Aigners Inventur – August 2015

02.09.2015
Auch in diesem Monat setzt sich unser Kolumnist vom Dienst wieder kritisch mit der Release-Flut auseinander, selektiert, lobt und tadelt. Any given month. Dieses Mal u.a. unter der Lupe: The Weeknd, Sean Price, Beach House und Zoovox.
The Weeknd
Beauty Behind The Madness
Republic • 2015 • ab 8.37€
Boah ey, Fader danke für nichts. Da mache ich mir seit zehn Tagen Gedanken wie die neue von The Weeknd denn nun einzuordnen ist, lese mit ungeahnter Energie jede noch so wilde These zur Popstarifizierung Abel Tesfayes, berate schon mal mit dem Sprechstunden-Thema und dann kommt ihr, einen Tag vor meiner Deadline und klaut mir alle Pointen? Life as a Wichtigtuer shouldn’t be so rough. Also: »Beauty Behind The Madness« ist eben nicht der volle Ausverkauf, Max Martin spielt höchstens eine periphere Rolle, in seinen besten Momenten ist das zweite offizielle Album eher »House of Balloons« als »Kiss Land« und Abel immer noch ein Riesenarschloch mit einem ungeheuerlichen Talent die herzlosesten Sachen zu sagen und diese dann chemisch zu rechtfertigen. So weit, so gut. Aber Can’t Feel My Face ist immer noch der Song des Sommers und in seiner Unverschämtheit nichtsahnende Muttis zu Yayo-Doppelagentinnen zu machen, ein Geniestreich im Breitbandpop wie er nur alle paar Jahre einmal vorkommt. Allein dafür Applaus.

Sind Selbstmitleid und Misanthropie die Leitmotive in der Musik von The Weeknd, so dürften Megalomanie und Ignoranz am ehesten 2 Chainz’ Weltbild prägen. Nachdem er erst vor kurzem DEN definitiven 2 Chainz Vers als Gast auf 3500 (For The Coat) zum besten gab, bietet »Trap-A-Velli Tre« nun leider wenig erwähnenswertes, wie auch, nachdem er zuvor bereits zu Protokoll gegeben hatte Muttermilch im Lean-Cup zu sich genommen zu haben und sich in seinem Haus primär brustschwimmend vorwärts zu bewegen. So gibt es hier einen leidlich amüsanten OC Maco Ripoff viel musikalischen Einheitsbrei und die übliche handvoll Kopfschüttel-Lines für die man 2 Chainz halt abonniert hat.

Gangrene (The Alchemist & Oh No)
You Disgust Me
Mass Appeal • 2015 • ab 24.99€
Gewisse Ermüdungserscheinungen zieht auch die neue Gangrene nach sich, was wie eigentlich immer bei den Herren Oh No und Alchemist weniger an der Beatselektion liegt, sondern viel mehr daran, dass die beiden am Mikrofon selten über Cheech & Chong-Humor und Paarreim-Holzigkeiten hinaus kommen und Gäste wie der selige Sean Price oder Action Bronson unserem Duo immer wieder die Grenzen aufzeigen.

Sean Price
Songs In The Key Of Price
Ruck Down • 2015 • ab 13.99€
Ach Püüüüü, schön, dass du zumindest posthum gerade den dritten Frühling erleben darfst. Duck Down veröffentlicht für die Trauergemeinde nun das Mixtape »Songs In The Key Of Price« und das ist nicht nur als Erinnerung seinem Lebenswerk zu gedenken eine gute Sache, sondern auch weil die skizzenhafte Struktur P-Bodys Fähigkeiten perfekt unterstreicht. Ein rotziger 32er, Impro-Refrain, on to the next one. Das macht Spaß und bestätigt mal wieder was jeder nach Sean Prices viel zu frühem Ableben sinngemäß schrieb: wer Sean Price nicht mochte, mochte sich selbst nicht.

Zoovox
Great Cats And Weak Dogs
Lectric Sands • 2015 • ab 28.99€
Alles richtig machen derweil Zoovox, nicht nur weil sie sich im Titel ihres Albums für das exzellente Lectric Sands Label dem Team Katze zuordnen (die einzige globale Glaubensfrage, die anscheinend wirklich alle beschäftigt), sondern auch weil »Great Cats And Weak Dogs« genau diesen Schluffihouse und Post-Irgendwas-Boogie auffährt, mit dem mich Konsorten wie Benedek, Moon B oder Ruf Dug immer wieder kriegen. Wenn dann gen Ende sogar noch eine Reinterpretation des immer noch göttlichen Why hinzukommt, vergesse ich mich doch direkt über den starken Dollar aufzuregen und die 25 Euro, die man mittlerweile routinemäßig zu latzen hat.

