Enji über Jazz und die Kunst, zwischen den Sprachen die richtigen Worte zu finden

22.09.2025
Foto:Hanne Kaunicnik / Squama

Sie gehört zu den wichtigsten neuen Stimmen im (Vocal)-Jazz: Enji. Sie kommt aus der Mongolei, lebt in München – und bewegt sich scheinbar schwerelos zwischen Sprachen und Kulturen. Wir wollten es genauer wissen.

»Meine Lehrer:innen waren etwas enttäuscht, als ich nach dem Abitur plötzlich Musik studiert habe«, erinnert sich Enkhjargal Erkhembayar, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Enji. In ihrer Schule in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar habe es damals, so erzählt sie, vergleichsweise wenig Musikunterricht gegeben. Enji glänzte in Chemie. Umso erstaunter waren alle, als sie sich für ihr Studium der Musik zuwandte und über Umwege später in die bayerische Landeshauptstadt München zog.

Enji hat schon 2021 mit ihrem Album Ursgal den Deutschlandfunk Kultur ins Schwelgen gebracht – mit ihrer »einzigartigen Mischung aus Jazz und Folk mit den Traditionen des mongolischen Liedes«. Ihr neues Album Sonor (Squama) beweist, dass Enji viel mehr ist als bloß ein Novelty-Act: So essentiell das Spiel mit Texten in Mongolisch, Englisch und Deutsch ist, und so erstaunlich ungehört die Einflechtung verschiedener Liedkulturen ist, so überzeitlich und überörtlich sind Tracks wie »Eejiinhee Hairaar«: Mit einer Lässigkeit und Eleganz, die 100 Jahre Jazzgeschichte eingeschrieben hat, und locker begleitet von anderen Stammspielern der deutschsprachigen Szene (Elias Stemeseder, Robert Landfermann, Julian Sartorius) sowie ihrem Co-Writer und -Produzenten Paul Brändle, nimmt Enji mit auf eine Reise durch ungewohnt-bekannte Klanglandschaften.


Wie bist du in der Mongolei zum Jazz gekommen, welche Rolle spielt er dort?
Enji: Es gab in der Mongolei zwar schon in den 80er-Jahren ein bisschen Jazz. Zum Beispiel Bands wie Bayanmongol (Jazz, Folk, Funk), die versucht haben, Jazz-Kontexte zu schaffen. Es gibt sogar heute noch eine Bigband mit über 50 Jahren Geschichte, aber die traten eher in großen Konzerten auf. Als junge Person hatte ich keinen wirklichen Zugang dazu. Ich glaube, es ist nicht verkehrt zu sagen, dass der Jazz erst seit etwa elf Jahren in der Mongolei voll lebendig ist. Ich persönlich habe Jazz erst 2014 über ein Projekt namens GMUB kennengelernt.

Die Jazz-Förderung des Goethe-Instituts am Staatlichen Konservatorium der Mongolei.
..wo unter der Leitung von Martin Zenker Fächer wie Harmonielehre und Hörbildung gelehrt werden. Vorher hatte ich wirklich gar keine Ahnung davon. Durch dieses GMUB-Projekt, bei dem viele Jugendliche mitgemacht haben, wurde Jazz erstmalig Teil unseres Alltags und hat sich im Leben vieler Menschen verankert. Inzwischen gibt es sogar einen richtig guten Jazzclub namens Fat Cat in Ulaanbaatar, den ein Freund von mir eröffnet hat. Dort finden täglich Konzerte statt, und das Publikum besteht vor allem aus jungen Leuten.

Gibt es explizit mongolische Spielarten des Jazz?
Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich eine ganz eigene, nur mongolische Jazzrichtung gibt. Es gibt Musiker:innen, die sehr gerne Bebop, Straight Ahead oder Swing spielen und sich bewusst in diesen Traditionen bewegen. Aber das Schöne am Jazz ist ja die Freiheit: Man kann seine eigene Stimme und seine eigene Geschichte einbringen. Deshalb hört man in der Spielweise eines Menschen oft auch seine Persönlichkeit und seinen Hintergrund mit.

