»Irgendwann denkt man sich: Wir haben jetzt diese ganzen Platten und auch einige, die niemand auf dem Schirm hat. Der ursprüngliche Grundgedanke damals: Schade, dass die anderen nicht daran teilhaben können«, erzählt Kretschmann über die Ideen zum Label. Sky ergänzt: »Wir hatten über die Jahre schon ein paar Labels für Reissues zugearbeitet, was dann am Ende aber oft wenig bis gar nicht nach unseren Vorstellungen umgesetzt wurde und wo man sich denkt: Wir hätten das anders gemacht.«
Anders heißt im Falle von Black Pearl Records vor allem hochwertig und anachronistisch. Das Duo legt großen Wert auf eine Covergestaltung, Verarbeitung und natürlich Klangqualität, die zur Zeit passt, aus der die Musik stammt. »Wir wollen, dass die Platte genauso auch in den Siebzigern in einem Plattenladen stehen könnte«, erzählt Sky. Deswegen freuen sich die beiden auch umso mehr, wenn sie durch das Ausgraben von unveröffentlichtem Material damals »gescheiterte« Platten doch noch realisieren können.
Auch in Zukunft wollen Kretschmann und Sky weg vom alleinigen ReIssue—Label. Das zeigt sich bei einem in zwei Monaten erscheinenden Remix-Projekt zur Münchner Cosmic-Disco-Kultband Ströer, für das Sky und Kretschmann verschollene Live-Aufnahmen der Gruppe auftrieben, um diese dann von Musikern wie First Touch, Siggatunez, Mudegg (Sky & Kretschmann selbst) oder dem Producer Enzo Elia remixen zu lassen. Von Elia steht außerdem eine House-12inch an, der dritte Teil der Türkei-Compilation »Bosporus Bridges« erscheint noch dieses Jahr genau wie eine Afro-kubanische 7inch. Die beiden Labelbetreiben arbeiten viel und halten nichts von halben Sachen. »Alleine wegen dem bürokratischen Aufwand hätte es sich nicht gelohnt nur mit 3-4 Sachen an den Start zu kommen. Da steigen wir lieber richtig ein«. NF
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(https://www.hhv.de/shop/de/blue-tapes-x-ray-vinyl-cd-tape/i:D2L44356N4S6U9]) Blues Tapes ist ein 2012 von David McNamee gegründetes, britisches Plattenlabel aus Surbiton. Manche Labels haben einen guten Start und nehmen ein böses Ende, Blue Tapes aber markierte für seinen Gründer das Ende einer langen und schwierigen Depression und einen Aufbruch in bessere Zeiten. »Ich denke, es war hilfreich, dieses Hobby-Projekt zu haben«, erinnert sich der ehemalige Musikjournalist. »Es brachte mich dazu, nach draußen zu gehen und viel über Farben und Klänge nachzudenken. Etwas Kleines und Simples und Abstraktes nur für mich zu machen, war extrem dankbar.« Tatsächlich ist Blue Tapes nicht nur von seiner Motivation, sondern auch Kuration her ein sehr persönliches Projekt. Das stilistische Miteinander von atonalem Black Metal, reichen Drones und muffigen elektronischen Beats ergibt sich McNamee zufolge aus einem dreiteiligen Fragenkatalog. »a) Ist das etwas, das die Leute schon mal gehört haben? b) Mag ich’s? und c) Werden andere es mögen?« Dabei gibt der Labelgründer allerdings freimütig zu, dass insbesondere der letzte Faktor am schwersten zu bestimmen ist. »Aus Marketingsicht ist es ohne Frage ein Albtraum«_, lacht McNamee über sein Label.
Das hält den Briten nicht davon ab, teils extrem ungewöhnliche A&R-Methoden zu verfolgen. »Für die frühen Releases hatte ich oftmals eine Art von Idee von dem, was ich veröffentlichen wollten – etwa ein A Capella-Death Metal-Album – und ging dann online, um jemanden zu finden, der das mit ein bisschen Überredungskunst und Einfallsreichtum für mich abliefern würde«, erklärt er. Andere Artists wie etwa der Drone-Künstler Plains Druid, der Kikimora-Betreiber Unfollow oder die Post-Punk-Band Trupa Trupa rekrutierte McNamee über das Blog 20 Jazz Funk Greats, für das er hin und wieder schrieb. Widmete sich Blue Tapes anfangs noch dem Namen entsprechend Kassetten, wurde im Jahr 2014 mit X-Ray Records ein Vinyl-Ableger des Labels gegründet. »Vor allem wollte ich eine eigene Kopie des Tashi Dorji-Albums auf durchsichtigem Vinyl haben. Also habe ich einen Bankkredit aufgenommen, um an eine zu kommen«, heißt es trocken.
