Aigners Inventur – Mai 2018

09.05.2018
Auch bei Aigner ist die Future female: die Highlights diesen Monat kommen fast ausschließlich von Frauen. Kein Platz also eigentlich für Bierbongs und lecker im Speckmantel verpackte Mediokrität. Aber muss halt. Die Inventur.
J. Cole, der größte Ichbinsoeinmensch – Knilch im Rapgame, ändert auf seinem neuen Album die Strategie und erklärt dir in erster Linie was für ein Mensch du bist. Das tut er in 90% der Fälle entweder auf anmaßend überhebliche, emotional gehandicappte oder schlicht dümmliche Art und Weise. Musik für Bausparer also, die immer noch sehnsüchtig auf ein neues Phonte-Album warten, sich aber auch ein stattliches Mumble-Rap-Meme-Wissen drauf geschafft haben, um fundiert erklären zu können, warum J. Cole mindestens der Milleniums-Nas ist. Ein Ärgernis von einem Album, Mensch.

Und nochmal Ärger, weil Post Malone einfach weg muss. Son Raw hat sich bei Passion Of The Weiss schon leidenschaftlich mit der »Beerbongs & Bentleys«-Problematik auseinandergesetzt und ich gebe hier nochmal zu Protokoll, dass auch ich damals auf »White Iverson« hereingefallen bin, aber wer 2018 Post Malone pumpt, hat sich die »N 2gether Now«-Maxi damals auch wegen Fred Durst gekauft.

Yung Hurn
1220
Live From Earth • 2018 • ab 19.99€
Langweilig hingegen der Yung Hurn Backlash, nur weil mittlerweile jeder deutschrapferne Normie ok, cool inflationär in seinen Alltagssprech hat fließen lassen. Warum es aber unfair ist Hurn zuverdeichkindlichen, zeigt »1220« souverän. Gerade weil sich auf großer Bühne deutschsprachig so wenig dadaistisches getan hat seit des NDW-Overkills annodazumal, sollte man die Institutionalisierung Hurns nicht so verkrampft sehen, läuft doch immer so mit Kunscht.

DJ Koze
Knock Knock
Pampa • 2018 • ab 29.99€
Neue Koze, arschigster Satz zuerst: Das beste an einer neuen Koze-Platte ist die Flut an neuen Koze-Interviews, jedes für sich eine Perle der gepflegten Unterhaltung und, ja, bei uns sogar mit bitterstem Foreshadowing des Avicii-Dialogs Aber zur Platte: »Knock Knock« klingt wie ein Best-Of Album zusammengeschustert aus »Reincarnations«, »DJ Kicks« und »Amygdala«. Koze hat auch endlich Hip Hop in seinen eigenen Produktionen wieder umarmt, French House wird als Festival-Granate in den Ring geschickt und ansonsten ist das hier vor allem eins: thinking man’s Kuschelpop mit vielen Gästen, auf die man eigentlich gar keinen Bock hatte, die dann aber doch ungefragt lecker Datteln im Speckmantel und Donauwelle mitbringen.

Mr. Fingers (Larry Heard)
Cerebral Hemispheres
Alleviated • 2018 • ab 24.99€
Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt gute Argumente gegen Larry Heards GOAT-Status in Sachen House geben kann. Heard müsste also 2018 keine Platten mehr veröffentlichen, insbesondere nicht als Mr Fingers, jenem Moniker also mit dem Heard grob überschlagen für locker drei der zwanzig wichtigsten House-Singles überhaupt verantwortlich war. »Cerebral Hemispheres« größter Fehler ist dann vielleicht auch, diese unter diesem Namen zu veröffentlichen. Heard macht hier nämlich das, was er unter seinem bürgerlichen Namen schon immer gemacht hat: stilistisch freigeisten, von kristallinem Acid über Midtempo-Bossa-House zu cleanem Sade-Pop und das auch noch über die fast schon dreiste Spielzeit von gut 2 Stunden. Die 2016er-Maxi auf Clone hatte das alles schon wesentlich pointierter und fokussierter zusammengefasst, aber ey, der Typ darf machen was er will.


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Ras G & The Afrikan Space Program
Stargate Music
Leaving • 2018 • ab 23.99€
Stargate Music is a record that I livicated to the Womb-man…to the Vagina, The Stargate from which beings emanate life on this planet. I gathered these sound pieces and presented it as a reflection of the life cycle of beings on this planet. From The Primordial Water Formation we flow thru The Stargate….and one’s great journey reconnecting and returning to the sweet nectar that is The Stargate….and this is the soundtrack to the journey.
Ja, ne, jetzt warte halt mal, die neue Ras-G ist echt okay. Wirklich.

Pablo's Eye
Spring Break
Stroom • 2018 • ab 22.99€
Uh, Stroomy-Ziggy back. Also nicht, dass wir nicht eh fast jeden Monat irgendeine tolle, halbunveröffentlichte Kuriosität von Nosedrip serviert bekämen, aber »Spring Break« der (natürlich) obskuren (natürlich) belgischen Band Pablo’s Eye ist wieder einmal etwas besonderes. Verschwitzter als sonst, aber immer noch mit dieser leicht paranoiden Grundstimmung, die sich auch durch Nosedrips Mixes zieht, verwischen hier die Grenzen zwischen 1989, 1999 und 2029. Zeitlose Musik auf einem Reissue-Not-Reissue-Label, quod erat geilum.