Wie ist das Verhältnis zwischen den Harmonielehren des amerikanisch-europäischen Jazz und mongolischer Musiktraditionen?
Die mongolische traditionelle Musik ist pentatonisch aufgebaut und harmonisch ziemlich natürlich, während Jazz mit seinen Akkorden und der Improvisation viel komplexer ist. Auf den ersten Blick wirken die beiden Welten total unterschiedlich, aber in der mongolischen Musik steckt auch diese spirituelle Freiheit, Fantasie und ein erzählerisches Element – da gibt’s auch Improvisation. Für mich ist das dann weniger ein »aneinander Anpassen«, sondern eher ein Dialog zwischen zwei Sprachen.

»Ich probiere es so lange, bis der Song sich richtig nach zu Hause anfühlt.«

Enji beheimatet in ihrer Musik viele Sprachen.

Du singst auf Mongolisch, was für »westliche Ohren« oftmals unvertraut klingt. Es ist immerhin eine Sprache mit wenigen Millionen Sprecher:innen. Findest du, dass Mongolisch eine musikalische Sprache ist?
Total! Für mich ist die mongolische Sprache sehr musikalisch – vor allem poetisch und rhythmisch unglaublich reich. Spannend finde ich aber vor allem, wie man aus jeder Sprache Musik machen kann. Jede Sprache hat ihre eigene Stärke und Schönheit.

Mittlerweile haben Deutsch und auch Englisch Platz neben dem Mongolischen in deiner Musik genommen. Wie kam es dazu? Gibt es bestimmte Gefühle, Gedanken oder einfach nur klangliche Verbindungen, die du mit den Sprachen verbindest?
Manchmal ist es einfach der Sound, der mich packt, manchmal die Möglichkeit, eine Geschichte anders zu erzählen. Oft passiert es auch, dass ich mehrere Wege ausprobiere – zum Beispiel schreibe ich erst einen englischen Text, merke aber im Prozess des Songs, dass es sich anders anfühlt. Dann probiere ich es so lange, bis der Song sich richtig nach »zu Hause« fühlt.

Was hat dich nach München gebracht?
Eigentlich bin ich nur gekommen, um mein erstes Album aufzunehmen – im Dezember 2016 für zehn Tage. Damals hätte ich nie gedacht, dass ich später hier leben würde. Aber das Leben hat mich geführt. 2018 bin ich dann nach München gezogen, um meinen Master in Jazzgesang zu machen. Während meiner Studienzeit habe ich meine Leute getroffen – Squama Records, Musiker:innen – mit denen ich heute meine Musik mache. Heute ist das ein wichtiger Teil meines Lebens.

Ursgal war deine zweite Platte, aber die erste auf Squama. Was hat dich vom Label überzeugt?
Was ich an Squama besonders schätze, ist, dass wir die gleiche Haltung zur Musik haben: kreativ, innovativ und nicht einfach versuchen, meine Geschichte für einen Algorithmus anzupassen. Es geht darum, echte und gute Musik zu machen. Sie geben mir das Gefühl, dass meine Musik wirklich gehört und unterstützt wird. Sie lassen mir Freiraum, aber auch viel Austausch – und das ist mir unglaublich wichtig. Jedes Werk wird mit viel Herzblut gemacht, sodass am Ende wirklich eine besondere Kollaboration entsteht.

