DJ Koze über Nixchecker, andere Menschen und die Freude an der Talfahrt

31.03.2025
Foto:Wer hat die Kokosnuss geklaut? © Gepa Hinrichsen (Pampa Records)
DJ Koze bleibt einer der interessantesten Musik-Produzenten und einer der besten Gesprächspartner des Landes. Wir haben ihn wiedergetroffen – und es war sehr schön.

»Sieben Jahre, fast auf die Woche genau«, Stefan Kozalla und ich stellen bereits bei der Begrüßung fest, dass unser letztes Interview für das HHV-Mag eine Ewigkeit her ist. Es ging damals um die Schwierigkeit, nach einer ekstatischen Partynacht wieder im »heimischen Hafen anzulegen« oder welches Verhältnis er mittlerweile zu Hip-Hop (»immer noch dabei«) und Rap (»brauch ich nicht mehr unbedingt«) pflegt. Anlass war die Veröffentlichung seines dritten Albums »Knock Knock«.

Vor allem sprachen wir aber über die Spuren, die DJing, Touren, Reisen, Hotels und ständiges Feiern auf der Seele hinterlassen. Es war, was in diesem Metier eigentlich nicht mehr vorgesehen ist, ein Gespräch – und kein Interview. DJ Koze ist halt das, was man in seiner Heimat Hamburg so selten findet: Ein Schnacker vorm Herrn. Ein vortrefflicher Gesprächspartner war er genauso bei unserem neuesten Zusammentreffen, das nicht in dem alten Frage-Antwort-Spiel der Feuilletons mündete, weswegen bei Koze schnell ein Stein vom Herzen fällt.

Klar, im Mittelpunkt steht sein neues Album »Music Can Hear Us«, das wieder ein behänder Mix an Features (u.a. Damon Albarn und Marley Waters) und dem kontrollierten Wahnsinn, der DJ Koze-Tracks in jeder Playlist hervorstechen lässt. Aber man kann nicht über das Album sprechen, ohne über Produzenten-Magie, Eskapismus und Corona zu sprechen. Gesagt, getan. Traditionsgemäß driften wir ohnehin erstmal ab…



HHV Mag: Wir tauschten uns im Vorgespräch über den neuen Mega-Club in Wuppertal aus: Das Open Ground. Wusstest Du, dass die alte Technolegende Mark Ernestus dort beteiligt ist?
DJ Koze: Lustig. Als ich in meiner letzten Jahreszusammenfassung gesehen habe, dass ich 498-mal Rhythm & Sound gehört habe, habe ich Mark einen Screenshot gemacht und geschickt.

Wie kam es dazu, dass Rhythm & Sound bei dir so viel Platz im letzten Jahr eingenommen hat? Woher kommt die Faszination?
Das ist für mich immer noch die beste Musik – weil sie oft versucht, gar keine Musik zu sein. Rhythm & Sound war kein Projekt, dem es um Töne ging, sondern um Geräusche. Also eine Musik, die nicht auf Harmonien, Melodien, die klassische Musiktheorie setzte, sondern eine Musik, die Maschinen zum Singen gebracht hat.

Dub ist schlicht und ergreifend eine sehr geniale Strukturmusik, deren Formel schnell gelöst ist, aber dafür umso mehr Freiräume lässt, oder?
Genau, es lässt sehr viel Platz, was dazu führt, dass du nach acht Sekunden denkst, du verstehst alles – »okay, das ist jetzt der Rhythm«. Und dann geschehen dennoch die Unvorhersehbarkeiten. Sprengsel; Störgeräusche; Sounds, die durch das Universum des Tracks fliegen. Das ist eine einfache Formel – aber eine geile.

Das Mischpult und das Studio wurden im Dub zum Hauptinstrument der Pioniere King Tubby und Lee Scratch Perry. Künstler wie Mark Ernestus und Moritz von Oswald haben diesen Ansatz weiterentwickelt. Hast du das Gefühl, dass Du Dich als Produzent elektronischer Musik in diese Tradition einreihst?
Ich bin mir nicht sicher. Das klingt mir zu linear. Das würde bedeuten, ich mache Musik WIE Rhythm & Sound, aber das könnte ich gar nicht. Genauso wenig, wie ich zum Beispiel ein Sun Ra-Stück machen könnte. Ich kann nur versuchen, die in meine House- und Technotracks zu übersetzen.

