Sehr leichtfertig wird derzeit mit dem Etikett »Retro« hantiert, um einer Musik habhaft zu werden, die nicht in unsere hochtechnologisierte, an Sinnenreizen nicht eben armen Welt zu passen scheint. Auch bei Laura Gibson kann man leicht in diese Falle tappen. Da ist eine Frau Anfang dreißig, die keinen Hehl daraus macht, einen Hang zur Nostalgie zur haben, die Musik von einst sehr mag, auch in Sachen Kleidung »Vintage« bevorzugt und Lieder schreibt, die eben nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Doch den Blick in die Vergangenheit zu richten, heißt noch lange nicht »retro« zu sein. Zumindest nicht, wenn man aus dieser Rückwärtsgewandtheit Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen vermag. Laura Gibson ist ganz und gar gegenwärtig. Bereits auf dem 2009 zusammen mit dem Klangkünstler Ethan Rose entstandenen Bridge Carols konnte sie das beweisen, und hat dessen, auf der Reanimation und Manipulation gealterter Musikinstrumente bestehenden Soundscapes, aus einer Ferne besungen. Eine ähnliche Entrücktheit findet sich auch auf La Grande, ihrem dritten Album, nur dass die Sängerin aus Portland, Oregon hier viel mehr bei sich ist, die Dominanz der Rose’schen Electronica nun mit leichthändiger Verspieltheit begegnet und mit Flötentönen, Percussion, Piano und einer mit Nylonsaiten bespannten Gitarre ersetzt. La Grande ist dabei keinen Ton lang »retro«. Laura Gibson benutzt Folk, Country, Walzer, Traditionelles nicht als Schablone, sondern als Material und kreiert einen Sound, der durch Intimität und Vertraulichkeit eine Distanz zu jenem abgebrühten Kalkül schafft, der uns täglich umgibt. Dazu kommt, dass La Grande als Werk erstaunlich ausgewogen ist; da gibt’s keinen einzigen Ausfall, stattdessen wird eine lebendige Energie spürbar, die sich durch das Werk zieht; eine Kraft, die zwanglos und erwartungsfroh nach vorne, ja genau, blickt. »Still to this day, I can hear the whistle blow/ I can smell the sage burn,/ I may be as old and stubborn as a pine,/ but I’m still as wild as the young.«

La Grande