Kreativ und innovativ: Enji (Foto: Charlotte Robin, Alyssia Lou / Squama)

Wie würdest du selbst die Entwicklung von Ursgal zu Sonor beschreiben? Welche Erfahrungen konntest und durftest du in der Zwischenzeit machen, die die aktuelle Platte informiert haben?
Ursgal und Sonor fangen beide ihre jeweilige Zeit ein. Ursgal zeigt, wo ich damals stand, während Sonor meine aktuelle Phase widerspiegelt. Zwischen den Alben habe ich viele Erfahrungen gemacht – durch Konzerte, Collaborations und einfach das Leben. All das hat meine Musik beeinflusst, mich gelehrt, meine eigene Stimme klarer zu hören und Geschichten freier zu erzählen. Sonor ist dadurch offener, mutiger und gleichzeitig sehr persönlich geworden.

Empfindest du die Entwicklung zwischen den beiden Platten als einen »großen Sprung« oder siehst du eher Nuancen, die sich ändern?
Einerseits zeigt sie, was die Musik in dieser kurzen Zeit mir erlaubt und ermöglicht hat und wie dankbar ich bin, dass einige Menschen meine Musik hören. Deswegen: Ja, ein großer Sprung. Andererseits fängt jede Platte, jedes Projekt einen bestimmten Moment ein. Die Veränderungen liegen oft in den Details – in der Art, wie ich improvisiere, Geschichten erzähle oder meine Stimme einsetze. Für mich geht es nicht darum, plötzlich etwas völlig Neues zu machen, sondern Schritt für Schritt weiterzugehen und diese kleinen Veränderungen sichtbar werden zu lassen.

Wie dürfen wir uns den Arbeitsprozess deiner Songs vorstellen? Was steht z. B. am Anfang: der Text oder die Melodie?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal fange ich mit einem Text an, manchmal mit einer Melodie oder einer Harmonieprogression. Oft entwickelt sich der Song erst im Prozess. Wichtig ist für mich, den Moment nicht zu verpassen – sei es ein Text oder eine kurze Audioaufnahme. Oft kommen mir die Ideen ganz natürlich und sehr bildhaft, und dann fange ich einfach an zu beschreiben, was ich gerade empfinde.

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Gibt es einen »Enji-Spezialtrick«? Zum Beispiel eine bestimmte Akkordfolge oder eine rhythmische Struktur, die du immer wieder anwendest, die dir besonders gut gefällt?
Nicht wirklich. Die Geschichten, die ich erzähle, sind ja auch unterschiedlich. Aber es gibt natürlich Elemente, die ich immer wieder mag: Zufälligerweise habe ich schon vier Songs in derselben Tonart geschrieben. Ich mag auch ungerade Tempi, die spannende Ecken haben und unauffällig passieren. Ich bin ein großer Fan von guten Linien. Und das stärkste Tool für mich sind die Worte – die müssen einfach gut sein.

Du spielst mittlerweile größere Bühnen, auch auf Festivals wie dem Enjoy Jazz in Ludwigshafen: Wie übersetzt man die Intimität, die eine wichtige Rolle in deinen Songs einnimmt, auf die große Bühne?
Es klingt vielleicht klischeehaft, aber für mich ist jeder Raum wichtig und hat seine eigene Dynamik. Interessant ist immer, wo ich gerade spiele und wie das Publikum sich verhält. Zum Beispiel ist es ein ganz anderes Gefühl zwischen China und den Niederlanden. Es macht Spaß, die Nuancen des Publikums zu spüren und zu versuchen, darauf einzugehen – quasi sie zu verstehen.

Eine letzte Frage noch: Erlebst du, dass Menschen hierzulande auf deinen Konzerten mitsingen? Auch jene, die gar kein Mongolisch sprechen?
Ja, tatsächlich ist es einmal passiert, dass jemand aus dem Publikum mitgesungen hat. Ich dachte erst, das wäre ein Mongole, aber er war es nicht – er hatte einfach den Song auswendig gelernt. Bei manchen Konzerten involviere ich das Publikum und fordere es auf, mitzusingen, zum Beispiel bei meinem Song »Duulnaa«. Meistens nur mit einem Wort, aber es kommt immer gut an und schafft eine schöne Verbindung.

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