Big Thief über die Kunst, ohne Smalltalk etwas Großes zu schaffen

01.09.2025
Foto:Daniel Arnold / Matador Records

Big Thief haben wieder ein Album zusammen aufgenommen. Double Infinity ist voller Schönheit und Gegensätze. Wir haben Adrienne Lenker und Buck Meek getroffen, um uns beidem anzunähern.

Es sind 35 Grad, dampfend richtet sich die Zoom-Connection. Im Widerspruch zur Hitze steht das Album, das Anlass und Gegenstand des Interviews ist. Ein Winteralbum im Sommer: gefrorene Straßen zwischen knisternd heißem Beton. Die beiden Frontfiguren von Big Thief verstehen es, mit den großen Ambivalenzen zu spielen. Nicht ohne Grund trägt das neue Album den Titel Double Infinity. Man kann es sich vorstellen, wie zwei Spiralen, die ineinanderlaufen, sich nie berühren und doch nur gemeinsam eine Form ergeben. So bewegt sich auch Big Thiefs neue Musik an der Schwelle zwischen dem Greifbaren und dem Unsichtbaren – und wird damit zum Versuch, etwas Größeres zu kommunizieren.

»Kommunikation zu lernen, ist ein Akt der Liebe«, sagt Adrienne Lenker im Gespräch. Und nichts als Liebe spricht aus der Musik dieser amerikanischen Indie-Folk-Band aus Brooklyn. Nach mehreren preisgekrönten Alben gelingt es Big Thief einmal mehr, den winzigen Moment einzufangen, der zwischen zwei Menschen entstehen kann: zwischen Gestern und Morgen, zwischen Immanenz und Metaphysik. Ohne Pathos, getragen von einer sensiblen Verletzlichkeit, die Lenker aus ihrer eigenen Perspektive übersetzt. Im Interview erzählen uns die beiden von nächtlichen Theatererlebnissen im verregneten West Virginia, von Coyoten, die wie ein vielstimmiges Lachen klingen, und von Aufnahmesessions, die sich wie ein Sommercamp anfühlten. Sie sprechen über das Balancieren zwischen Intention und Intuition, und darüber, wie Musik selbst zu einer Sprache wird, die mehr überträgt als Worte es je könnten.


Gab es in den letzten Wochen einen Klang, Ort oder Moment, der euch besonders in Erinnerung geblieben ist?
Adrienne Lenker: Eine Nacht in Thomas, West Virginia. Ich war mit meiner Freundin und unseren Hunden dort, eigentlich nur auf der Durchreise. Wir kamen um vier Uhr morgens an und übernachteten bei einer Freundin in diesem kleinen Ort voller alter Häuser, die zu Galerien wurden, direkt am Fluss in den Appalachen. Am nächsten Morgen erzählte uns jemand von einem Theaterstück im Dachboden eines alten Gebäudes. Wir blieben. Es goss in Strömen, das Stück war zweieinhalb Stunden – lustig und bewegend. Danach gingen wir noch in eine kleine Bar, während es weiterregnete.

Klingt wie aus einem Coming-of-Age-Film der Neunziger.
Adrienne Lenker: Total. Sind wir nicht immer »coming-of-age«, solange wir neugierig sind?

Absolut. Und Neugier hält einen vom Zynismus ab.
Buck Meek: Etwas, das meine Tage zuletzt bestimmt hat: Es gab riesige Brände in Los Angeles, wo ich in den Bergen lebe. Die Flammen kamen vom Ozean den Canyon hoch und stoppten erst fünfzig Meter vor meinem Haus. Alles rundherum verbrannte. Also zog die Tierwelt – Kojoten, Berglöwen, Luchse, Kaninchen – in das letzte Stück Grün um mein Zuhause. Jetzt streifen dort große Rudel Kojoten umher. Hast du je Kojoten lachen gehört?

