Review

Paula Temple

Edge Of Everything

Noise Manifesto • 2019

Dem Politischen in der Techno-Kultur Raum verschaffen – das haben schon viele versucht, mit mal mehr, mal weniger nachhaltigem Ergebnis. Von Underground Resistance über Dr. Mottes Loveparade und den Ableger Fuckparade, bis zum ganz praktischen Engagement der Berghain-Betreiber oder den subversiven Kunstfestivals wie der Fusion. Jetzt, kurz bevor wir in die dritte Dekade des 21. Jahrhunderts eintreten, dämmert es den Generationen X, Y und Z, den »Futures Betrayed« allmählich, dass der Karren trotz lautstarker Kunst und optimistischer Naivität weiterhin vorsätzlich gegen die Wand gefahren werden soll. Paula Temple macht das genauso wütend wie die Raver, denen sie seit ihrem Comeback 2013 via DJ Mixes für Resident Advisor, FACT und Groove, aber auch in Live-Sets bei Awakenings, Katharsis oder Time Warp kompromisslosen Wucht-Techno serviert. Etwas überraschend, dass Temple als eine der profiliertesten VertreterInnen der Szene bis vor wenigen Wochen noch kein einziges Album realisiert hatte, jetzt aber mit einem überlebensgroßen Konzeptwerk um die Ecke kommt. Vielleicht zu groß? Es geht um: Schlicht alles. »The Edge Of Everything« ist Dringlichkeit in Rhythmus und Tenor, technomusikalische Stringenz und politische Warnung, die gleich zu Beginn in »Berlin« als raunender Geigerzähler-Ambient aus den Speakern quillt. Die Stadt strahlt und ist tot. Dann das Duo »Joshua And Goliath«, erst mit 120, anschließend mit 80 BPM. Eine Kampfansage in zwei Varianten, an wen auch immer. Das Konzept des Albums wird zwar deutlich, doch die Trackabfolge erscheint stellenweise ebenso willkürlich, wie die hinter ihnen liegende Message. Das Narrativ des Albums überlässt Paula Temple den postindustriellen Drohkulissen, die sie mittels satter Beats und Flächen aufspannt. So dann auch im titanischen »Raging Earth«, das zweifellos zu den besten Techno-Tracks des Jahres zählen wird. Gelungene Ambient-Intermezzi wie »Open The Other Eye« oder »Nicole« täuschen unterm Strich nicht darüber hinweg, dass den HörerInnen hier eigentlich mehr eine Sammlung prägnanter Clubhymnen, als ein rebellisches Werk mit politischer Tragweite und Substanz präsentiert wird. Dann wiederum: Konnte Techno das je leisten?