New Record Labels – 777, Crude Wax, Infinite Waves, Outis

05.05.2016
Jeden Monat stellen wir Euch Plattenlabels vor, die neu bei uns im hhv.de Shop vertreten sind und/oder deren Entdeckung sich unbedingt lohnt. Die Auserwählten in diesem Monat: 777, Crude Wax, Infinite Waves, Outis
777 ist ein 2013 vom DJ Ron Wilson gegründetes, deutsches Plattenlabel aus Berlin. Obwohl 777 auf seiner Facebook-Seite ein gutes halbes Dutzend Produzenten als Teil der »Gang« aufzählt, kümmert sich Ron Wilson auf eigene Faust um den Betrieb. Die Gang macht die Musik, er den Rest. »Ich finanziere, organisiere, bedrucke die Cover per Siebdruckverfahren, verschicke die Platten alle selber und mache die Promo. Zum Siebdrucken hole ich mir aber immer etwas Hilfe«, gibt er zu. Eine wirkliche Philosophie verfolgt er dabei nicht, seine Hands-On-Mentalität ist Selbstzweck genug. »Meine Einstellung ist, gutes Material rauszuhauen und somit die Leute auf verschiedene Arten zu bewegen – sei es auf der Tanzfläche, im Kopf oder im Herzen.«_ Tanzmusik ist es auch, die der DJ und Promoter über 777 vertreibt: House und Techno von Pablo Mateo, Orson Wells, Brighton, Leaves, Roger23, Qnete und anderen.

Der Sound von 777 ist der bunten Mischung entsprechend mal sanft, mal struppig, mal abenteuerlustig oder ganz traditionsbewusst; mal durch Electro- und Hip Hop-Einflüsse geerdet und mal in unendliche Weiten abdriftend. »777 ist auch Fan von verspulten Trips«, stellt Wilson klar. »Dafür bieten sich die B-Seiten oder Compilations gut an. Es wird natürlich sehr viel Wert auf Qualität gelegt, und das bedeutet nicht eine klare, saubere Produktion, die dahinterstehende Idee beziehungsweise das Resultat, das für sich alleine steht und Charakter zeigt.« Den tragen die Releases des selbsternannten Kontrollfreaks, der sich nicht nur im eigenen Freundeskreis, sondern auch auf Soundcloud nach potenziellen 777-Acts umschaut und so auf Seixlack und Futers stieß, auch stolz auf den Sleeves. Der Designer Core gehört ebenso zur 777-Gang wie die gelisteten Produzenten, sagt Wilson. »Core versteht meine Vision und übertrifft diese jedes Mal!« Ganz so idyllisch ging es bei 777 allerdings nicht immer zu: Schon nach der zweiten Katalognummer dachte der DJ daran, wieder das Handtuch zu werfen. Solange, bis die nächste Demo, Glyns »Youtube Rips«, ins Haus flatterte und das Feuer neu entfachte. Ohne Gang kein Label.

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Crude Wax ist ein 2014 vom Produzenten Vincenzo Maurice gegründetes, deutsches Plattenlabel aus Berlin. »Crude«, das bedeutet so viel wie »roh«, »unbeholfen« oder »unausgereift« – wieso sollte sich das ein Label auf die Fahne schreiben? Tatsächlich aber ist bei Crude Wax der Name Programm und das Programm Distinktionsmerkmal. Monotonie und Unzufriedenheit mit dem tooligen Einheitsbrei aus Techno und House nennt Gründer Vincenzo Maurice als Ausgangspunkt. »Ich war und bin nach wie vor von der Idee begeistert, den perfekt gemixten Stücken den Rücken zu kehren, und mit Saturation, Distortion, Tapes und AMPs eine zwar für viele Menschen kaputt klingende aber dennoch dynamische und vor allem eine warme Story zu komponieren, die trotzdem auch auf den Floors funktioniert«, sagt der Berliner. Er selbst greift schließlich auch nicht auf digitale Produktionsmittel zurück. »Wenn ich digital arbeite, dann nur in Form von Brainstorms. Wenn ich im Bett liege, und neue Ideen habe, dann öffne ich eben schnell Ableton, und „schreibe“ diese Ideen nieder. Dafür ist es ziemlich praktisch, aber gleichzeitig ist es auch das Einzige, wozu ich das verwenden möchte. Digitale Releases sind dementsprechend also keine Option für mich und Crude Wax«_, stellt er klar.