Yves Tumor auf französisch und italienisch – Cecilias »Adoration« ist eine störrische Sensation von einem Album, Darkwave-Nihilismus clasht mit Spoken Word Eskapismus, Neoclassical wird zur Gossenmusik, Industrial kapiert endlich wie das mit dem Hardcore Continuum gemeint war und trotzdem ist das eigentlich vor allem ein melancholisches Post-Pop Album mit akuter Agoraphobie.

Lucrecia Dalt
Anticlines
Rvng Intl. • 2018 • ab 18.99€
Zur Review
Überhaupt, wie Frauen diesen Avant-Scheiß dieses Jahr wieder dominieren. Auch das neue Album von Lucretia Dalt ist sehr gut, wenngleich als Ganzes nicht so griffig wie die Mnml-Tribal-Single »Tar«, für die alleine es sich schon lohnt »Anticlines« zu kaufen. Auf »Glass Brain« demonstriert Dalt dann noch, dass sie ihre Asmus Tietchens Hausaufgaben gemacht hat und wer starke Nerven hat, versucht sich mal an einer Dekonstruktion des ersten Songs.

Grouper
Grid Of Points
Kranky • 2018 • ab 20.99€
Etwas haptischer dann »Grid Of Points«, das neue, innerhalb von anderthalb Wochen geschriebene Grouper Album, auf dem Liz Harris die maximalen Fühls aus ihrem Piano kitzelt, ohne Kitsch oder Pathos auch nur zu streifen. Klar ist das auch Musik, die neblig ist, aber am schönsten wird das vermutlich als emotionale Erdung auf einem Festival wie dem Le Guess Who


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Robert Görl of DAF
The Paris Tapes
Grönland • 2018 • ab 24.99€
Ich bin ja Robert Görl-Ultra, nach der »Das Ist DAF« – Biographie sogar noch mehr. Und so unnötig 99,8% aller RSD-Releases dieses Jahr wieder waren: dass wir jetzt endlich dessen »Paris Tapes« zu hören bekommen, legitimiert den ganzen Zirkus eingentlich schon wieder. Entstanden in einer DAF- und perspektivlosen Zeit Mitte der 80er in Paris, nach Görls tragischem Unfall eigentlich komplett verworfen, gibt es hier neun Drum-Machine-Sequenzen, auf denen sich Görl mehr Synth-Schwelgerei gönnt als bei DAF je erlaubt war. Ach, der Robert <3

The Caretaker
Everywhere At The End Of Time - Stage 4
History Always Favours The Winners • 2018 • ab 32.99€
Alben von The Caretaker waren noch nie Easy Listening, wie beklemmend Musik aber wird, wenn sie in einen pathologischen Kontext gestellt wird, zeigt sich auch auf dem vierten Teil seiner auf sechs Teile angelegten Demenz-Vertonung. »Post Awareness« und »Temporary Bliss« heißen die Stadien und Musik war selten so nah dran an Haneke wie hier.

Jon Hopkins
Singularity Blue Vinyl Edition
Domino • 2018 • ab 25.99€
Danach wirkt »Singularity« beinahe popcornig. Jon Hopkins hat jedenfalls sowohl die Nachbarschaft zu, als auch die Produktionsassistenz für Bonobo ohne weitere Blessuren enstanden, wobei natürlich auch Hopkins schon eine halbe Ewigkeit der intellektuelle Joker ist für Fusion-Eventler. So trentemöllert er sich hier souverän durch Moll und Dur, krautelt und arpeggiot, klaut bei Kompakt 2002 und Four Tet und klimpert uns zum Schluss noch einen Frahm. Perfekt verpackte Mediokrität und damit vielleicht doch näher an Bonobo als zunächst geglaubt.

Vielleicht schiss Hopkins aber auch nur so ab, weil ich schon so hibbelig auf Gábor Lázár wartete. Die Referenzen auf »Unfold« sind einigermaßen klar: einmal von RDJ über Logos, Joe und Ploy zu Soundhack und Objekt. So weit so geil, ihr ahnt aber noch gar nicht was das wirklich für ein Killeralbum ist. IDM mit Glock auf dem Beifahrersitz, lezzzzzgitit.

Sterile Hand (Silent Servant)
Sterile Hand
Ecstatic • 2018 • ab 17.99€
Zur Review
Mir geht’s mit Sterile Hand wie Schnucki Kunze, der in seiner Review auch bereits feststellte dass hier in erster Linie das Body in Electronic Body Music so nachdrücklich betont wird, dass Motzinventar und Innovationsgeunke völlig fehl am Platz, respektive Brustkorb, sind. »The Hunter«, Brett des Jahres, weißte Bescheid.

Lena Willikens
Selectors 005
Dekmantel • 2018 • ab 23.99€
Wer irgendetwas an Lena Willikens‘ Beitrag zur »Selectors«-Reihe auszusetzen hat, kann gerne die nächsten fünf Jahre aussetzen, weil this shit ain’t goin‘ nowhere anytime soon (sorry, gestern neue Atlanta-Folge geguckt). Fantastisch auch, dass Willikens hier überhaupt keine Anstalten macht Discogs-Sharks mit überteuertem Grailzzzz-Gehabe zufriedenzustellen, sondern jeden einzelnen Beitrag nach Soundästhetik auswählt und dabei sogar noch mehr als eine handvoll exklusiver neuer Tracks von Freunden wie Borusiade, Garland, Towlie oder Parrish Smith unter bekommt. Deswegen spielt Willikens überall alle an die Wand, während du immer noch Mutant Sounds Postings in FB-Gruppen zweitverwertest.


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