Kunze: Vielleicht vorweg zu den Vorzeichen unter denen das Album veröffentlicht wird: Eigentlich ist das ja schon der Stoff aus dem unterhaltsame Geschichten gemacht werden. Der Typ voll auf Tabletten, kaputt, fertig mit der Welt, feiert dann sein Comeback, »Recovery«, und besucht jetzt als gereifter Mann noch einmal das abgefuckte Haus auf dem Coverartwork – »die Marshall Matters LP«. Ich bekomme da so ein bisschen Epos-Gänsehaut…
Aigner: Das Problem ist, dass diese manischen Geschichten jetzt so unglaublich ›creepy‹ geworden sind. Früher war Eminem der Typ, der allen irgendetwas beweisen wollte. Logisch musste der über das Ziel hinausschießen. Heute sitzt der depressiv auf der Couch und spielt den ganzen Tag Xbox. Hab ich mir sagen lassen…
Kunze: Ich finde diese ›Creepyness‹ interessant, weil er die ja selbst reflektiert. Der sieht sich ja auch als diesen kaputten Dude. Immerhin kann man festhalten, dass immer noch über jeden erdenklichen Beat flowen kann. Ich glaube, dem könnte man einen Volksmusik-Meets-Skrillex-Beat vorsetzten und der würde den ›dominieren‹. »Rhyme Or Reason« als Beispiel.
Ainger:Ich finde nicht, dass er da dominiert. Er klingt wie ein fetter, nicht-krankenversicherter Postbote, der gleich einen Herzinfarkt kriegt. Vor allem: Oh Gott, ein »Time of the Season«-Sample. Ich lieben diesen Song. Warum Marshall, WARUM?!?
Kunze: Haha, du hast aber halt auch dieses traurige Alt-Redneck-Bild von Eminem im Kopf, auf dessen Grundlage du das alles bewertest.
Aigner: Er brüllt. Auto-Boykott meinerseits. Ey, die Hooks sind allgemein so eine Zumutung.
Kunze: Boahr ja, leider typisch gewordene Eminem-Refrains. Wann hat das bloß angefangen? Mit »Hailie‘s Song« glaube ich. Diese Hooks mit dieser übertrieben hohen Stimme. Was denkt der sich dabei? Warum macht er das? Gefällt das irgendjemandem?
Aigner: Und dann so etwas wie »Survival«: Geil, Cockrock. Bzw. die 2013er-Version davon. Claps, yo, Stadion-Claps. Das finde ich süß, das ist so ›out of touch‹, dass ich lachen muss.
Kunze: »Survival« ist das Grauen! Joko vs. Klaas-Einstiegsmusik. Ich muss weinen. DU willst Eminem lächerlich finden und mir liegt der halt am Herzen.
Aigner: THIS! IS! THE WINNER TAKES IT ALL! A-A-A-A-AAAAAALL! Ich finde das interessant, was war dein Eminem-Einstieg damals?
Kunze: »Slim Shady LP». Und »Marshall Mathers LP», das Original, das hat für mich alles verändert. Du willst ihn scheitern sehen, ich sehe wie er scheitert und frage mich, warum das so sein muss. Ich habe das Gefühl, dass Eminem der schlechteste Musiker überhaupt ist! So Lynyrd-Skynyrd-Karaoke-Version, um eine billig aufgetakelte Theken-Tante anzumachen. So traurig! Ich will nicht, dass er traurig ist. Ich will nicht traurig sein.
Aigner: Alleine so etwas wie der Dido-Tribute-Refrain auf »Legacy«. Der billige Beat. Und der Regen, oh Gott, der Regen. Ich muss echt lachen. Like literally LOLing und so.»Er klingt wie ein fetter, nicht-krankenversicherter Postbote, der gleich einen Herzinfarkt kriegt.«
Florian Aigner
Kunze: Er braucht natürlich immer schon die große Geste. Viel zu zwanghaft sucht der die hier.
Aigner: Boah, musikalisch ist das wirklich so was von zurückgeblieben, ich hab die Worte nicht.
Kunze: Bei »Bezerk« renne ich kreischend davon, weil ich mir wünschte, der Song wäre niemals gemacht worden. Das ist so jämmerlich. Eminem versucht durch Retro-Style wieder »in« zu sein, so wie das alle machen. Nur wirkt es bei ihm so aufgesetzt!
Aigner: ›White-Man’s-Burden-Shit‹, hahahaha. Dann lieber »Rap-God«, weil da kann ich nix gegen sagen.
Kunze: »Rap God« ist für mich die Blaupause für Ems Problem. Der zerlegt rap-technisch nach wie vor alles! Aber das muss er niemandem mehr beweisen! Als 41-jähriger sollte man beweisen, dass man auch gute Musik machen kann. Ich meine, immerhin hat der noch Hunger, nur dass die Mahlzeit dann so klingt, wie eine All-Inclusive-Fressorgie in einer Malle-Kantine mit Teppichboden aussieht.