Nein, nur in Filmen.
Buck Meek: Es ist das verrückteste, schönste Geräusch – wie viele Menschen, die gleichzeitig lachen, weinen und schreien. Es klingt wie Sirenen. Sie machen das, wenn sie fressen. Es ist wild, aber wunderschön. Unsere Husky-Hündin Ringo ist fasziniert von ihnen. Ich glaube, sie möchte sich anschließen.

Wenn ihr gemeinsam ins Studio geht – was bestimmt die kreative Stimmung? Tut ihr etwas bewusst, oder entsteht das von selbst?
Adrienne Lenker: Jede Session ist anders. Diesmal haben wir viel darüber nachgedacht, wie sich die Platte anfühlen soll, wen wir einladen. Wir entschieden uns für ein altes Studio in Manhattan, groß genug für alle. Es waren elf oder dreizehn Leute – darunter Laraaji, der so viel positive Energie mitbringt. Allein mit ihm in einem Raum zu sein, setzt die Stimmung. Es fühlte sich ein bisschen wie im Sommercamp an.

Buck Meek: Wir haben auf alles geachtet – von den Songs, an denen Adrienne zwei, drei Jahre gearbeitet hat, bis zur Auswahl der Leute und des Raumes. Wir hatten Kerzen und Samtdecken dabei. Adrienne sang mit Elena Spanger, Hannah Cohen und Jim McDoom, sie hatten ihr eigenes Zimmer. Wir bereiteten die Bühne vor, aber als alle da waren, ließen wir los. Wir vertrauten auf die Vorbereitung und gingen bewusst aus der Komfortzone, mit Menschen, die wirklich zuhören.

Gab es einen Moment, in dem die Energie ganz anders war als erwartet?
Adrienne Lenker: Wir hatten eine Vorstellung, aber keine Erwartungen. Wir wussten nicht, wie es klingen würde. Wir gingen offen hinein, und so formte es sich selbst.

Buck Meek: Die Überraschung war, wie leicht es ging. Mit so vielen Menschen wurde es fast eine eigene Kultur. Jede und jeder spielte etwas Einfaches, reagierte auf die anderen. Es fühlte sich schwerelos an.

Wie hat das Spielen mit so vielen Musikerinnen und Musikern euer Gefühl von Verletzlichkeit verändert?
Buck Meek: Für mich war es weniger verletzlich. In kleinen Sessions ist mehr Raum für Ängste, ich überdenke zu viel. Hier war so viel los, dass ich gar nicht an mich dachte.
Adrienne Lenker: Für mich war es verletzlicher. Ich bin meine Band gewohnt – wir spielen seit zehn Jahren zusammen. Aber seit Max gegangen ist, sind wir nur noch Buck, James und ich. Das war ein Auslöser, in eine neue Ära zu gehen. Viele im Studio kannte ich kaum. Ich hoffte, dass sie die Songs mochten. Es war ungewohnt – aber gut, loszulassen.

Wie beginnt ein Lied für dich ganz am Anfang?
Adrienne Lenker: Für dieses Album waren die Songs schon fertig, als wir ins Studio gingen. Ich arbeitete mit Elena, Hannah und Jim an den Gesangsparts, während Buck und James mit der Band Grooves entwickelten. Dann kamen wir zusammen – »Mädchenteam« und »Jungsteam« – und sangen zu dem, was da war. Wir jammten, bis das Band zu Ende war. Drei Wochen lang, neun Stunden am Tag.
Buck Meek: Wenn du den wirklichen Anfang meinst – ich habe oft gesehen, wie Adrienne schreibt. Sie schafft Raum: Handy weg, Tür zu, sie kommt erst heraus, wenn der Song fertig ist. Diese Fokussierung ist entscheidend. Sie beginnt mit Gitarre, Akkorden und Melodien, murmelt Laute und daraus entstehen Wörter.

