Review

PRAED Orchestra!

Live In Sharjah

Morphine • 2020

Was ist eigentlich schon traditionell, was noch populär im Sinne von zeitgemäß? Das ist eine abstrakte Frage, die im Zentrum der Praxis von PRAED steht. Unter der Ägide der Namensgeber Raed Yassin und Paed Conca erforscht das Projekt das produktive Zusammentreffen von Moulid und Shaabi, zwei unterschiedlichen musikalischen ägyptischen Traditionen, die sich auf ihre Art großer Popularität erfreuen. Shaabi und sein zeitgenössischer elektronischer Ableger Mahraganat, das ist die Musik, die seit den siebziger Jahren auf Straßen der Großstädte zu hören ist, und dessen Name sich vereinfacht mit »Pop« übersetzen ließe. Der ausufernde Sound von Moulid jedoch wurzelt in einer jahrhundertealten Sufi-Tradition, bei der islamische Heilige gefeiert werden – es ist Trance-Musik. Das Säkuläre hier, das Sprituelle dort – diese Trennung haben PRAED bereits auf vier Alben ausgehebelt, nun folgt ihr wohl umfangreichstes Werk für Rabih Beainis Label Morphine Auf der im Herbst 2018 aufgenommenen Dreifach-LP »Live In Sharjah« tun sie sich mit illustren Gästen wie Alan Bishop, Nadah El Shazly und Maurice Louca zusammen und interpretieren bestehendes Material neu, indem sie eine weitere scheinbare Opposition einführen: Kollektive Endlos-Jams geben Raum für individuelle Interpretationen der Originalstücke, die sich bisweilen extrem unterschiedlich gestalten und von den jeweiligen beteiligten Musiker*innen getragen werden. Auf gut hundert dicht bepackten Minuten geht es über operettenhaft inszenierte Drone-Musik (»The Last Invasion«) hin zu stampfenden Beats (»Doomsday Survival Kit«, »Embassy of Embarrassment« und »The Spy Who Spoke Too Much«) oder kosmisch-krautiger Musik (»Mirage 72«) und jazzigem Echtzeit-Improv (»The Micro Dwarf Wave«), bis sich das PRAED Orchestra! am Ende eines sich langsam entfaltenden, Post-Rock-ähnlichen Stücks mit einem orgiastischen Freakout verabschiedet (»IL A3SAB«). Das ist nicht nur auf dem Papier viel, sondern in seiner Gesamtheit geradezu erschlagend. Es beweist aber auch, wie ergiebig die Arbeit von Yassin und Conca ist – ob als Duo oder im Verbund mit anderen.