Stattdessen widmet sich Crude Wax, auch das sagt der Name bereits, dem Medium Vinyl – und steckt viel Arbeit in die limitierten Releases. Während die Auftakt-Compilation mit Beiträgen von Vincenzo Maurice selbst, dem Briten Aurhythm und dem Italiener Giovanni Scala noch aus dem »Bauchgefühl« heraus entstand, dauerte es von den fertigen Tracks bis zur fertig gepressten Platte ein halbes Jahr, bis die Debüt-EP »Odd Perception« des Betreibers fertig war. »Es gibt zu viele Labels, die zehn oder mehr Platten im Jahr veröffentlichen, und das ist nicht so mein Ding. Mir ist es wichtig mich langsam und bewusst an einen Release heranzutasten, und dem ganzen seine natürlich Zeit zum Reifen zu geben.« Unterstützt wird er dabei von der Grafikerin Marie Mestwerdt, die mit ihren charismatischen Designs den roh klingenden Releases einen freundlichen Anstrich verpasst und fortlaufend in die organisatorischen Belange involviert wurde. Obwohl Vincenzo Maurice zugibt, wenig konkrete Pläne mit dem Label als solchen zu haben: In Sachen Format möchte er noch einiges drauflegen. Neben den Vinyl-Releases soll auf Crude Wax in Zukunft auch Musik auf DATs veröffentlicht werden. Hauptsache haptisch. »Mich reizt an diesen Formaten so sehr, dass man physische Tonträger in die Hände nehmen muss, um sie abspielen zu können. Für mich ist das mit einem gesunden Respekt für Musik gleichzustellen, der im Digitalen zu oft zu kurz kommt«, sagt Vincenzo Maurice dazu. Das klingt weder unbeholfen noch unausgereift und höchstens in musikalischer Hinsicht roh.

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Infinite Waves ist ein 2013 von Bjarke Rasmussen gegründetes, dänisches Platten- und Tapelabel aus Kopenhagen. Rasmussen ist kein Mensch der vielen Worte und kümmert sich am liebsten alleine um sein Label, bei dessen Betrieb am Anfang noch der Produzent Metalized Man aushalf. Ein bisschen Mithilfe allerdings kann natürlich nie schaden. »Wenn es möglich ist, versuche ich die Acts in den Prozess miteinzubeziehen. Das kann alles sein: Eine Show auf die Beine stellen, das Cover-Design und so weiter.« Anders hätte es Rasmussen mit Infinite Waves wohl auch kaum auf eine dermaßen beeindruckende Anzahl von Releases geschafft: Allein im ersten Jahr erschienen ganz acht Tapes, 2014 waren es schon 22 – in verschiedenen Formaten. »Ich denke über die Releases ganz individuell nach oder zumindest als eine Art Bündel, was immer zu recht verschiedenen Resultaten führt.«_ So erklärt sich das bunte Nebeneinander von Kassetten, Vinyl in verschiedenen Formaten und digitalen Boni, die alle mit ihrer Gestaltung mal mehr, mal weniger aufeinander zu verweisen scheinen.

