Man sagt, es brauche rund die Hälfte der Zeit einer Beziehung, sie zu verarbeiten. Trifft das zu, hätte Lemur noch etwa drei Jahre Leidensweg vor sich. Denn was als musikalische Bilderbuchgeschichte mit Herr von Grau 2007 begann, endete 2014 mit der Trennung von Benny und Kraatz via Facebook. Doch während für eingefleischte Fans eine Welt zusammenbrach und Kraatz sich vorwiegend auf sein L26Studio konzentrierte, tat Benny das, was ein Künstler nach einer Trennung macht – er verarbeitete sie in »Geräusche«. Mit Hilfe seines neuen Labels Kreismusik zeigt sich der Autodidakt motivierter denn je. Die Gebrüder Gwisdek aka Shaban & Käptn Peng hatten in einem Interview mit der BACKSPIN bereits 2012 Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt. Nun also – drei Jahre später – ist der Weg dafür geebnet. Schonungslos geht Lemur mit der Musikbranche und sich selbst bereits in »Der Anfang vom Ende« hart ins Gericht. Da heißt es: »Nie wieder steh‘ ich da oben und mache den Cheerleader und jedes Lied, das ich mal niederschrieb wird’n Papierflieger«. Der Frust über die Entwicklung seines einstigen Steckenpferdes geht sprichwörtlich durch Mark und Bein. Organische Beatelemente wie Streicher, Vibrafon und Drumset verleihen dem Monolog ein zusätzliches Gänsehautgefühl. Dem ehemaligen Weggefährten des Wahl-Berliners dürfte beim Hören die Schrippe im Halse stecken bleiben. Dennoch: Denken wir an die Diskographie des Duos, könnte man meinen, dass vor allem die letzten Veröffentlichungen mehr einem Konzept als einer Ideologie folgten. Damit scheint sich der Rapper nicht mehr identifiziert haben zu können, weshalb man die Metamorphose zu Lemur inhaltlich durchaus als künstlerische Wiederauferstehung wahrnehmen kann. Selbsreflektiert, satirisch und zynisch thematisiert »Benny aus’m Wedding« u.a. seine Persönlichkeiten (»Für Dich«), Großstadtleben (»Geräusche«), Systemkritik (»Alles gut«), Drogensucht (»Mein bester Freund«, »Tschuldigung«), Hip-Hop-Attitüden (»Yeah«), Kapitalismus (»Du brauchst«), Enttäuschung (»Eine kleine Hassmusik«, »Aufmerksamkeit«) sowie ungefilterte Aggression (»Befehlskette«) und unterlegt diese mit seinem unverwechselbaren 90s-Boom-Dub-Elektro-Kellergewölbe-Klangteppich.

Geräusche