Loscil wählt 10 Platten, die ihn geformt, gebessert und gebildet haben

16.02.2023
Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet Scott Morgan unter dem Pseudonym Loscil an Sounds in der Grauzone zwischen Ambient und Dub. Hier spricht er über Schallplatten, die sein Leben bereichert haben.

Scott Morgan schafft mit seiner Musik ebenso verwirrende wie faszinierende Klangflächen. Mit seinem Projekt Loscil veröffentlicht er seit mehr als zwanzig Jahren Schallplatten, die sich zwischen Ambient, Minimal und Dub bewegen – aber wesentlich tiefgründiger sind als viele andere Veröffentlichungen in diesem Bereich. Loscils Sound eröffnet neue Momente und Emotionen in der Wahrnehmung, führt in einen Raum, in dem Grenzen keine Bedeutung mehr haben.

In den Neunzigerjahren spielte Morgan noch in verschiedenen Bands Schlagzeug und Gitarre. (Ende des Jahrzehnts zum Beispiel in der Indie-Band Destroyer um Dan Bejar). Gleichzeitig studierte er Komposition und elektronische Musik, auf der Suche nach seiner eigenen musikalischen Stimme. In dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit Klang und Struktur. Bei der Auswahl seiner zehn Alben für diese Liste blickte Scott Morgan daher vor allem auf diese Zeit zurück. »Wenn es hier so etwas wie ein unterschwelliges Thema gibt, dann ist es die Tatsache, dass ich mich vor allem zu Musik hingezogen fühlte, die sich an den Grenzen der Genres und darüber hinaus bewegte«, erklärt Morgan. Neben Philip Glass finden sich auf dieser Liste beispielsweise auch Gastr del Sol.

Gigantische Sehnsuchtsorte

Heute lebt Scott Morgan in Vancouver und gehört zu den Künstlern, deren Alben zuverlässig ganz oben auf den Bestenlisten der Ambient-Platten des Jahres zu finden sind. Doch damit würde man seine Musik falsch einordnen, denn Loscil bewegt sich auch außerhalb dieses Genres, wenngleich sein Sound (auch) um diese Idee von Musik kreist. Seine Stücke verschwinden nicht im Hintergrund, sondern öffnen weite Landschaften, schaffen mit einfachsten Mitteln gigantische Sehnsuchtsorte, in die es hineinzieht – obwohl alles klar nach innen arbeitet.

Zusammen mit dem Komponisten Lawrence English veröffentlicht der Kanadier in diesen Tagen das Album »Colours Of Air«. Drones und Orgelklänge sind darauf zentrale Elemente einer in sich gekehrten Welt. Ein weiteres Album, mit dem sich Loscil mit seinem Sound in einen ganz eigenen Raum begibt. Welche Alben sein Verständnis von Musik geprägt haben, erzählt er hier.


Labradford
Mi Media Naranja
Kranky • 1997 •

Loscil: Das war die erste Platte von Kranky, die ich gekauft habe. Ich glaube, das hat mich dazu gebracht, dort ein Loscil-Demo einzureichen.

Redaktion
Sly & Robbie Meet King Tubby
Sly And Robbie Meet King Tubby
Culture Press • 1984 • ab 26.99€

Loscil: Ich habe einmal geträumt, dass King Tubby und Arvo Pärt zusammen gearbeitet haben. Die Musik war perfekt. Es gibt so viele Dubs von King Tubby, aber diesen habe ich mir immer wieder angehört.

Redaktion
Arvo Pärt
Alina
ECM Records • 1999 • ab 27.99€

Loscil: Als ich noch moderne Musik studierte, sehnte ich mich immer nach mehr Gefühl. Alles drehte sich um Nieten und Schrauben, Mechanik, Theorie und eine Art akademischen Stoizismus. Arvo Pärt zu hören war, als würde der Himmel nach einem heftigen Regen aufklaren. Ein Beweis dafür, dass Musik auf eine Weise extrem sein kann, bei der es nicht um Muskeln, Effekthascherei oder Komplexität geht. Tief empfindsam und spirituell.

Redaktion
Philip Glass
OST Koyaanisqatsi
Orange Mountain Music • 1983 • ab 48.99€

Loscil: Ich habe diese Musik zum ersten Mal gehört, als ich den Film gesehen habe (zum Glück). Aber auch für sich allein ist die Musik so kraftvoll, dass ich immer noch eine Gänsehaut bekomme, wenn ich das Eröffnungsstück höre.

Redaktion
John Cale & Terry Riley
Church Of Anthrax
CBS • 1971 • ab 28.99€

Loscil: Ich habe es in den 1990er Jahren in einer alten Plattenkiste gefunden, etwa zu der Zeit, als ich in der Schule Terry Rileys »In C« im Performance-Unterricht und in lokalen Indie-Bands gespielt habe. Für mich war es damals die perfekte Verbindung zwischen der Rockwelt und der Welt der minimalistischen Kunstmusik. Eines dieser unterschätzten Juwelen.

Redaktion
Steve Reich & Kronos Quartet
Different Trains / Electric Counterpoint
Nonesuch • 1989 • ab 16.99€

Loscil: Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich diese Platte vor fast 30 Jahren in der Universitätsbibliothek gehört habe und von ihrer Interpretation überwältigt war. Ich bin ein großer Fan von Konzepten und programmatischer Musik, aber manchmal geht es zu weit und kann kitschig werden. Ich habe das Gefühl, dass das Konzept, Zugdurchsagen in Musik umzuwandeln, ein totaler Schwachsinn hätte werden können, aber in den Händen von Steve Reich und dem Kronos Quartet ist es genial.

Redaktion
Raymond Scott - Soothing Sounds For Baby 1-3
Music On Vinyl • 1999 • ab 32.99€

Loscil: Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, das für ein Baby zu spielen. Aber ich liebe das Konzept dieser Raymond Scott Baby-Alben, weil sie funktional einfach sind, aber die Musik selbst ist unerbittlich repetitiv und super experimentell und klingt anders als alles andere. Und das wurde in den späten 1950er-Jahren aufgenommen!

Redaktion
Howard Shore & Ornette Coleman
OST Naked Lunch
Mondo • 1991 • ab 54.99€

Loscil: Ich hatte eine Phase, in der ich mich sehr für Free Jazz interessierte, und Ornette Coleman stand im Mittelpunkt dieser Faszination. Ich hörte ständig »The Shape of Jazz to Come« und »Tomorrow is the Question«, studierte aber auch Filmmusik. So war diese Partitur (natürlich für David Cronenbergs Verfilmung von William S. Bouroughs' Buch) wie eine schöne und ungewöhnlich klingende Verschmelzung dieser beiden musikalischen Welten.

Redaktion
Nico
Chelsea Girl
Universal • 1967 • ab 28.99€

Loscil: Wie viele andere bin ich als Vevelvet-Underground-Fan zu diesem Album gekommen, aber es ist etwas ganz Besonderes. Spürbare Melancholie. Die Produktion ist irgendwie perfekt vereinfacht.

Redaktion
Gastr Del Sol
Crookt, Crackt, Or Fly
Drag City • 1994 • ab 14.99€

Loscil: Another band that really connected musical dots for me. The idea that songs could exist in some kind of dreamscape or that musical genres and styles didn’t matter so much and could be smashed up and combined. Plus Chicago at this time was just the centre of the musical universe. Jim O’Rourke’s guitar playing on this record is gold.

Redaktion