Charles Bradley – Looking For The Truth

06.05.2013
Foto:Malte Seidel
Es gibt die Dinge, die liegen lange verborgen, sind vergessen und entfalten erst spät eine plötzliche Dringlichkeit. Die Musik von Charles Bradley, dem »Screaming Eagle of Soul«, gehört zu diesen Dingen.

Es gibt die Dinge, die liegen lange verborgen, sind vergessen und entfalten erst spät eine plötzliche Dringlichkeit. Die Musik von Charles Bradley gehört zu diesen Dingen. Die Worte, die der »Screaming Eagle of Soul« unter Qualen aus der Tiefe seiner Seele holt, zogen mit seinem Debüt »No Time for Dreaming« vor zwei Jahren nicht nur Kenner der Materie in den Bann, sondern erreichten pünktlich zur Wiederentdeckung des Soul durch eine neue Generation weltweit Menschen durch alle Altersklassen. Dem Sänger, der auf dem Album vor allem die tragischen Seiten seines Lebens verarbeitet hat und der lange Zeit als Koch und James-Brown-Imitator in New York City seinen Lebensunterhalt bestritt, bescherte es mit 62 Jahren sein Erstlingswerk. In diesem Jahr erscheint sein zweites Album »Victim of Love«. Wir nahmen das zum Anlass, noch einmal zurück an die Wurzel des Soul zu gehen und über den Moment zu sprechen, da dieser lange vergessene große Sänger plötzlich nicht mehr James Brown sondern Charles Bradley gegeben hat.

Sie waren Sänger lange bevor Ihr Debütalbum vor zwei Jahren erschien. Würden Sie sagen, dass Ihr Album ein zeitgenössisches Album des Jahres 2011 war oder eine Ansammlung von Dingen, die Sie seit 1962, als Ihre Schwester Sie zum ersten Mal zu einem Soulkonzert ins Apollo Theatre mitnahm, sagen wollten?
Charles Bradley: Ja, ich habe viele Dinge für lange Zeit zurückhalten müssen. Und ich denke das Ereignis, das schließlich alles aus mir heraus holte, war, als mein Bruder getötet wurde. Das hat einfach alles in mir geöffnet, weil ich es nicht glauben konnte. Und ich sprach mit Tom [Tom Brennek, Mitbegründer von Daptone Records, Anm. d. Red. ] und Tom lud mich in sein Haus ein. Ich war in Trauer zu der Zeit und Tom machte mir einen Drink und wir saßen auf der Terrasse und Tom sagte: Charles, ich denke du solltest versuchen das in Musik auszudrücken. Und ich sagte: Tom, das wäre sehr schwer für mich. Und er sagte, er würde einfach anfangen alles aufzunehmen, was ich machte. Wenn ich mich ans Klavier setzte oder ihm einfach meine Geschichten erzählte, einfach alles. Also nahm er das alles auf. Und ich wusste nicht wie raffiniert er ist, doch er baute Musik um diese Aufnahmen und eines Tages rief er mich an, damit ich mir das anhörte. Ich hörte es mir an, sprang auf und lief hinaus. Ich konnte es einfach nicht aushalten.

Wie konnte er Sie schließlich doch überzeugen, das Album zu machen?
Charles Bradley: Er ließ nicht locker und sagte: »Charles, wir müssen ein Album machen.« Also nahm ich »Heartaches & Pain«, das bereits unter diesen frühen Aufnahmen war, und zeigte es meiner Mutter. Und als sie es hörte, brach sie zusammen und weinte, weil sie wusste, um was es geht. Dann zeigte ich es meinem älteren Bruder, er setzte sich in seinen Van, schloss die Fenster und hörte das Lied wieder und wieder. Da dachte ich, dass da irgendetwas dran sein muss, auch wenn ich es nicht hören konnte.

