Krisen sind immer auch Chancen, das merken wir derzeit als global vernetzte Spezies vielleicht so tiefgreifend wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dem Wettrennen zwischen Tragödie und Hoffnung sehen sich viele trotzdem ohnmächtig gegenüber, können so gerade den Alltag in Isolation navigieren ohne abzudrehen, während der Zeitgeist in surrealer Andacht verharrt. Rafael Vogel macht in diesem Umstand etwas beruhigend Resignatives aus, dem auf »Mirror« hochmusikalisch Rechnung getragen wird. Unter seinem Namensanagramm Leafar Legov brachte die eine Hälfte von Kettenkarussell schon letztes Jahr emotionales Schwergewicht zurück in das von Redundanz geplagte Ambientgenre, mit dem entsprechend nachdenklichen Meta-Titel »Never Ending Beginnings« – ein selbst im beinahe durchgehend essenziellen Giegling-Katalog noch herausragendes Debüt melancholisch vertonter Tagträume, mit viel Harmoniegefühl und Hiss über zwei Tapeseiten gedehnt. Für die zwölf Stücke auf »Mirror« paart Vogel diese atmosphärischen Qualitäten nun mit relaxten Beats an den Schnittstellen von Deep House, Downtempo und IDM. Auf all diesen Ebenen erfolgt die ästhetische Anpassung dabei mit beeindruckender Sorgfalt, auch wenn der studierte Mediendesigner aus Hannover gerne mal ausschweifend romantisiert. Doch dass seine Fähigkeiten nicht stilgebunden sind, zeigt sich anhand der Kontraste zwischen »Fade«, selbst von Boards Of Canada nicht besser umsetzbar, der passend benannten Clubroot-Hommage »Hidden Treasure« und der gasförmigen Kammer-House-Ode »The Slip« – drei verschiedene Facetten desselben Understatements, gerade richtig mit instrumentellen Samples verziert und technisch geschmackvoll umgesetzt. Der Discogs-Hype scheint also wahr: Hier wurde ganz im Stillen etwas Großes geschaffen, das Trost in der Weltabkehr entdeckt, die jeden Menschen auf sich selbst zurückwirft.
Mirror