Zu der Platte des Gitarristen aus Bhutan gesellten sich nach und nach andere Beiträge von etwa dem Free Jazz-Saxofonisten Mats Gustafsson oder dem Elektroniker Benjamin Finger. Obwohl die durchsichtigen Platten zuerst gar nicht zu den blau-verwaschenen Designs der Tapes auf dem Mutterlabel passen zu scheinen, handelt es sich dabei doch in Dorjis Fall etwa um deren Negative. Das Artwork der Kassetten wird mittels der sogenannten Cyanotypie hergestellt, einem alten fotografischen Verfahren. »Ich finde analoge Prozess wesentlich spannender als digitale, weshalb Kassetten und Cyanotpien für mich logische Partner sind«, erklärt McNamee. Blue Tapes und sein Vinyl-Ableger sind deshalb vielleicht am ehesten als kuratiertes Kunstprojekt zu verstehen und weniger als Label. Ganz im Sinne des Betreibers: »Es ist kein Geschäft, es macht kein Geld!« Dafür lohnt es sich für ihn auf andere Art. KC
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(https://www.hhv.de/shop/de/night-tide-electronic-dance/i:D2L49546N93S6U9]) Night Tide ist ein 2016 von der Produzentin und DJ Eluize gegründetes Plattenlabel, das von Adelaide und Berlin aus betrieben wird. Emma Sainsbury ist von Berufswegen viel auf Reisen und kann sich eigentlich nichts Besseres vorstellen. So schließlich kann sie neue Leute kennenlernen und vor allem neue Musik entdecken. Ihr Leben verbringt sie zwar überwiegend in Berlin, die alte Heimat aber lässt sie nicht los. »Im Moment lebe ich für den Großteil der Zeit 15 000 Kilometer von meiner Heimat entfernt, aber meine australische Herkunft inspiriert und beeinflusst mich immer noch genauso wie mein neues Zuhause in Berlin«, erzählt sie. »Jeder der beiden Orte lässt mich den anderen umso mehr für seine besonderen Eigenarten schätzen«_. Nur eins vermisst die Produzentin dann doch schon: Ihr Studio.
Sainsbury wäre aber nicht Sainsbury, wenn sie aus dieser Not nicht auch eine Tugend macht. Auf Tour konzentriert sie sich auf das Sammeln von Feldaufnahmen, Fotos und Ideen, die zum Großteil in das von ihr Anfang 2016 aus der Taufe gehobene Label Night Tide einfließen. Als Produzentin wollte sie dabei eigentlich gar nicht so sehr in Erscheinung treten. »Es war überhaupt nicht mein Plan, mich auf klanglicher Ebene in die Night Tide-Releases einzumischen«, gibt sie zu. »Ich arbeite während des Prozesses ständig am Artwork und anderen Elementen, bis hin zum fertigen Produkt.« Das erste davon wurde allerdings doch ihre eigene »Talk In Technicolour«-EP, die auf Kassette und Vinyl erschien. Auch auf der dritten Katalognummer des australischen Duos Albrecht La’Brooy ist Eluize zu hören, wenn auch nur indirekt: Für die drei Tracks schickte sie Alex Albrecht und Sean La’Brooy Feldaufnahmen aus der neuen Heimat Berlin. Getreu nach dem Motto des Labels allerdings, das Sainsbury wie folgt paraphrasiert: »In einer Zeit, in der Musik so einfach abrufbar und leicht konsumierbar geworden ist, wollte ich etwas schaffen, das sich überlegt und gepflegt anfühlt«, erklärt sie. »Etwas, in das Zeit und Liebe geflossen sind, das sich handgemacht angefühlt und das über lange Zeit genossen und wertgeschätzt werden kann.«