Ist »Heartaches & Pain« so ein Schlüsselsong gewesen, weil er plötzlich autobiografisch war und von Ihrem Leben handelte?
Charles Bradley: Ja, ich musste den Song plötzlich nicht mehr lernen, ich musste jetzt lernen, den Schmerz auszuhalten, ihn überhaupt singen zu können. Wenn ich singe »a friend grabbed my shoulder« dann ist das wahr. Ich lag im Bett und meine Mutter kam rein und fragte, was all der Lärm draußen sei, und ich ging runter und raus auf die Straße und da war diese Frau und sie legte ihre Hand auf meine Schulter und sagte: Geh nicht in das Haus deines Bruders. Doch ich tat es und sah, was passiert war. Alles, was du in diesem Song hörst, ist wahr.

»Für mich kommt Soul also aus diesen Tiefen der Seele, von den Schmerzen, die so überwältigend sind, das du sie nicht ausdrücken kannst.«

Charles Bradley
Als Sie in der Lage waren, dieses Lied zu singen, diesen Schmerz zu bewältigen, wussten Sie dann, dass Sie auch in der Lage sein werden, all die anderen Lieder zu singen?
Charles Bradley: Ja genau. Tom war der erste, der sagte: Ich will ein Album mit deiner eigenen Musik. Alle sagten mir damals, dass sie es mochten, wenn ich auf die Bühne gehe und James Brown bin, weil ich wirklich gut darin bin. Doch Tom sagte, ich will, dass du Charles Bradley bist. Noch jetzt fragen mich Leute, ob ich nicht bitte noch mal James Brown geben könnte, weil es niemanden da draußen gibt, der ihn imitieren kann. Aber mittlerweile mag ich Charles Bradley. Das bin wirklich ich und ich kann der Welt mitteilen, wie ich wirklich fühle, so dass sie mich nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch kennenlernen können.

Wenn wir Charles Bradley hören, ist da also keine Inszenierung, keine Imitation mehr?
Charles Bradley: Ich glaube, die war es auch nicht, als ich James Brown gesungen habe. Ich klang ja so und sah so aus, weil ich in der gleichen Zeit gelebt habe wie er, den gleichen Tanz gelernt habe, den gleichen Vibe gespürt habe. Das war das natürlichste der Welt für mich, ich war ein Kind dieser Zeit. Den Slide zu machen wie James, das gehörte einfach dazu. Ich habe also keinen Menschen imitiert, sondern eine Ära wieder zum Leben erweckt auf der Bühne. In meiner eigenen Musik ist das jetzt weniger wichtig, das sie viel persönlicher ist, weil in ihr die Posen und der Tanz dieser Zeit nicht so wichtig sind, sondern das, was ich ganz persönlich zu sagen und zu geben habe.

Im Soul geht es darum zu den wahren Bedeutungen der Worte vorzudringen. Lee Fields hat mir das einmal als eine Art Suche und Formung der Worte beschrieben.
Charles Bradley: Das stimmt, doch Lee und ich sprechen von verschiedenen Dingen. Mein Schmerz kommt aus Zeiten, als ich nicht singen konnte, was ich wollte, als Segregation noch den Alltag bestimmte. Und Lee hatte mehr Glück als ich, wenn er von Schmerzen singt, dann kann das Publikum das nachvollziehen und sich selbst darin sehen oder auch nicht. Als ich mein erstes Album in Europa singen sollte, konnte ich einen Abend eine bestimmte Zeile nicht mehr singen, es tat einfach zu sehr weh. Und Tom sagte, du lässt immer Zeilen aus, das kann doch nicht so schwer sein und sang mir die Lyrics vor. Die Stelle, die ich ausgelassen hatte, war die Stelle, die zu sehr weh tat. Übrigens war es in solchen Situationen oft Lee, der mir half, nicht aufzugeben. Für mich kommt Soul also aus diesen Tiefen der Seele, von den Schmerzen, die so überwältigend sind, das du sie nicht ausdrücken kannst. Damals konnte man das nur in den Kirchen ausleben und aus diesem spirituellen Hintergrund kommt aller Rhythm and Blues und der gesamte Soul.

Kann das auch Musik sein, die nicht Soul im Sinne des Genres, der üblichen Instrumentierung, ist?
Charles Bradley: Ja, zum Beispiel denke ich, dass Country und Western sehr viel Soul hat. Ich denke jede Musik, die eine Ehrlichkeit hat, die unserem Herzen entspricht, so dass unser Herz etwas hören kann, ist Soul.

