Bereits seit mehreren Jahren wird von einem Shoegaze-Revival gesprochen, selbst wenn dieser Genrebegriff weniger und weniger mit den ursprünglichen Charakteristika der Stilrichtung gemein hat. Auch die großartigen Songs von Hotline TNT sind eigentlich kein Shoegaze – nicht aber, weil typische Genremerkmale (wie ultraverzerrte E-Gitarren oder Bubblegum-Popmelodien) fehlen würden, sondern weil Hotline TNT dafür viel zu, naja, rockig sind. Vor allem auf ihrem neuen Wuchtalbum Raspberry Moon, das deutlich klarer und weniger lo-fi als der Vorgänger Cartwheel daherkommt – hier klingt nichts mehr kaputt, die Stimme ist im Mix weit vorne platziert –, enthält sogar hymnenartige »Na-Na-Na«-Refrains: Das brachiale Highlight »Julia’s War« lebt von fetten Gitarren, fetten Melodien, fetten Emotionen. Große, ambitionierte Rocksongs, die von absolut gar nichts zu handeln scheinen. Die Musik von Hotline TNT klingt nicht wirklich danach, doch in ihrem ästhetischen Ziel hat Raspberry Moon viel mehr von »(What’s the Story) Morning Glory?«, also von Oasis zu ihren Hochzeiten, als von »Loveless«, der legendären Shoegaze-Bibel von My Bloody Valentine.
Das Album wurde diesmal als richtiges Band-Album aufgenommen, wohingegen Cartwheel eher als eine Art Studioprojekt von Frontmann Will Anderson entstanden ist. Gleichzeitig ist Raspberry Moon deutlich ausgefeilter: Schon der zweite Song ist ein Synth-Interlude, neben übersteuerten Zerrsounds wird auch auf Akustikgitarre & Co. zurückgegriffen – hier wollte jemand ein facettenreiches Album-Album machen und hat’s geschafft. Raspberry Moon enthält Musik, die durch jede Geräuschkulisse durchscheint.

Raspberry Moon