Midnight Runners
Open Labs
Omega Supreme • 2015 • ab 19.99€
Auch super: der in Indonesien residierende Midnight Runners, der dort ebenfalls diesen geil schlingernden Analog-Disco-Funk zusammenzimmert, der niemals so aufdringlich ist, dass man müsste, aber immer so fokussiert, dass man könnte. Wenn der Sommer sich jetzt noch ein, zwei Wochen mit Händen und Füßen gegen die Nieselei wehrt, könnte »Open Labs« wirklich einen sehr nachhaltigen Eindruck bei mir machen.

Lockah
It Gets More Cloudy …
Donky Pitch • 2015 • ab 9.99€
Das bereits geschafft hat Lockah, der uns auf »It Gets Cloudy« mit Androiden-Industrial zu Beginn erstmal auf die falsche Fährte lockt, ehe seine Bboyism-für-die-Generation-Hashtag-Agenda im Anschluss expliziter wird. Das ist auch deswegen so geil, weil Lockah einer der wenigen ist, der diese Electro/Boogie/Protohouse-Versatzstückelei völlig ohne Retrofetisch betreibt und gerade deswegen auch nicht mit den eben genannten Zoovox oder Midnight Runners konkurriert.

Health
Death Magic
Loma Vista • 2015 • ab 27.99€
Ich habe Nine Inch Nails nie verstanden, präexistentialistische Sommerferien im Jahr 1995 vielleicht mal ausgenommen, deswegen kann ich all die Trent Reznor Vergleiche, die sich die neue Health eingehandelt hat nur sehr unzuverlässig kommentieren. Für mich klingt »Coke Magic« ein bißchen so als hätten es dieser eine Unsympath von Crystal Castles geschafft erwachsen zu werden und endlich eine passable Platte zu machen. Damit tue ich jetzt sicher allen unrecht, aber ehrlich gesagt: ganz verstanden habe ich Health halt auch nicht. Hat das alles auch was mit Depeche Mode zu tun?

Beach House
Depression Cherry
Bella Union • 2015 • ab 25.99€
Wobei, vielleicht kapiere ich das doch, wenn Health nämlich Balladen schreiben, dann klingt das manchmal kurz wie Beach House und Beach House kapiere ich, weil jeder Beach House kapiert. Weil eine neue Beach House Platte geil ist, weil Beach House irgendwie nie etwas falsch machen, weil Beach House tolle Titel (»Depression Cherry«) haben, weil Beach House genau jenen Level an künstlicher Nonchalance aufrechterhalten, bei dem ich mich fühle als würde jemand ein Konzert in einer riesigen Waschmaschine geben und dabei knöcheltief in Rotwein stehen. Weil Beach House halt Beach House sind und mir wirklich nicht mal ein halbes Argument einfiele, daran etwas auszusetzen zu haben.

Destroyer
Poison Season
Merge • 2015 • ab 24.64€
Ach ich gebe ja zu, dass mir Destroyer nach dem Kalkül von »Kaputt«, dem Vorgänger, der ihm endlich Anerkennung jenseits der üblichen Blazer-Klientel einbrachte, sympathischer geworden ist als zuvor. Nun gut, manchmal kann diese späte Rockstargeste auch daneben gehen und schwupp hat man sich in der Selbstgefälligkeit des späten Twin Shadow verloren. Aber »Poison Season« zieht die richtigen Lehren aus dem Vorgänger. Klar ist das ein bißchen campy, ein bißchen zu prononciert im Schritt und in seinem Rockoper-Kitsch durchschaubar, aber erstens habe ich keine Angst vor Saxophonen und zweitens ist das Was wäre wenn – Experiment mit den Assoziationen Cohen und Springsteen für mich durchaus interessant geblieben.

Nun wäre es auch ein leichtes das Lieblingspuddingteilchengesicht der aktuellen Generation an Master-Absolventinnen mit Dreck zu beschmieren und Kurt Vile vorzuwerfen mal wieder das gleiche Album wie immer gemacht zu haben. Hier die zwei gut gelaunten und nicht mehr sonderlich überraschenden Pop-Singles, dort die Baby’s Arms Balladen und dazwischen ein bißchen Psych- und Noise-Kokettierei. Aber Vile bleibt auch auf »B’lieve I’m Goin Down« der souveräne Patentinhaber und nebenbei ungenierteste Vokal-Verdreher und Emphasen-Harlekin seit Young Jeezy. Und allein dieser Vergleich sollte deutlich machen, warum wir für heute den Laden mal überpünktlich dicht machen sollten.