Records Revisited: Willie Nelson – Red Headed Stranger (1975)

23.05.2025

Über 100 Alben hat Willie Nelson veröffentlicht. »Red Headed Stranger« ist sein Opus magnum. Musikalisch ist es auf die beste Art einfach gestrickt – moralisch hingegen hochkomplex.


»And they died with a smile on their faces«

Willie Nelson in »Blue Rock Montana / Red Headed Stranger«, 1975

Diese Faszination für Countrymusik, die momentan im Indie-Rock herrscht – man betrachte Acts wie Waxahatchee, Wednesday oder MJ Lenderman –, sie hat mich angesteckt. Wo ich das Genre früher noch für peinlich hielt, bin ich heute begeistert davon. Zuerst interessierte mich vor allem der klassische, glattpolierte Nashville-Sound, doch mit der Zeit fand ich immer mehr Gefallen am roheren Outlaw-Country. Ganz besonders an Willie Nelson, für den ich nichts als warme Gefühle empfinde: Die Tatsache, dass er nicht William oder Wilfred, sondern tatsächlich Willie mit Vornamen heißt; dass er in Michael Manns großartigem Spielfilmdebüt »Thief« mitspielt; dass er auch heute noch zu den prominentesten Marihuana-Maskottchen der USA gehört. Und so weiter. Alles toll.

Ah, dann natürlich diese Stimme. Womöglich ist Willie Nelson der beste Country-Sänger jemals: Da ist so viel Sehnsucht in seiner Stimme, so viel unsentimentaler Schmerz. Er singt im klassischen Sinne gut – man könnte ihn als Frank Sinatra des Country bezeichnen –, hat aber auch etwas Schneidendes, Kratziges, Aneckendes. Etwas sehr Menschliches.

Die Frage nach dem besten Album von Willie Nelson ist keine leichte, schließlich hat der Mann in seinem Leben über 100 Studioalben veröffentlicht. »Phases and Stages« (1974) wäre z.B. ein Anwärter, mit seiner jazzigen Eleganz, genauso wie »Stardust« (1978), auf dem Nelson mit Booker T. Jones zusammenarbeitete und einige der schönsten Country-Aufnahmen der Siebzigerjahre produzierte. Doch der beste Einstieg in das faszinierende Gesamtwerk von Willie Nelson bleibt »Red Headed Stranger«, sein Opus magnum, das in diesem Jahr 50 Jahre alt wird – und auch heute noch fantastisch klingt.

Verstaubter Sound, gebrochene Helden

»Red Headed Stranger« war das erste Album, das Willie Nelson für Columbia Records aufnahm – wichtig, da ihm dort die komplette Kontrolle über sein Werk garantiert wurde. Die grundlegende Konzeptidee von »Red Headed Stranger« stammt allerdings von Nelsons damaliger Frau, Connie Koepke: Sie erinnerte ihren Ehemann an den alten Klassiker »Tale of the Red Headed Stranger« von Arthur ›Guitar Boogie‹ Smith, den Nelson oft in seiner Zeit als Radio-DJ spielte und seinen Kindern oft zum Einschlafen vorsang. Man könne doch ein Album machen, das die Geschichte dieses Songs weiterdenkt, schlug Koepke vor…

Das Resultat war ein Album, welches mehrfach als das »Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band« des Country bezeichnet wurde. Ich liebe die Beatles abgöttisch, doch mittlerweile halte ich »Red Headed Stranger« für das gelungenere Album, weil es seinem Narrativ treuer bleibt. Und das, obwohl die Tracklist auch aus Coverversionen fremdgeschriebener Songs entsteht – wie Nelson diese Coversongs in das Konzept einbaut, ist meisterhaft. Auch sonst überzeugt »Red Headed Stranger« auf ganzer Linie: Die Lieder sind oft kurz, wirken aber nie skizzenhaft oder im Gesamtkontext zerstückelt, sondern flüssig, fast wie eine Suite. Die wiederkehrenden Motive nimmt man nie als nervig war, sondern sorgen vielmehr dafür, dass sich das Album schnell wie ein alter Bekannter anfühlt.

»And I’ll try to forgive, but I cannot forget«.

Willie Nelson

Natürlich ist es auch der einheitliche Sound, der »Red Headed Stranger« so rund macht: Rudimentär und minimalistisch ist die Platte, das absolute Gegenteil von zurechtgemacht. Das fällt vor allem im Vergleich mit »Phases and Stages« und »Stardust« auf. Dagegen klingt »Red Headed Stranger« verstaubt, rostig, blechern und wurde für verhältnismäßig wenig Geld produziert, was zur Folge hatte, dass das Label zuerst dachte, es würde sich bei dem Album lediglich um ein Demo-Tape handeln. Ist natürlich Teil des Charmes. Das muss so.

Hinsichtlich der Story, die »Red Headed Stranger« zugrunde liegt: Wir schreiben das Jahr 1901, ein – sagen wir – verbitterter Prediger tötet seine untreue Frau und ihren Liebhaber. Im Anschluss reitet er davon, geplagt von seiner Untat, bis er am Ende zur Erlösung findet. Das Album beginnt mit der Entscheidung einer Frau und der Liebe eines Mannes, wie Willie selbst singt; danach geht’s darum, wie diese Liebe ihn eben dazu bringt, durchzudrehen (»How he loved her so dearly, he went out of his mind«). Wir ahnen schnell, dass das Ganze womöglich nichts Gutes mit sich bringen wird. Die Schlüsselzeile: »And I’ll try to forgive, but I cannot forget«.

Wie Willie Nelson die Schandtat des Priesters im gesamtgesellschaftlichen Kontext platziert und herauszoomt – dass die Welt außer Kontrolle gerät, singt er im Highlight »Hands on the Wheel«, da könne man ja nur durchdrehen –, wie er ein altes Narrativ modernisiert und dabei kompromisslos, trotzdem aber kommerziell erfolgreich war, das alles passt zum New-Hollywood-Kino der damaligen Zeit. Auch darin existierte nicht immer unbedingt Sympathie, sehr wohl jedoch Empathie für die gebrochenen Protagonisten (siehe z.B. »Five Easy Pieces«, »The Godfather«, »Taxi Driver«).

Willie Nelson verurteilt den tötenden Priester nicht, in Schutz nimmt er ihn ebenfalls nicht. Musikalisch mag »Red Headed Stranger« einfach gestrickt sein, doch moralisch ist es ein hochkomplexes Album. »It was more than all this that put that gun in my hand«, sang Bruce Springsteen später auf seinem großartigen, ebenfalls Demo-esquen Meisterwerk »Nebraska«. Schwarzweißdenken funktioniert nur selten in der Welt, so einfach ist das alles nicht. Willie Nelson weiß das – und hat mit »Red Headed Stranger« ein Meisterwerk geschaffen, das diese Erkenntnis auf wundervolle Weise vertont.

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