Der Begriff Ambient wurde in den vergangenen Jahren oft ge- und meist missbraucht. Das Revival des Genres in den 2010er-Jahren wurde von Streaming-Plattformen befeuert, die Ambient mit dem vagen Versprechen von Entschleunigung in beschleunigten Zeiten aufluden – und damit Playlists zukleisterten. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung 2020, als die Menschen leise Musik lauter drehten, um die ohrenbetäubende Leisigkeit einer Welt im Stillstand zu kaschieren. El Sol de los Muertos, das dritte Soloalbum von Concepción Huerta und ihr zweites für Umor Rex, erinnert eindringlich daran, dass die beste Ambient-Musik dieses Wellness- und Achtsamkeitsparadigma unterläuft.
Mit den sechs Stücken verfolgt die mexikanische Komponistin und Klangkünstlerin einen Ansatz, der an die besten Momente im Werk von Tim Hecker erinnert, dabei jedoch den entgegengesetzten Weg einschlägt: Anstatt ihre minimalistischen, repetitiven Kompositionen – eine gewisse Verwandtschaft zu William Basinski ist erkennbar – mit Noise zu überziehen, vergräbt sie das gruseligste Klangmaterial tief im Mix. An der Oberfläche klingt El Sol de los Muertos zunächst betulich und schön, doch mit jedem bewussten Wiederhören wird die Musik abgründiger: Unter all der Melancholie bricht sich ein allgegenwärtiges Gefühl des Grauens seine Bahn.
Das ist Ambient als Unheimliches, fast Gespenstisches – der Sound unterdrückter Gewalt, ökologischer wie politischer Natur, wie das Label im Begleittext betont. El Sol de los Muertos dient als Erinnerung daran, dass Brian Enos Definition von Ambient als etwas, das »ebenso ignorierbar wie interessant« sein solle, das Potenzial des Genres unterschätzt. Was Concepción Huerta mit diesen sechs meisterhaften Übungen in blutgefrierendem Sounddesign gelingt, belegt: Ambient kann so viel mehr, wenn die Musik auf offene Ohren trifft.
El Sol De Los Muertos
