Jonquera bringt Drones auf die Tanzfläche und es gibt kein Entkommen

04.09.2023
Foto:© Clément Bertrand
Erst rumpelte er als Teil von The Pilotwings krawallig auf den Dancefloor. Dann quälte er das Publikum. Jonquera hat seinen Sound gefunden.

Zwar gilt Lyon als Welthauptstadt der Kulinarik, doch darüber hinaus fristet die Millionenstadt zwischen Rhone und Saône trotz seiner Größe und der reichen Geschichte ein Schattendasein im kulturellen Alltag der Franzosen. Nach Paris und Marseille bleibt nicht viel Platz zum Glänzen. Scheinbar. Dabei macht vor allen Dingen die alternative, undergroundige Tanzmusik-Szene der Stadt schon länger von sich reden: Das liegt nicht nur an dem womöglich schönstem Club Frankreichs, dem Le Sucre im Hafen der Stadt, das als Robert Johnson Frankreichs gilt, sondern vor allen Dingen an den Akteurinnen wie Sacha Mambo von Macadam Mambo, dem Community Radio LYL und dem Label Brothers From Different Mothers, das hier seinen Ausgang genommen hat. Auf die ein oder andere Weise connected mit oder beteiligt an all diesen Creative Hubs, wie man heute sagt: Guillaume Lespinasse, besser bekannt als Jonquera.


The Pilotwings, das Duo, das Lespinasse mit Louis de la Gorce bildet, erschien 2014 erstmalig auf dem Bildschirm beziehungsweise als Track im Club. Die beiden Spielkameraden (»Unsere Eltern waren schon befreundet, bevor wir überhaupt geboren wurden«) wurden anfangs noch streng unter der Hand gehandelt, entwickelten sich alsbald zum Dancefloor-Geheimtipp mit ihren etwas zotigen, weirden Break-House-Nummern. Hier kann man eine kleine Anekdote einstreuen: Anfang 2016 durfte ich The Pilotwings als Booker in einem Kölner Club begrüßen. Die zwei, noch sehr jung, grün hinter den Ohren, sprachen kein Wort Englisch, geschweige denn Deutsch. Ein zweisprachiger Freund saß mit im Auto, das aus Lyon nach Köln aufbrach. Durch den Club, die Kommunikationsbarriere und ihren ersten Auftritt außerhalb Frankreichs wirkten beide eingeschüchtert, was jedoch in dem Moment verfliegen sollte als Lespinasse und De la Gorce an die Plattenteller traten. Auf einmal standen da zwei selbstbewusste DJs, die schon damals einen rabiaten und sehr flotten Techno mit gewisser Rummeligkeit pflegten.

»Gelegentlich versuche ich mich in voll-improvisierten Live-Sets, die immer im Free Jazz enden: Sehr befriedigend für den Macher, womöglich langweiliger als Zuhörer*in.«

Jonquera


Das beschreibt Lespinasse auch heute noch vortrefflich, wie sich bei unserem Treffen beim Weekender Festival im ostbelgischen St. Vith wieder zeigen sollte. Mittlerweile die englische Sprache fließend sprechend (man ist in den letzten Jahren sehr viel getourt), ist er ein zurückhaltender Zeitgenosse, der seine Antworten vorsichtig abwägt und sicher nicht auf Krawall gebürstet ist. Er habe für sein Solo-Alias einen musikalisch anderen Ansatz gewagt – weg vom Dancefloor, näher am Programm der kleineren Boutique-Festivals wie dem Weekender.

Uralte Flüche und immer was Neues


Das gehe schon zurück auf seine Jugend als er Schlagzeug gelernt hat und mit einem Freund ein Piano/Drums-Duo gründete, das sowohl Jazz als auch The Prodigy reproduzierte. Abenteuer wagen, experimentieren, Erwartungen durchbrechen – Vektoren, die man auch heute in Lespinasses Musik wiederfindet. Das droht, so erzählt er, auch Überhand zu nehmen: »Gelegentlich versuche ich mich in voll-improvisierten Live-Sets, die immer im Free Jazz enden: Sehr befriedigend für den Macher, womöglich langweiliger als Zuhörer*in. Ich nenne diese Situationen ›Geiselnahme‹ – bei meinem letzten Drone-Piece war es so voll, dass es wirklich unmöglich war zu entkommen.« Der profunde Stress in den Augen des Publikums sei ihm in Erinnerung geblieben. So entscheidet er sich weitaus häufiger für einen Ansatz, der auf seinen veröffentlichten Songs basiert, aber Platz zur spontanen Kreation lässt.

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Beim Weekender-Festival kann man das gleich zweimal sehen: Einmal solo als Jonquera, wo er Dub-Wände durch einen Kinoraum schickt, diese aber mit so etwas abwegigen wie Animal Collective-Folk-Gitarren verbindet, was in der Kombi sogar einen Touch von Björk entwickelt. Und als Duo Adiciatz, das er mit seiner Partnerin Manon Nogier gegründet hat: Faszinierende Pop-Songs mit mittelalterlichem Unterton – wie Dudelsack-Drones – und in der antiken südfranzösischen Minderheitensprache Okzitanisch vorgetragen, was beizeiten an uralte Flüche erinnert. Wenngleich die Songs mehr gesäuselt als geflucht werden.
Es sind die neuen Töne, die Guillaume Lespinasse anschlägt: Etwas zurückhaltender, feiner und austarierter. Doch keine Sorge, im Interview verrät er, dass es in der nächsten Zeit auch Musik von den weitaus krawalligeren Outputs geben wird: The Pilotwings und das Chaos-Trio J-Zbel warten mit neuen Releases auf und außerdem werde das Label BFDM zu einem krönenden Abschluss geführt.