»Wir leben in endlichen Körpern, wissen nicht, woher wir kommen oder wohin wir gehen. Es ist ein Tanz zwischen Anstrengung und Gnade.«

Adrienne Lenker

Mir ist beim Hören des Albums etwas aufgefallen: eine Balance zwischen Hingabe und Planung auf der einen Seite und Offenheit sowie Loslassen auf der anderen. War das bewusst so angelegt oder hat es sich eher natürlich ergeben?
Buck Meek: Danke, dass du das sagst – das ist eine schöne Deutung. Wir wechseln ständig zwischen Intention und Intuition. Präzision, dann Vertrauen in den Instinkt. Ideen in den Raum werfen, zurücktreten, verfeinern.
Adrienne Lenker: Das spiegelt das Leben. Wir leben in endlichen Körpern, wissen nicht, woher wir kommen oder wohin wir gehen. Es ist ein Tanz zwischen Anstrengung und Gnade. Es gibt Kräfte, die größer sind als wir. Wenn wir uns ihnen anpassen, erreichen wir Orte, die wir allein nie gefunden hätten. Es ist wie ein Segel im Wind – kämpfst du dagegen, bleibst du stehen; richtest du dich aus, wirst du getragen.

Der Albumtitel Double Infinity wirkt nach dem, was ihr sagt, noch treffender – wie eine Endlosschleife der Menschheit. Wir wissen, dass wir sterben, und begreifen es erst, wenn es geschieht.
Adrienne Lenker: Und die zwei Unendlichkeiten sind alles, was unendlich außerhalb unseres Körpers liegt – das Universum, die Sterne – und alles unendlich nach innen: unsere inneren Welten, die mikroskopische Ebene. Ich denke manchmal, der Körper ist die Brücke zwischen äußerer und innerer Unendlichkeit. Jeder Teil enthält das Ganze.

Das erinnert mich an Kunst. Gute Kunst liegt für mich an der Schnittstelle von dem, was greifbar ist, und dem, was es nicht ist. Zu sehr auf der einen Seite, und es wird übererklärt; zu sehr im Unbegreiflichen, und man findet keinen Zugang.
Buck Meek: Genau so fühlt es sich an, am Leben zu sein – dazwischen.
Adrienne Lenker: Und es ist schwer, alles zu übersetzen, was man fühlt. Deshalb kann ich jede Bemühung wertschätzen. Aber die Arbeit, die dich wirklich im Bauch trifft – die menschliche Erfahrung klar zu übersetzen – ist schwer. Je mehr du übst, die Spezifika deiner Erfahrung mitzuteilen, desto universeller kann es werden.

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Und so kommen wir einander näher. Wir können unserem Körper nie entkommen, also müssen wir unsere Erfahrung übersetzen. Es ist wie zwei parallele Linien, die sich nie berühren, aber näher rücken. Für mich ist das Liebe.
Adrienne Lenker: Genau dort entsteht die Magie.
Buck Meek: All diese Schnittpunkte folgen denselben Prinzipien.
Adrienne Lenker: Und es ist eine Übung. Um sich näher zu kommen, muss man präsent bleiben, jeden Tag wählen, im eigenen Körper zu sein. Ich dissoziiere oft aus Trauma und es kostet Mühe, wirklich hier zu sein. Kommunikation zu lernen, ist ein Akt der Liebe.

Und das Gegenteil von dem, was gerade passiert. Menschen hören nicht mehr zu – sie wollen nur ihre Meinung äußern.
Buck Meek: Genau. Darum ist Musik so kraftvoll. Mit Menschen zu spielen – selbst mit solchen, die man kaum kennt – schafft eine sichere Art zu kommunizieren. Mit Laraaji, John und Elissa habe ich über den Klang zueinander gefunden, nicht über Smalltalk. So viel wird durch Musik vermittelt.
Adrienne Lenker: Es ist eine Sprache, die sich nirgendwo sonst wiederholen lässt – etwas Transzendentes, das dich zugleich zurück in den Körper bringt.

Ich glaube, wir haben alles abgedeckt. Das Gespräch hat eine wunderschöne Richtung genommen.
Adrienne Lenker: Es war sehr schön, mit dir zu reden.

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