Aigners Inventur – März 2018

14.03.2018
Er hat es alles schon gesehen: Männer-Wampen, deprimierte Stones Throw-Has-Beens, Free-Jazz-Weitwichsen. Vielleicht ein härterer Job als bei der chinesischen Internet-Zensur-Behörde zu arbeiten. Wer weiß das schon?
Roc Marciano
RR2 - The Bitter Dose Black Vinyl Edition
Fat Beats • 2018 • ab 29.99€
Es ist 95% seiner Klientel scheißegal, aber Roc Marciano kapiert Rap im Jahr 2018. Bestes Beispielt hierfür: der Opener von »Rosebud’s Revenge II«. Minimalistisches Loop, Rasierklingenflow, so weit, so Cargopants. Warum Marci allerdings auch 2018 noch Gigs außerhalb von Prag, Kuwait und Karlsruhe bekommt, erklärt sich zwischen den Zeilen. Auf die Zeile Bone to pick, oh, who you? Me? antwortet er in Sachen Adlib-Genius irgendwo zwischen Jim Jones und Lil Uzi Vert nämlich mit: MEAT. T-BONE! und es bleibt nicht der einzige komödiantische Geniestreich auf einem Album, das sich vordergründig wieder einmal so martialisch gibt wie »The War Report«. Dann quietschen da aber auf einmal noch Betten und Mamas Plätzchen werden mit der Glock verteidigt und dann und dann, ach komm, Spitzenalbum wieder.

Nipsey Hussle
Victory Lap
Atlantic • 2018 • ab 20.99€
Nipsey Hussle hat Rap 2018 ebenfalls kapiert und überspielt seine eigenen Unzulänglichkeiten weiter effizient mit Kendrick- und YG-Versen. Nun ist »Victory LALP« (much pun) kein gutes Album im traditionellen Sinn, aber weil dort mit »Last Time I Checc’d« auch die brutalste LA-Hymne des Jahres vertreten ist (in der neben diesem ganzen Bloods/Crips-Anliegen vor allem YG’s Ü-30-Wohlstands-Mini-Wampe der Star ist), sollte auch dieses Album hier mal erwähnt werden.

Dabrye
Three/Three Black Vinyl Edition
Ghostly International • 2018 • ab 26.99€
Eins vorweg: Tadd Mullinix ist ein Boss und obwohl er mir mittlerweile wesentlich häufiger als Charles Manier und JTC positiv auffällt, waren diese Dabrye Geschichten vor 10-15 Jahren wichtig, auch weil Mullinix damals fast der einzige war, dessen Rap-Beats ähnlich entrückt groovten wie die elektronischen Ausreißer der Jaylib-Achse. »Three/Three« kommt nun allerdings mindestens zehn Jahre zu spät, was nicht mal an Mullinix selbst, sondern am Rap-Lineup liegt. Mit Ausnahme der Marciano /Danny Brown und Doom-Collabos, humpelt sich hier ein bedauernswerter Superrappin-Rejects-Cast an der Seite deprimierter Stones Throw-Has-Beens durch teilweise immer noch wunderbar kalt futuristische Detroit-Bums und ich will eigentlich nur, dass »Electrocutor« viermal so lange ist.

Hailu Mergia
Lala Belu
Awesome Tapes From Africa • 2018 • ab 19.99€
Hailu Mergias Awesome Tapes From Africa Reissues mögen für Jazz-Schnösel nur charmante Demos gewesen sein, für mich illustrieren sie in erster Linie, dass bessere Musiker nicht auch bessere Musik machen. »Lala Belu«, das erste Mergia Album seit einigen Jahrzehnten, ist handwerklich bessere Musik als diese Hotellobby-Jams, trotzdem ist sie erschreckend belanglos und bastelt ein Update für einen Sound, der so untrennbar mit einer schwierigen Ära verknüpft ist, dass er einfach nicht mit US-Fusion-Konventionen, blutleerem Euro-Strebertum und (post-)modernem Free-Jazz-Weitwichsen zusammenpasst.

Hieroglyphic Being
The Red Notes
Soul Jazz • 2018 • ab 13.99€
Der Weg aus der Jazz-Sackgasse heißt »The Red Notes« und ist gleichzeitig mit das zugänglichste, was Hieroglyphic Being bisher veröffentlicht hat. Wobei sich hier Jazz nicht in Ledersesseln über Le Corbusier unterhält, sondern Schweiß in der Kimme hat. Teacher, blah, blah und überhaupt: immer geil, wenn sich House und Techno nicht erfürchtig verbeugen, sondern raffen, dass Jazz auch mal Tanzmusik war.

The Modern Institute beschäftigen sich unterdessen mit dem was von Jazz nach einem Schlaganfall übrigbleibt: Industrial-Verknotungen. Am besten ist »Another Exhibition« aber wenn dieser Nihilismus mit EBM-Vocals kombiniert wird, die ausnahmsweise die richtige Balance finden zwischen Liaisons Dangereuses – Epigonentum und Diagonal-Rudeboy-Attitüde. Ja ich weiß, fall’ ich immer drauf rein.