Gerade in einem tendenziell kurzlebigen Bereich wie der Dance Music ist das kein unbedingt selbstverständlicher Ansatz. Was ihre eigenen Produktionen sowie die ihrer Kollegen – neben Albrecht La’Brooy etwa die deutschen Produzenten Simonn und Thommyy Ra – eint, ist der Hang zum Sphärischen, Ausschweifenden. »Night Tide steht für Schönheit in der elektronischen Musik ein«, stimmt Sainsbury zu. »Es geht um Gefühl, ums Untertauchen, Fluchten und Verbindungen durch Sound. Die Idee, das technologisch produzierte Musik zugleich menschliche Gefühle übermitteln und wecken kann, begeistert und inspiriert mich.« Genrefragen spielen dabei folgerichtig eine untergeordnete Rolle, wichtiger ist die eigene Perspektive der zwischen dubbigem Techno und deepem House oszillierenden Produktionen. Im Zentrum von Eluize’ Label stehen eben internationale Verbindungslinien – zwischen der Musik genauso wie zwischen den Menschen. KC
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(http://www.hhv.de/shop/de/musik/alle/label:utopia]) Utopia ist ein 2015 vom DJ Alex Bradley gegründetes, britisches Label aus London. Ein Label namens Utopie? Klingt nach einem hohen Anspruch und der steht auch dahinter. Bradley kommt aus einer Künstlerfamilie, alternative Lebenskonzepte wurden ihm quasi in die Wiege gelegt. Kurz nach der Jahrtausendwende organisierte er in London die Veranstaltungsreihe Love Fever, die genau diesen Spirit auf den Dancefloor bringen sollte und sich explizit an legendären New Yorker Clubinstitutionen wie David Mancusos The Loft oder der Paradise Garage orientierte. Am Tag arbeitete Bradley als Schneider in der mythenumwobenen Savile Row, wo David Gilmour von den Pink Floyd oder Peter Savile von Factory Records, der Gestalter von ikonischen Plattencover wie denen Joy Divisions und New Orders, ein und aus gingen. »Ihre Herangehensweise an Design leitete mich darin, wie ich die Nacht anging«, erinnerte sich Bradley. Die hedonistischen Partys und das daraus resultierende Label gleichen Namens erschöpften Bardley aber auch – es war Zeit für etwas Neues. »Es passierten Dinge, die mich in eine andere Richtung trieben, was musikalische Erlebnisse und das Leben an sich angeht«, erinnert sich der DJ. »Weg vom Eskapismus der Dance Music-Welt und zurück zu meinen Wurzeln.«_
Im Rahmen seiner einmonatigen Residency beim Radiosender NTS entwickelte Bradley einen neuen Sound. »Mit Vierte-Welt-Soundscapes und einer spirituelleren und deeperen Version von Dance Music weitab von dem verdrogten, dreckigen Sound den ich vorher gespielt haben«, beschreibt der Labelgründer es. Zu Utopia gehören erneut Veranstaltungen, bei denen schon mal gern ein Aromatherapeut den Floor besprüht, im Kern aber steht das Label. Dieses nahm allerdings mit einer Dance-EP ihren Auftakt, wenngleich die eine ganz besondere Bedeutung für Bradley hat. »Ich hatte einen Erweckungsmoment, als ich mir ‘Low Tension’ von Manabu Nagayama und Soichi Terada neu anhörte, wie eine Nachricht von irgendwoher…«, schwärmt er. Derweil die sanften Deep House-Grooves von Terada fast zeitgleich von Rush Hour neu unters Publikum gebracht wurden, machte das Reissue der Japaner den Anfang eines dezidiert international ausgerichteten Projekts: Aus Italien, England, Spanien, Griechenland oder Brasilien beziehungsweise Deutschland kommen die Releases, für die sich unter anderem Modaji, Lars Bartkuhn oder Vangelis Katsoulis verantwortlich zeigen.
Grenzenlos wie der Roster selbst ist auch der Sound, der zwischen dezenten Beats und cleaner New Age-Ästhetik schwankt. »Ich versuche, die Punkte zwischen dem Musikhören, meditativen experimentellen Soundscapes und echter Dance Music zu verbinden«, erklärt Bradley das Miteinander der verschiedenen Positionen. »Eine Kombination von organischen Sounds und Elektronik.« So wohl müssen Utopien heute aussehen oder besser noch: klingen. Bradley zumindest ist zuversichtlich, dass der derzeitige Partyeskapismus bald schon abwechslungsreicheren, nachhaltigeren Konzepten weichen wird. Möge er Recht behalten. KC