»Ich finde das eher beeindruckend, wie wenig die Leute checken.«

DJ Koze


Eher wie ein eingepflanzter Avocadokern, aus dem dann der Track entwächst?
Ein super Bild: Wie ein Seed, der sich einnistet. Sun Ra, das ist Chaos. Das ist das Gegenteil von gerader Bassdrum und der Mathematik der Techno-Musik. Aber man kann von Sun Ra etwas rüber retten. Momente, die man fühlt, die unmathematisch sind und vielleicht etwas kaputt, aber gerade deswegen so wertvoll und toll. Aber am Ende hört das keiner raus. (lacht)

Was meinst Du damit?
Ich meine, dass es oft eine konkrete oder abstrakte Idee für ein Stück gibt, die ich geradezu manisch verfolge – und die Resonanz der anderen ist dann: Das ist ein cooler Beat. (lacht nochmal)

Ärgern Dich solche Nachlässigkeiten oder lapidaren Kommentare?
Ich finde das eher beeindruckend, wie wenig die Leute checken. Selbst wenn ich einen abstrakten Gedanken verfolge, entsteht bei mir daraus ja keine abstrakte Musik. Ich werde sogar immer konkreter, denke ich, beinahe plakativ.
Dann sitzt aber jemand im Interview vor mir und spricht von der Exotik oder der Hässlichkeit, die in meinen Tracks versteckt seien. Da frage ich mich auch nur: »Was meinst Du mit Hässlichkeit? Was meinst Du mit verstecken?« Ich habe sieben Jahre daran gearbeitet und daran rumgesqueezt, damit das nicht »hässlich« ist.

Dass deine Stücke einen Inhalt in sich tragen können, den du nicht intendiert hast, das grenzt an eine tiefenpsychologische Binse, aber: Meinst du nicht, dass angesichts der großen weltpolitischen Ereignisse – Krieg, Pandemie – sich auch Facetten reingeschlichen haben, die sich als hässlich oder melancholisch bezeichnen ließen?
Alle merken, dass in der Welt etwas passiert ist; alle merken auch, dass das Produzenten wie mich nicht unangetastet lässt. Aber vielleicht bin ich da, trotz einer Altersmilde, die ich bei mir entdecke, zu kritisch. Ich sitze halt in meinem Savant-Autismus-Schloss und weiß ganz genau, was ich mir gedacht habe, möchte darauf aber nicht angesprochen werden. Schwierig.

Schwierig war auch die COVID-Pandemie, to say the least… Beim letzten Mal haben wir festgestellt, dass wir beide unsere Erfahrungen mit Hypochondrie gemacht haben. War Corona für dich die Hölle?
Im Gegenteil: Ich habe mich auf jeden Lockdown gefreut. Ich bin ohnehin Distanz-süchtig, mir kam das alles entgegen.

Corona hat sich bei dir eher als soziale Fragestellungen des Zusammenlebens und unseres kapitalistischen Lebensentwurfs abgebildet?
Eben. Ich bin durch Hamburg gelaufen und habe mir die Frage der Systemrelevanz gestellt. Ich lief durch die Einkaufsstraßen und alles war geschlossen. Und ich fand das richtig: Wer braucht Antikscheißmöbel, Gucci, edle Vorhänge?

DJ Koze © Gepa Hinrichsen (Pampa Records)

Hat das dein Bild vom Feiern nachhaltig verändert?
Ja und Nein. Ich war sehr froh, dass ich nicht mehr reisen musste, nicht mehr auftreten musste. Ich würde am liebsten gar nicht auflegen müssen.
Aber das hat sich auch schon wieder geändert, leider. Ich habe ein starkes Bedürfnis, mich mit anderen zu vergleichen und zu messen. Sobald das Hamsterrad wieder anlief und ich gesehen habe, dass die anderen wieder auftreten, musste ich auch mitmischen. Wenn ich Instagram aufmache und sehe, dass da jemand vor 30.000 Menschen in Mykonos auflegt, ich hingegen gerade Pizza bestelle… das geht nicht.

Ich nehme an, dass Corona auch eine Zeit war, in der du am Album gearbeitet hast, richtig? Auf der Platte findet sich erneut ein bunter Strauß an Features. Mit Sophia Kennedy und Ada gleich zwei Künstlerinnen, mit denen Du schon gearbeitet hast…
Das ist die neue Ada, sag ich immer. Die steht jetzt auf Doo-Wop, 50er Jahre-Kram.

Ok, aber davon merkt man zumindest bei dem Stück mit Ada und Sofia Kourtesis, »Tu Dime Cuando«, wenig.
Das war auch so eine Nummer, die ich lange nicht geknackt bekommen habe. Die Stimmen sind ursprünglich drei Halbtöne tiefer. In ihrem natürlichen Tonspektrum klang zwar alles richtig, alles an seinem Platz, aber ich blieb unzufrieden. Dann habe ich, TikTok-Style, die Stimmen hochgepitcht und plötzlich klang das…

DJ Koze Listening Party with Ada
10Apr. 2025
Berlin • HHV Store

…nach Hyperpop?
Ja. Mit Artefakten und so schön downgestrippt. Es gab am Beginn des Produzierens einen Moment, den fand ich gut und danach bin ich darüber hinausgegondelt. Da sitzt man da und denkt: Ich spüre nichts mehr. Wenn man da erstmal ist, dann kommt man nicht mehr so einfach zurück. Und als ich dann den Pitch geändert habe, war plötzlich wieder etwas da, das mich hat fühlen lassen.

Wann weißt Du, dass ein Stück fertig ist?
In dem Fall gab es einen Moment, da dachte ich: Jetzt checke ich gar nichts mehr. Das ist eigentlich ein gutes Zeichen.