Aigner: Hahaha, eben, er kann halt nichts, da ist kein Sinn für Songwriting, gar keiner. Du merkst das halt auch an seinem Referenz-System. Das ist alles stuck in 2002. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß was ein »Hashtag« ist.
Kunze: Ja, und dass er das nicht weiß ist eigentlich geil! Das finde ich eigentlich die beste Grundlage für eine »Marshall Mathers LP 2«.
Aigner: Ja schon, aber dann muss er diese Out-Of-Touchness anders inszenieren. Beziehungsweise sich erstmal darüber klar werden.
Kunze:Jep, er nutzt diese Hängengebliebenheit nicht, um diese alte Atmosphäre noch mal aufleben zu lassen, sondern versuhuuucht… Alles ist so angestrengt. Er will so sehr! Zurück, nach vorne, keine Ahnung! Das ist immer das gleiche Raster: Rap: Ja. Musik, Songs: Hell to the hell no!
Aigner: »Stronger Than I Was« zum Beispiel habe ich nach 20 Sekunden weggeskippt. Das ist so Tütensuppen-emoitonal.
Kunze: Das tut mir alles so leid. Und dass es mir leid tut, tut mir leid, weil Mitleid… ich meine was ist das für ein Rapper. Oh mein Gott, ich bin so traurig.
Aigner: Ich kapiere halt auch nicht wie man das einzige Rap-Feature [Kendrick Lamar] so verpulvern kann. Da lädt er sich den designierten Messias ein und macht was Ironisches. Das raffe ich nicht.
Kunze: Vielleicht mal ein entspannter Schachzug. Der einzige! Und das zwischen Rubin‘schen-Beastie-Boy-Persiflagen, dann Roots-Reggae, ach nee, ist doch Country.
Aigner: »So Far« ist ein Witz, oder?
Kunze: Immerhin ist »Monster« ein Hit. Dazu tanze ich, nachdem ich in der Malle-Kantine war. Aber bei »Headlights« geht er dann noch »Owl-City on dem Zartbesaiteten«.
Aigner: Fängt mit einer Elton-John-Hook an. Und ich bin raus…
Kunze: Das ganze Album löst bei mir das aus: WHHHHHHHYYYYY #Kamera zoomt dramatisch in die Vogelperspektive
Aigner: Macht Em eigentlich noch selbst Beats? Das war der Beginn des Endes…»Okay, dann bist du einfach nur zu stur. Das Schlimme ist: Ich war ja empfangsbereit. Aber jetzt fühle ich mich, als wäre ich eine Frau und hätte Sex mit dem Falschen gehabt.«
Philipp Kunze
Kunze: Ja, macht er… ich kann nicht mehr. Ich bin so traurig. Ich will nur das Beste für Em. Wir können es ihm hier nicht geben.
Aigner: Kämpfen, Kollege, beißen, kämpfen, Alp d’Huez-Shit. Er macht jetzt halt die Musik, für die er damals auf Everlast rumgehackt hat. Nur »Wicked Ways« klingt halb kontemporär nach 10 Sekunden.
Kunze: Wir sind uns aber einig, dass es nicht einmal darum geht, kontemporär zu klingen, oder?
Aigner: Ja.
Kunze: Was hätte er denn deiner Meinung nach machen können, damit du das Album nicht ausgelacht hättest?
Aigner: Gute Frage. Dafür müsste er einfach eine komplett andere Person sein, schätze ich.
Kunze: Okay, dann bist du einfach nur zu stur. Das Schlimme ist: Ich war ja empfangsbereit. Aber jetzt fühle ich mich, als wäre ich eine Frau und hätte Sex mit dem Falschen gehabt.
Aigner: Ich weiß nicht, aber Guccis-Lean-Tweets machten mich trauriger als alles was hier passiert. Ich habe da einfach kein Mitleid. Das Album ist erwartet grausam.
Kunze: Gar nichts abzugewinnen?
Aigner: Außer »Rap God«… nicht eine Sache, die ich mir freiwillig jemals wieder anhören würde! Was sagst du denn, so als Marshall-Flüsterer?
Kunze: Aaalso, ich finde das musikalisch fürchterlich, so schlecht, dass ich mir einfach nicht erklären kann, was da die Idee dahinter war. Aber so aus der Beobachterrolle und als ehemaliger Fan finde ich es inhaltlich (teilweise) spannend. Sehr selbstreflektiert das Ganze und deshalb auch nicht so peinlich wie Du es darstellst.
Aigner: Ich finde diese superexplizite Selbstreflektiertheit halt langweilig. Das ist ein geflowtes Gespräch mit Beckmann. Da bleibt kein Raum für Leerstellen, deswegen ist das so schrecklich banal wie fast jedes Enthüllungsbuch.
Kunze: Und ich fühle mich, als müsste ich etwas für das Karma machen und sende Eminem via meiner Seele positive Vibes, weil ich ihn gerne habe. Aber wir sind uns einig: Das Album kannst du vergessen. Ich will es auch gar nicht »Marshall Mathers LP 2« nennen, dafür ist mir der erste Teil zu wertvoll.