auch der Grund liegen, weshalb weltweit kein DJ, der was auf sich hält, daran vorbeikommt, trotz aller Unwägbarkeiten in Heckers Musik, diese in das Set einzubauen. Mit Ravedeath, 1972 bestätigt der 36-jährige einmal mehr sein Können, auch wenn der Ansatz diesmal leicht variiert und in erster Linie nicht Gitarren, sondern der Klang einer Kirchenorgel manipuliert wird. So weit so gut. Wir haben dennoch 17 Fragen und Tim Hecker weiß 17 Antworten.

Können Sie folgenden Ihrer Sätze erklären: Verglichen mit Kollegen aus anderen künstlerischen Disziplinen haben es Musiker seit jeher schwerer, ihre künstlerische Praxis einem breiten Publikum zu erklären und die Bedeutung ihrer Arbeit zu vermitteln?
Tim Hecker: Es ist eine Aussage, die nicht in jedem Fall zutreffend genannt werden kann, und dennoch haben Musiker oft Schwierigkeiten einem dritten ihre Arbeit zu erklären.

Fällt denn diese Vermittlung elektronischen Musikern, deren Mittel der Klangerzeugung mitunter »alchemistischen Gesetzen« folgt, noch einmal schwerer?
Tim Hecker: Das muss nicht unbedingt so sein. Ich persönlich genieße es über die Konstruktion von »Alchemie« im Klang zu schwadronieren.

Wollen Sie die Gelegenheit nutzen und jetzt ihre eigene künstlerische Praxis erklären und die Bedeutung ihrer Arbeit vermitteln?
Tim Hecker: Nein. Ich bin glücklich auf Interpretationen zu reagieren und diese in die richtigen Bahnen zu lenken, aber ich kann nicht ihre Bedeutung benennen.

Was genau ist die Granularsynthese?
Tim Hecker: Es ist eine Technik der (meist) auf Audiosamples basierenden Resynthese, in der Soundstreams in kleinste Bestandteile aufgelöst werden, die man dann wieder auf vielfältige Art und Weise rekonstruieren kann. Ich habe die Technik allerdings seit einigen Jahren nicht mehr benutzt.

Wie wichtig ist Technologie für Ihren kreativen Prozess?
Tim Hecker: Technologie, in einem übergeordneten Sinne, ist gar nicht so wichtig für mich. Die Klangwerkzeuge in meinem Studio sind dagegen sehr wichtig. Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zu »Technologie« – Staunen und Verzweiflung darüber, liegen bei mir sehr nahe beieinander.

Kann man mit einer Maschine befreundet sein?
Tim Hecker: Man kommt eine Weile ganz gut aus miteinander.

Ihr Kommentar zum Mackie 1402-VLZ3 Mixer?
Tim Hecker: Ich habe damit an die sechs Alben aufgenommen. Es ist nämlich überhaupt nicht notwendig einen Mixer der Trident 80-Serie in Schreibtischgröße zu besitzen, um Musik zu machen.

Ihre Tracks werden so oft von Techno-DJs als Beginn oder Abschluss ihrer Sets benutzt, dass hier die grundsätzliche Frage gestellt werden muss: Bevorzugen Sie Anfänge oder Abschlüsse?
Tim Hecker: Anfänge. Begründen kann ich das aber nicht.

Was kann der australische Musiker Ben Frost besser als Sie, dass er für die Realisierung von Ravedeath, 1972 so wichtig wurde?
Tim Hecker: Ben Frost ist ein Freund als auch ein sehr talentierter Musiker und ein Zauberer im Studio. Er und Paul Corley haben mir sehr geholfen, ein Setting einzurichten, dass es ermöglicht eine Pfeifenorgel in einer Kirche aufzuzeichnen und diese Aufnahmen dann durch einen Gitarrenverstärker wiederzugeben. So konnten wir sehr gutes Klangmaterial üppigen Sounds von dem Aufnahmetag in der Kirche gewinnen.

Abgesehen davon, dass der erste Track Piano Drop heißt, wie kann der Piano Drop auf dem Cover mit der Musik auf dem Album zusammengebracht werden?
Tim Hecker: Es besteht eine Synchronität der Stimmung. Die Verbindung ist letztlich aber eher spekulativ.

Welcher bildende Künstler hat Ihr neues Album konzeptionell am ehesten beeinflusst?
Tim Hecker: Gerhard Richter.

Wie begründen Sie ihre Antwort?
Tim Hecker: Mit seinem Werk.

Musiker aus Montréal wie Godspeed You! Black Emperor und andere legen einen sozialpolitischen Anspruch an ihre Musik, sie auch?
Tim Hecker: Nicht vordergründig. Solche Verbindungen sind eh meistens vergraben.

Wie lautet Ihr Widerspruch zu dem Trostlossatz »Alle Politiker sind korrupt?«
Tim Hecker: Für mich ist das, was aus dem politischen Diskurs selbst drängt, ein breiter Pinselstrich der Bedeutungslosigkeit, so hyperbolisch wie hinausgespieen.

Sind Sie politikverdrossen?
Tim Hecker: Ich denke nicht, dass ich jemals »versessen« auf Politik gewesen bin.

Ihre Einschätzung der eigenen Gitarristenqualitäten?
Tim Hecker: Ich bin mehr oder weniger ein Dilettant.

Wenn es keine Musik auf der Welt gebe, was würden Sie stattdessen tun?
Tim Hecker: Abstrakten Expressionismus oder ich wäre Tennisprofi.