Musikalisch ist Infinite Waves ähnlich divers aufgestellt, obwohl oder gerade weil sich Rasmussen am liebsten regional bewegt. »Es ergibt für mich am meisten Sinn, mit Acts aus der Umgebung zu arbeiten. Ich ziehe es vor, die Leute kennenzulernen. Außerdem ist es dann um einiges einfacher, Shows zu organisieren«, heißt es dazu lapidar. Das Resultat ist ein skurriles Gemisch, das zwischen Lo-Fi-Post-Punk, krachig-süßem Bedroom-Pop, sphärischem Ambient oder etwa der sterilen Sehnsuchts-Electronica von Assembler kaum Schnittstellen aufzuweisen scheint. »Das Label reflektiert meinen persönlichen Geschmack«, sagt Rasmussen dazu. »Deshalb hat sich die Richtung stark verändert und hoffentlich wird das genauso weitergehen. Es muss sich weiterentwickeln.« Auch das sind wieder nicht Worte, sie bringen aber die Philosophie des Labels auf den Punkt. Das heißt schließlich nicht umsonst Infinite Waves: Hier geht es schubweise voran in die Zukunft.

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Outis ist ein 2011 von Dino Sabatini gegründetes, deutsches Plattenlabel aus Berlin. Als dem italienischen Produzenten und DJ klar wurde, dass er eine eigene Plattform für seine Musik brauchte, gründete er sie kurzerhand auf eigene Faust, um seinen Horizont über das Musikmachen hinaus zu erweitern. Benannt ist das von ihm im Alleingang betriebene Label nach einem Wortspiel aus Homers Versepos »Odyssee«. »Outis«, antwortet Held Odysseus einem Zyklopen auf die Frage hin, wer dort vor ihm stehe: »niemand«. Nachdem Odysseus das einäugige Monster gehörig aufmischt, ruft der seine Kumpels zu Hilfe: »Niemand würgt mich, ihr Freund’, arglistig! und keiner gewaltsam!« Zu Hilfe kommt ihm dann auch: niemand. Und was genau hat das nun mit dem Techno zu tun, den Sabatini über Outis veröffentlicht? »Die Releases sind nach Stationen der Odyssee benannt und selbst Abenteuer voller Emotionen. Liebe, Leidenschaft, manchmal sogar Wut. Bei Homer geht es auch um Melancholie, das Verlangen, nach Hause zurückzukehren – ein Gefühl, das ich sehr gut kenne«_, so der ständig tourende Produzent. Da sich Odysseus im Zyklopen-Kapitel im wahrsten Sinne des Wortes in Anonymität hüllt und auch Sabatinis Label aus völliger Unbekanntheit heraus startete, schien diese Wahl zu dem Zeitpunkt nur Sinn zu ergeben.

Outis dient Sabatini vor allem als Plattform seiner eigenen Releases, über die er die alleinige Kontrolle haben möchte. Eine konkrete Vorstellung darüber, was fremde Produktionen mitbringen müssen, um von ihm veröffentlicht zu werden, hat er nicht. Was also macht ein Outis-Release zu einem Outis-Release? »Musikalische Forschung, Alternativen zu den üblichen Klischees zu finden und sich auf persönliche Gefühle zu konzentrieren«, lautet die Antwort Sabatinis darauf. Neben Genregrößen wie Donato Dozzy, Giorgio Gigli oder Edit Select finden so auch unbekanntere Acts ihren Weg auf Outis. Luigi Tozzi beispielsweise entdeckte Sabatini über einen Soundcloud-Mix. Wie er aber schon die musikalischen Ansprüche an Outis-Veröffentlichungen als Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen bezeichnet, so verhält es sich mit der A&R-Arbeit, welcher er nicht oberste Priorität verleiht. Stattdessen geht es ihm wie Homers Held darum, seinen Weg zu finden – ob der allerdings nach Hause führt? Sicher zumindest in unerforschte Gefilde, denn mit Outis Opera startete Sabatini eine Serie, die sich vom Dancefloor-orientierten Outis-Sound unterscheidet und experimentellen Projekten wie seiner Kollaboration mit dem Pianisten und Akkordeonisten Antonello Salis eine Plattform bietet. Dazu hat er das Label schließlich ins Leben gerufen.

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