Franz Falckenhaus (Legowelt)
Tupolev System
Giallo Disco • 2018 • ab 13.99€
Zu spät gemerkt, ansonsten wäre Franz Falckenhaus streng genommen eine Reissue, aber wer jeden einzelnen Legowelt Release gehört hat, werfe den ersten Stein. Hier also mal wieder Goblin-Horror und radioaktives Kuscheln mit Cold Wave Synths, vintage as fuck und tatsächlich vermutlich eine der fünzig besten Platten von Danny Wolfers.

Insgeheim glaube ich, dass Rezzetts Debüt-LP ein elaborierter Troll-Job ist, ein Meta-Statement zur letztjährigen Youtube-House-Welle, Tape-Saturierung und Mastering, für das sich Punk-Fanzines geschämt hätten. Selbst die B-Seite, mit ihren Jungle- und D&B-Exkursionen wirkt wie eine E-Beamz-Satire. Oder ich liege falsch und das ist ein solides, humorfreies Hardcore-Continuum-Album, das von einem fiebrigen Säugling abgemischt wurde.

Eva Geist
Desfan
Macadam Mambo • 2018 • ab 19.99€
Der zweite Track auf Eva Geists »Desfan« heißt »Electronic Tribalism«, der vorletzte »Kletterpflanze«. Als ob, da nicht schon klar gewesen wäre, wie ich das finde…


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Oh und auch wichtig: Kilchhofers »The Book Room«. Nicht nur, weil es hier jemand schafft den gemeinsamen Nenner der Groove-Definitionen Friedmanns, Czukays und Gigers zu finden, sondern auch weil Kilchhofer hier ein perkussives Electronica-Kleinod produziert hat, das zwar abtastet, aber nie abpaust. Langer Atem first, Belohnung second.

German Army
More Bitter Fruit
Discrepant • 2018 • ab 18.99€
Wem das alles noch zu einfach war, kann sich durch »One Better Fruit« boxen, einem mal wieder labyrinthischen German Army Album auf Discrepant das stellenweise so klingt alt hätte Bryn Jones das Studio neben Mick Harris gemietet gehabt oder halt wie die misanthropischsten Coil-Momente.

Recondite
Daemmerlicht
Plangent • 2018 • ab 23.99€
Und wenn man gar keine Ahnung von Atmosphäre hat, dann lädt man sich für sein ambitioniertes Album einfach ein Streicherorchester ein, drosselt von 120 auf 95 BPM und erklärt der Welt was teutonischer Weltschmerz ist. Ist ja respektabel, dass Recondite mit »Dämmerlicht« ein Album gemacht hat, für das sich der durchschnittliche FDP-Raver überhaupt nicht interessieren wird, aber Recondites Version von Boards Of Canada ist so erschreckend plump, dass das alles hier eigentlich prädestiniert ist, der Soundtrack für den nächsten Saarbrücken-Tatort zu werden.

Alva Noto & Ryuichi Sakamoto
Glass
Noton • 2018 • ab 25.99€
Die bessere Wahl hierfür wäre selbstveständlich »Glass«, ein gut halbstündiges Ambient-Stück von Alva Noto & Riyuchi Sakamoto, aber ganz ehrlich: ohne Bilder ist das angesichts der Beteiligten dann doch eine mittlere Enttäuschung. Besser mal in diese »Async Remodels« reinhören, die sollen ja gut sein.

Khruangbin
Con Todo El Mundo Black Vinyl Edition
Night Time Stories • 2018 • ab 33.99€
Also von Khruangbin dachte ich ja, das wäre so eine Band für Bachelors, die gerade von ihrer Weltreise zurückgekommen sind und es noch nicht besser wissen, als jede Anekdote mit einer Selbstverortung zu ruinieren. Aber sieh’ an, in »Con Todo El Mundo« reingehört und gedacht, das ist ok, das ist ein Sahel Sounds Lite, da lümmelt etwas Dreems, da trommelt hier und da Nicola Cruz; unverbindlich, aber nicht scheiße.

Bebe Fang
Bebe Fang
Vrystaete • 2018 • ab 23.99€
Ich so dem Kunze gesagt er solle mal Bebe Fang checken, weil sehr gut. Er so geantwortet: Wahnsinn. Soundtrack zum Film über den dänischen U-Boot-Häcksler. Ich gerafft, dass ein ehrliches »Touché« besser ist, als hier nochmal ellenlang auszuführen, warum das die Atmosphäre dieses Albums viel zu perfekt trifft.

Dino J.A. Deane
For Leena
Lullabies For Insomniacs • 2018 • ab 19.99€
Danach noch die Bitte, er möge Dino J.A. Deanes »For Leena« kommentieren, eine weitere Lullabies For Insomniacs-Kuriosität, auf der der alte Jon Hassell-Spezi und Sampling-Avantgardist unveröffentlichten Kram aus den Jahren 1991-1998 versammeln lässt. Kunze, dieser polyglotte Teufelskerl: turned on by default, turned down by reality. Ich gebe auf, das ist nicht mehr meine Inventur.


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