Als scharfsinniger Essayist, Produzent, DJ und Label-Mitbetreiber von Macro hat Stefan Goldmann mit Text und Ton schon oft vermeintliche Grenzen auf die Probe gestellt. Nun widmet er sich erneut theoretisch wie praktisch einem Gegenstand, dem vom selbsterklärten Untergrund mit Naserümpfen begegnet wird: Presets. Im Interview-Band »Presets – Digital Shortcuts to Sounds« diskutiert Stefan Goldmann mit Software- und Synthesizer-Entwicklern, aber auch überraschenden Gästen deren Anwendungsgebiete und (sub-)kulturellen Auswirkungen. Im Interview erzählte uns Stefan Goldmann, was genau Presets sind, wo der Widerwillen ihnen gegenüber herrührt und warum er auf seinem neuen Album »Industry« die Synthesizer-Workstations Technics WSA1R, Korg Triton Rack und Yamaha TG33 die künstlerische Führung übernehmen ließ.
Was genau sind eigentlich Presets und wofür werden sie verwendet?
Stefan Goldmann: Presets sind vorgefertigte Werkseinstellungen bei Geräten, mit denen man bestimmte Ergebnisse erzielt, ohne sich mit Details auseinandersetzen zu müssen. Instagram zum Beispiel bietet Presets. Mit einer analogen Kamera müsste man dazu einen Film wählen, Blenden einstellen, Belichtungszeiten regeln und wissen, was man tut. Übertragen auf Synthesizer und Studiotechnik bieten Presets fertige Klänge in komplexen Geräten. Sie sparen daher Zeit. Der Preis ist, dass alles gleich aussieht oder klingt.
Warum ist die Verwendung von Samples und auch Presets in der elektronischen Musik so verpönt?
Stefan Goldmann: Wenn wir die Begegnungen von ein paar Leuten in Chicago und Detroit mit den Roland-Maschinen 303, 808 und 909 als Ausgangspunkt für Techno und House betrachten, dann geht es darum, einen persönlichen Ausdruck gegen sehr rigide Maschinen zu setzen. Der Umgang gegen die Gebrauchsanleitung macht Techno aus. Presets sind das exakte Gegenteil: Das ist der Klang der Gebrauchsanleitung. Ihre Verwendung riecht nach Faulheit oder Schwindel. Wenn Stars sich als begnadete Talente feiern lassen und in Wirklichkeit die Arbeit anderer nutzen, ernten sie entsprechend Häme. David Guetta beispielsweise wurde vorgeworfen, dass er für seine Melodien nur die Presets eines Software-Synths nutzt. Der industrielle Ursprung, also der Versuch von Herstellern, einen klanglichen Mainstream herzustellen, wird sicherlich auch als verdächtig empfunden.
Möchtest du dich durch deine Beschäftigung mit Presets gegen die herrschenden Vorurteile positionieren?
Stefan Goldmann: Ich habe oft das Gefühl, dass die Einforderung von handwerklichem Aufwand an der Sache vorbei geht. Wenn ein Track hammergeil klingt, ist doch alles andere egal. Das ist ein Urgedanke von Techno: Gesichter und Namen verschwinden, nur die Musik zählt. Es gibt viele Leute, die laut gegen Presets wettern, auf anderen Ebenen aber ähnlich arbeiten. Es ist ja schön, jeden Sound von null auf selbst zu formen – wenn der aber immer in das gleiche Beat-Raster gepresst wird, wurde das Preset nur auf eine andere Ebene verlegt. Viel interessanter ist es für mich, dass ich mit drei Presets bestimmte Klangbilder herstellen kann, die anderswo als große, individuelle Leistung abgefeiert werden. Wenn aber ein Preset das erzeugen kann, was für eine individuelle Leistung gehalten wird, kann ich mir doch auf diese nichts mehr einbilden.
Bestimmen mittlerweile die Software-Entwickler den Sound der Zeit?» Ich habe oft das Gefühl, dass die Einforderung von handwerklichem Aufwand an der Sache vorbei geht. Wenn ein Track hammergeil klingt, ist doch alles andere egal.«
Stefan Goldmann
Stefan Goldmann: Programmierer wie Robert Henke oder Mike Daliot haben in den letzten zehn Jahren bestimmt einen größeren Einfluss gehabt als jeder Produzent. Es ist ein interessanter Gedanke, vielleicht einen neuen Künstlertypus zu haben, der auf der Meta-Ebene arbeitet, das Werkzeug ausgibt statt der Tracks. Das ist aber sicher verkürzt. Um Skrillex zu sein gehört halt doch etwas mehr dazu, als zehn bestimmte Presets abzufeiern. Ich glaube, die Macht der Sound-Designer zeigt sich mehr bei den Tausenden von Nachahmern, die Presets zusammenschmeißen und glauben, damit auf der Höhe der Zeit zu sein. So entstehen von einem Soundpack zum nächsten komplette Stile. Irgendwelche Retro-Fanatiker, die nur nach dem perfekten 303-Clone suchen, machen letztlich nichts anderes. Man will seiner eigenen Musik die Magie eines bereits ikonischen Sounds einhauchen und vergisst, dass dieser Sound ikonisch klingt, weil er sich von allem vorherigen abhebt.