»Es ist ein Gefühl, das dem Tod trotzt uns sich für das Leben entscheidet, ein Gefühl, die empfangene Liebe zurückgeben und weitergeben zu wollen. Es ist dieses Gefühl, das es ermöglicht zu singen, obwohl es manchmal nicht möglich scheint.«

Charles Bradley
Sie haben gerade die Situation beschrieben, als es unmöglich war, bestimmte Zeilen zu singen. Gibt es bestimmte Rituale und Techniken, die Sie vor Konzerten immer wieder in die Lage versetzen zu singen?
Charles Bradley: Ich würde sagen, da ist v.a. Spirituelles, ich glaube an etwas Größeres. Das Härteste an »Heartaches & Pain« war, dass ich immer wieder in das Haus meines Bruders gehen musste, in dem er tot lag. Jedes Mal, wenn ich gefragt werde, das Lied zu singen, sollte man das wissen. Wissen, wie hart das ist, an diesen Ort, in diesen Moment zurückzukehren. Und bis ich es mit meinen eigenen Augen gesehen hatte, sagte ich: Gott, lass es etwas anderes sein, lass es nicht wahr sein. Ich habe es einfach verdrängt. Erst als ich vor seinem Haus stand und seine Frau sagte »Er wurde erschossen. Er ist tot.«, erst dann verloren sich alle Bilder in meinem Kopf und ich brach zusammen. Und obwohl mir alle davon abrieten, musste ich doch hineingehen und mit meinen eigenen Augen sehen und auch wenn ich mir wünschte, dass ich das niemals getan hätte, war es doch wichtig, um die Wahrheit akzeptieren zu können. Ich lief hinaus aus dem Haus und auf die Straße und sie war voller Autos, doch keines traf mich. Irgendetwas beschützte mich. Und obwohl ich nur raus wollte aus diesem Leben, hielt mich irgendetwas. Ich erinnerte meinen Bruder, wie er mir am Vorabend sagte, dass ich nicht nach Kalifornien gehen solle, weil man mich hier brauche. Wenn ich beim Singen zurück gehe zu diesen Momenten, dann sind da also auch diese Überzeugungen gebraucht zu werden, sich trotz allem am Leben zu halten. Es ist ein Gefühl, das dem Tod trotzt uns sich für das Leben entscheidet, ein Gefühl, die empfangene Liebe zurückgeben und weitergeben zu wollen. Es ist dieses Gefühl, das es ermöglicht zu singen, obwohl es manchmal nicht möglich scheint.

Sie haben einmal gesagt, das Sie dem Glück nicht trauen, weil Sie zu oft erlebt hätten, wie zerbrechlich es sei. Hat der Erfolg der letzten Jahre diese Skepsis verändern können?
Charles Bradley: Weißt du, mein Leben ist im Moment bittersüß. Ich danke Gott für die Möglichkeiten, dass Menschen mich gefunden haben, dass Menschen mich lieben. Und viele sagen: Charles, wir sind so glücklich für dich. Aber oft verlasse ich die Bühne nach einer Show und gehe gleich in mein Zimmer und weine wie ein Baby. Und dann denke ich, dass ich eigentlich nicht mehr auf diesem Planeten sein möchte. Aber meine Mutter sagte immer, man muss seinen Schmerz aushalten, stark sein und viel geben. Und dann merke ich auch, wie viel mein Körper und meine Seele aushalten können und geben können.

Soul hat in den letzten Jahren wieder viel Aufmerksamkeit bekommen. Es gibt auch wieder eine jüngere Generation, die an Soul interessiert ist. Woran liegt das?
Charles Bradley: Sie suchen nach der Wahrheit, das ist alles was ich dazu sagen kann. Viele junge Menschen wissen überhaupt nicht, wohin sie gehen sollen. Sie brauchen jemanden. Und oft handelt Musik unserer Zeit nur davon mit wem du im Bett landen willst und wie gut du aussehen kannst und all diesem Zeug, aber im Soul gibt es eine Wahrheit, die man spüren kann. Und irgendjemand muss diesen jungen Menschen den Weg zeigen, sonst haben wir irgendwann eine verlorene Generation.