Vieles hat sich verändert, seit Dimitri Hegemann 1982 zum ersten Mal das Berlin Atonal im Kreuzberger SO36 als Festival für »Chaos-Forschung«, als Fokalpunkt für Avantgarde und Akusmatik etablierte. Bis zum vorläufigen Ende 1990 standen hier die Ikonoklasten neuer Musik auf der Bühne – von Industrial und Noise, über Drone und Minimalism bis zu Ambient und aggressiven Modularsynthesen. Offen für das Unerhörte, war die Idee so konfus wie kühn: Die Umpolung von Wahrnehmung. Dazu zählte das Hören und Sehen ebenso wie das Fühlen und Denken. Bei der Wiederbelebung des Festivals 2013 war die Welt aber schon eine andere: Techno hatte zwischenzeitig die Clubsphäre übernommen und gleichzeitig Popkultur aber auch den experimentellen Sektor durchdrungen. Seither werden im alten Heizkraftwerk in Berlin Mitte jährlich die Buchdeckel dessen ausgebeult, was Clubmusik jedweder Couleur sein kann – außer dieses Jahr. 2020 setzte auch Berlin Atonal aus und kondensiert das geplante Programm nun in eine Compilation von außergewöhnlicher Geilheit. Nichts weniger als die Crème de la Crème zeitgenössischer elektronischer Musik versammelt das am Festival angedockte Label auf »Berlin Atonal – More Light« und demonstriert triumphal, wie sich selbst in einem Milieu geschlossener Clubs, darbender KünstlerInnen und kultureller Kahlschläge der ganze Scheiß neutralisieren lässt – bis zum Punkt unerwarteter Resilienz. Das übliche Namedropping wird der Kuration zwar kaum gerecht, dennoch: Tunes Of Negation, exael, Vladislav Delay, Lee Gamble, Caterina Barbieri, Laurel Halo, Peder Mannerfelt und und und. Filler gibt es quasi keine. Unterm Strich der nächste Grund, warum das letzte Jahr als Startschuss und nicht als Abbruch gelten könnte.
Berlin Atonal - More Light