Du interviewst neben Henke und Daliot auch bulgarische Folklore-Musiker, einen ehemaligen Metallica-Produzenten und einen klassischen Pianisten. Wie passt das zusammen?
Stefan Goldmann: Es gibt bestimmte Musikrichtungen, die sich besonders handgemacht und authentisch geben, gerade auch in ihrer Ablehnung von Techno. Ich glaube aber, wir wissen gar nicht, wie sehr wir schon digitalisiert sind. Letztlich wird alles Beschreibbare irgendwann automatisierbar. Es wäre lächerlich, so zu tun, als gäbe es das nicht und weiterhin Handarbeit um der Optik willen zu betreiben. Ich wollte diese Reichweite zeigen und mir Antworten auf die Frage holen, was es dann für die Musik und ihre Wahrnehmung bedeutet, wenn ich mir zum Beispiel als Metal-Gitarrist einen besonders schönen Gitarrensound maßschneidern lassen kann, den ich als digitales Preset auf einem USB-Stick herumtragen kann anstatt mir Gedanken über Verstärker-Türme zu machen.
Warum war es dir wichtig, auf die Theorie die Praxis folgen zu lassen und welchen Ansatz hast du bei der Produktion von »Industry« verfolgt?
Stefan Goldmann: Das Buch war wichtig, weil es keine sinnvollen Beschreibungen zum Thema gibt, »Industry« wiederum war als Arbeit mit seinen ganzen albernen Sounds ein Riesenspaß. Es besteht komplett aus Preset-Klängen, Cubase-Shuffles und Ausschnitten aus MIDI-Files alter Tracks von mir. Nichts Neues. Ich wollte sehen, wie weit ich meinen individuellen Input beseitigen kann, ohne, dass ich sagen muss: Das geht jetzt gar nicht mehr. Und man kommt erstaunlich weit. Ich kenne Sachen, die mit riesigen Modularwänden erzeugt sind, die aber nicht spannender klingen als drei, vier kombinierte Presets. Das fand ich sehr interessant. Ein Psychologe hat es mal als IKEA-Effekt beschrieben: Weil man Aufwand in etwas steckt, findet man es selbst wertvoller, obwohl es ein mieses Billigregal ist. Aus Hörerperspektive ist das aber völlig belanglos: es geht immer nur um Ergebnisse, nie um Aufwand. Ich habe mich fast geärgert, dass ich das Album noch mischen musste. Das stört die Reinheit des Ganzen. Ich glaube, das ist das einzig Individuelle an der Platte: die Lautstärkeverhältnisse der einzelnen Sounds und ein paar Fader-Bewegungen. In einem halben Jahr hätte ich mir theoretisch auch das sparen können: Ein kanadisches Start-up plant ein völlig automatisiertes Mix-Programm – Einzelspuren rein, fertiger Track raus.
Obwohl du eine Lanze für die Preset-Entwickler brichst und deinen Anteil als minimal bezeichnest, veröffentlichst du »Industry« unter deinem eigenen Namen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Stefan Goldmann: Die Preset-Schreiber haben eine ganz andere Agenda: Geräte verkaufen und bezahlt werden. Ein konsequentes Preset-Album eröffnet mir die Möglichkeit, die Kritik auf ihre Automatismen zu stoßen wie das unhinterfragte Einfordern von Aufwand und Handwerk. Ich beanspruche für das, was man auf der Platte hört, keine Originalität, keinen Aufwand… Aber was dann? Was der Unterschied zwischen einer leeren Schallplatte und »Industry« ist, muss die Kritik beantworten. Man muss sich auch nicht um Presets, japanische Synthesizer und Simulation von Sound-Design scheren, sondern kann sich das Album anhören und dann mögen oder nicht. Oder aber sich davon total gruseln lassen. Mir ist es wichtig, dass meine Sachen auch immer sinnlich erfassbar sind und nicht auf irgendwelche Außenthesen verweisen, die man dann so schlucken soll.