Und was haben die beiden Sängerinnen gesagt?

Das klingt jetzt komisch, aber bei mir haben die Gäste gar nichts zu sagen.

Oh, das musst du erklären.
Ich nenne jetzt keine Namen, aber da singen sie auf ihrem iPhone eine Notiz ein und dann war es das. Dann mache ich stundenlang Feenstaub drüber, lasse die ganze Magie walten und es so aussehen, als wäre es das Normalste auf der ganzen Welt. Nee, wirklich. Die wissen manchmal gar nicht mehr, dass sie mir das gegeben haben… (lacht verlegen)

Sophia Kennedy, die ja auch in Hamburg wohnt, mit der du schon lange zusammenarbeitet, die kommt doch bei dir vorbei.
Was meinst du? Bei »Die Gondel« lief es wirklich wie gerade beschrieben. Sophia und ich schrieben eines Abends sedierte Nachrichten hin und her. Im Anschluss schrieb sie innerhalb von einer Nacht das Stück, hat es eingesungen, mir geschickt und dann habe ich das alles zusammengefügt und in Form gebracht. Menschliche Anwesenheit ist überbewertet. Das solitäre Arbeiten ist der beste Modus des Musikmachens. Dann kann das Gehirn durchgaloppieren.

»Wenn ich Instagram aufmache und sehe, dass da jemand vor 30.000 Menschen in Mykonos auflegt, ich hingegen gerade Pizza bestelle … das geht nicht.«

DJ Koze


Ich weiß immer noch nicht, ob du mich Hops nimmst; was Du gerade sagst, passt aber zur alten Formel von Gabi Delgado von DAF: Musik muss autoritär entstehen.

Sehe ich mittlerweile genauso. Wenn man zu zweit an einem Tisch sitzt, dann heißt es immer: »Was denkst du darüber? Wie sieht der Zielkorridor für die nächsten Stunden aus?« Bis ich das geklärt habe, habe ich zwei Tracks fertig produziert.

Weißt du, woran das liegt?
Musiker sind eitel und sagen immer etwas, wenn sie gefragt werden. Das Ergebnis sind Null-Aussagen. Hundertmal erlebt. »Passt der Track oder muss man da noch was machen?« Da sagt kein Musiker: »Ja, ist super so.« Am Ende kommt jemand mit dem Vorschlag, da noch eine Triangel einzufügen.

Aber du hast doch lange (Fischmob, International Pony) mit anderen Musikern zusammengearbeitet.
Mittlerweile denke ich, dass da manchmal auch das Problem liegt. Da kommen zwei Personen mit festen Gedanken zusammen und man verteidigt die ganze Zeit seinen Vorschlag. Der Kompromiss ist scheiße. Da will einer Oasis machen und der anderen Drum’n’Bass wie Goldie. Im besten Fall entsteht dabei Oasis mit Drum’n’Bass-Beat. Was aber auf gar keinen Fall entsteht, ist etwas, was mit dem Ursprungsgedanken nicht zu tun hat, was Geniales, wie – sagen wir mal – Sun Ra.

Das klingt konsterniert.
Gar nicht. Ich habe nur festgestellt, dass man super Musik machen kann, wenn zwei Leute ihren Input geben und gar nicht darüber sprechen. Wie mit Sophia: Die schickt mir ihren Gesang und ich mache dann das Stück. Das Ergebnis ist super, finde ich, aber wir haben da kein einziges Mal darüber gesprochen. Ich rede nicht bei Sophia in den Text rein; sie schreibt eh die einzigartigsten Lieder in Deutschland. Alles sehr mystisch und magisch und undurchdringbar. Ich lasse sie da machen. Sie redet mir dafür nicht in die Kanonsalven und die arabischen Sounds rein. Und dann sitzt da wieder einer beim Interview und sagt: Was soll das alles bedeuten? Klar, dass man eine solche Frage stellt, wenn man vorher »Bauch, Beine, Po« von Shirin David gehört hat.

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Ich weiß, dass die Überleitung nicht so gelungen ist, aber ich hoffe du verzeihst das: Das Gegenteil von Shirin David ist ja Sun Ra, den du bereits eben mehrfach angeführt hast.

Für mich ist Sun Ra nicht nur wegen seiner Musik wichtig, sondern wegen diesem generellen Gedanken des Eskapismus: Wir müssen rausfliegen, neue Welten entdecken. Dieser Gedanke hat das Album nachhaltig geprägt.

Klar, »Space is the Place«, schön und gut, aber sich zu bewegen, heißt zugleich Gefahr. Die Gefahr sind immer die anderen oder, wie wir von Star Trek wissen, der nächste Planet.
Man muss doch riskieren und schauen, was passiert. Wenn dann der Fall, wie das andere Stück mit Sophia Kennedy heißt, ins Bodenlose kommt, dann sollte man diesen Fall wenigstens umarmen. Enjoy the Talfahrt!

Wirklich?
Naja, ich rede mehr, als ich es praktiziere. Weil… Ich habe immer noch Angst!

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