Review Dance

Electric Indigo

Ferrum

Editions Mego • 2020

Im Lateinischen bedeutet »Ferrum« nicht nur Eisen, sondern unter verschiedenen Deklinationen auch Schwert oder irgendein aus Eisen hergestelltes Werkzeug. Den klanglichen Eigenschaften des Elements, das die Sumerer schon vor über 5.000 Jahren aus Meteoriten gewannen und daher »Himmelseisen« nannten, spürt Susanne Kirchmayr auf ihrem zweiten Album in kalt oszillierenden Kompositionen nach, deren Reiz sich nur durch aufmerksames Hören erschließt. Als Electric Indigo veröffentlichte die Wienerin vor zwei Jahren unter dem kryptischen Titel »5 1 1 5 9 3« schon zehn avantgardistische Elektronikskizzen aus glitchigem Ambient, Minimal Techno und Spuren von IDM, um zu verwirren und zu entwöhnen. Trotz vereinzelter Beats war diese Musik nur bedingt clubtauglich, aufgrund ihrer mechanischen Abstraktion aber auch nicht als Hintergrundbeschallung für zwischendurch geeignet – es sei denn, man bewohnt die untersten Etagen einer Erzmine im Mondinneren. Über den Mikrosound auf »Ferrum« ließe sich ähnlich urteilen, da die Techno-Anteile wieder sorgsam eingesetzt werden (nur drei Stücke haben einen stabilen Rhythmus) und der Fokus eher auf spröder Musique concrète liegt, die sich abgesehen von einigen Effekten und One Shots fast gänzlich aus manipulierten Samples diverser Metallgegenstände konstituiert. Viele Formen von Knallen und Krachen dröhnen durch dunkelste Räume, ein fremdartiges Raunen wallt sich etwa in »Ferrum 1_2« oder »Ferrum 6« zwischen flirrenden Geräuschfiguren auf, die wie Reaktionen einer außerirdischen Alchemie anmuten. Selbst mit auditiver Abenteuerlust bleibt Unwohlsein ständige Begleiterscheinung beim Hören. Eisen ist hier zwar das altbekannte Ausgangsmaterial, um das sich alles schichtet und zerfasert. Doch entwickelt es durch Kirchmayrs Prozessierung unwirkliche Resonanzen, die über das reguläre Industrial-Spektrum hinausgehen. Dass dieser Werkstoff, der von Krieg über Architektur bis zu Infrastruktur unsere gesamte Kulturgeschichte bis heute bedingt, an ihren Anfängen aus dem Weltall kam, ist vielleicht ebenso faszinierend wie dieses Album – sobald man sich der Implikationen bewusst wird.