Die Geschichte von Richard D. James’ auf Warp Records beginnt genauso verwirrend wie seine Biografie. Der irisch geborene Sohn walisischer Eltern, der seine Jugend in Cornwall verbrachte, wird 1992 zur Speerspitze eines augenzwinkernden Marketingkonzepts von Warp – und damit auf Jahrzehnte zum Aushängeschild einer Genrebezeichnung, mit der man sich ursprünglich einfach einen Spaß erlauben wollte: IDM oder Intelligent Dance Music.
Warp Records hatte sich seit seiner Gründung 1989 als DAS Label für den in Großbritannien explodierenden Bleep Techno entwickelt. Doch 1992 ist die Luft raus. Die Warehouse-Rave-Szene beginnt auszubrennen. Auf Drogen soll nicht mehr nur abgerissen, sondern gechillt werden. Elektronische Musik soll nicht mehr nur Subwoover zerfetzen, sondern auch auf den heimischen Anlagen gehört werden können.

Surfing On Sine Waves
So verabschiedet Warp Records sich 1992 langsam vom Bleep Techno und kommt so zu einer der ikonischsten Veröffentlichungsreihen der elektronischen Musikgeschichte: die Artificial Intelligence Series. Trotz ihrer Kurzlebigkeit haben die nur acht Veröffentlichungen die elektronische Musik wegweisend geprägt. Zwischen 1992 und 1994 erscheinen unter der Marketingkampagne zwei noch immer zeitlose Compilations und sechs Alben von Polygon Window, Black Dog Productions, B12, F.U.S.E. (alias Richie Hawtin), Speedy J und Autechre. Presse und Fans springen damals dankbar auf das neue Framing elektronischer Musik, die gerade in Großbritannien mit dem Criminal Justice Bill massiv unter Druck gerät.
Die Roboter, die ich rief
Der Witz dabei ist, dass Warp es vermutlich gar nicht so ernst gemeint hatte, wie Autechres Sean Booth 2016 dem Resident Advisor ins Ohr flüstert: »Die AI Serie wurde auf jeden Fall mit einem Augenzwinkern gestartet. Jeder wusste, dass das Ganze ein bisschen Quatsch ist«. Witz hin oder her, die gerufenen Geister setzen sich schnell fest. Warp Records gilt noch heute als Heimat des IDM.
Das Label muss damals bereits gewusst haben, wen sie mit Richard D. James (alias Aphex Twin, AFX, Polygon Window und ein Dutzend weiterer Pseudonyme) frisch von R&S Records abgeworben hatten. Welches Potenzial der seltsame Langhaar-Raver vom Lande mitbringt. Auf der initialen Compilation Artificial Intelligence (1992) eröffnet Richard D. James als The Dice Man und dem Titel »Polygon Window« die Serie. Ein paar Monate später wird aus dem Song der Projektname und Surfing On Sine Waves (1993) das erste Künstleralbum der Serie. Es bildete die Initialzündung dessen, was Warp Records selbst als Electronic Listening Music umriss, sich aber Jahre später als Intelligent Dance Music in den Köpfen festsetzte.
Signal und Verbindung
Dass Richard D. James den Namen Polygon Window nur für dieses Album und eine Singleauskopplung (Quoth EP, 1993) verwendet, mag damals an vertraglichen Details liegen. Schließlich war er noch kurz vorher bei R&S. Vielleicht folgt aber James auch nur einer Laune, um sich vom Erfolg seines Debütalbums unabhängig zu machen. Vielleicht verkörpert das Album für ihn einen Übergang und Abschied. Nicht nur stilistisch, sondern auch sound- und produktionstechnisch.
Surfing On Sine Waves bleibt durch sein Position als Verbindungsstück zugleich eigenständig und abschließend im Oeuvre von James.
Surfing On Sine Waves kann zweigeteilt gehört werden. Auf der LP1 klingt stark der atmosphärische aber simplizistische Ambient Techno durch, mit dem James 1992 auf Selected Ambient Works 85-92 (Apollo/R&S) bekannt wurde. Mit Quoth wird noch einmal das Hardcore-Kontinuum abgerissen, das seine ersten EPs geprägt hatte. Insgesamt bleiben die Stücke einfach, für James regelrecht zugänglich und handzahm.
Auf der LP2 wird der Klang mehrschichtiger, düsterer, zeigt mehr in Richtung dessen, was kommen würde. Das zähflüssige Acid Techno Delirium von »UT1 – dot« und des beklemmenden titellosen siebten Stückes lassen die kurze Zeit später erschienene On EP anklingen. Die Synthesizerspuren auf den fünf Titel der LP2 und nicht zuletzt der Closer »Quino – phec« geben eine Vorahnung auf Richard D. James unerreichtes, 1994 veröffentlichtes Ambient-Album »Selected Ambient Works 2«.
Surfing On Sine Waves bleibt durch diese Position als Verbindungsstück zugleich eigenständig und abschließend im Oeuvre von James. Es ist der Abschied von einfachen Technostrukturen mit klaren Referenzen, die das Album noch mehrheitlich durchzogen. Vielleicht war das auch ein Grund für das Versteckspiel hinter Polygon Window. Als Aphex Twin war James zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon in ganz anderen Klangwelten unterwegs.