Nubya Garcia macht Jazz für Menschen, denen Jazz zu langweilig ist

25.08.2020
Foto:Adama Jalloh © Concord
Die Saxophonistin Nubya Garcia ist Teil der regen Londoner Jazzszene. An ihrem Instrument ist sie eine der energetischsten Musikerinnen der Welt. Ansonsten ruht sie in sich. Sie ist so cool, wie die Musik, die sie spielt. Ein Interview.

Hierzulande darf man gerne überrascht sein, bei so viel Coolness: Sobald Nubya Garcia auf die Bühne kommt, braucht man erstmal ein paar Sekunden um das Fly-Girl-Outfit mit Baggy-Pants mit Jazz zusammen zu bekommen. In England ist das derweil mittlerweile normal und Nubya Garcia eine weitere der über-talentierten Künstler*innen aus der Hauptstadt des Königreichs Trotzdem sticht die 29 Jahre alte Saxophonisten heraus aus einer Szene, die eh schon für Furore sorgt – ihr vergleichsweise junges Alter ist nur einer der Gründe. Von Oberflächlichkeiten abgesehen begeistert die Tochter einer guyanischen Mutter und eines trinidadischen Vaters vor allen Dingen durch ihren ultra-synthetischen Jazz-Ansatz, der spielerisch Be-Bop mit Grime und Dubstep verbindet. Dazu mischt sie noch einiges an afro-karibischen Musikstilen wie Reggae/Nyabinghi und Cumbia – und fertig ist ein globaler Jazz-Sound, der tiefenbetont und brachial genauso kann, wie romantisch und introvertiert.

Was Garcia also schon mit ihren Kombos Nérija und Maisha angelegt hat, findet auf ihrem Debütalbum »Source« eine Umsetzung in Perfektion: Jazz für Menschen, denen Jazz zu langweilig ist. Dass dabei ihr Geschlecht nur bedingt ein Problem in der Szene ist, erklärt sie und im Interview.

Gehen wir mal zum Anfang zurück. Du hast schon als Kind mit verschiedenen Musikinstrumenten begonnen, Piano, Violine. Dann bist du auf das Saxofon umgestiegen – mit elf Jahren. Was hat dich dazu bewegt? Gab es ein Initialmoment?
Nubya Garcia: Ehrlich gesagt, gibt es so einen Moment eigentlich nicht. Vielleicht habe ich das bei Mitschüler*innen gesehen oder bei einer anderen Band. Ich weiß also nicht, was mich letztlich dazu bewegte. Ich mochte einfach den Sound und die Musik, die man damit machen kann.

Wann hast du dann Jazz für dich entdeckt – als Idee oder musikalische Sprache? Gab es besondere Idole, denen du nacheifern wolltest? Und wie stehst du heute zu den alten Vorbildern?
Ich denke, dass das Interesse für Jazz auch mit etwa zehn oder elf begonnen hat. Ich habe jedenfalls schon mit zwölf dann das erste Mal in einer Jazz-Band gespielt. Ich war anfänglich natürlich von Charlie Parker und Miles Davis beeinflusst; als Teen kamen dann Sonny Rollins und Dexter Gordon dazu. Klar, »Kind of Blue« war immer ein wichtiges Album. Herbie Hancocks »Maiden Voyage« ebenso. Die inspirieren mich auch heute noch.

»Natürlich ist es ein Nachteil, keine weiblichen Vorbilder zu haben. So war es nun eine lange Zeit… und umso glücklicher darf man sein, dass sich Jazz endlich ändert.«

Nubya Garcia

Vor einigen Jahren schien die Jazz-Szene noch viel machistischer als heute; weibliche Acts gab es wenige. Darunter noch viel weniger Instrumentalistinnen – die Lage bei den Blech- und Holzbläsern war miserabel. Hattest du eigentlich irgendwann das Gefühl, dass das ein Problem für dich persönlich sei keine »Vorbilder« zu haben?
Natürlich ist das ein Nachteil. So war es nun eine lange Zeit… und umso glücklicher darf man sein, dass sich Jazz endlich ändert.

Glaubst du denn, dass soziales und biologisches Geschlecht immer weniger Thema sind im Jazz? Vor allen Dingen in London?! Sind solche oberflächlichen Fragen von wichtigeren Themen wie Diaspora, Herkunft, Synkretismus verdrängt worden?
Ja, auf alle Fragen. Geschlecht ist immer weniger ein Thema. Obwohl ich häufig darauf angesprochen werden – also vielleicht doch nicht. Aber in meiner Community und vor allen Dingen in London wird da sicher nicht immer drüber gesprochen. Ich finde das gut, die Balance muss stimmen. Aktiv werden ist jedenfalls wichtiger als nur zu diskutieren. Wir haben ein paar Organisationen, die sich schon länger für eine gleichberechtigte und diverse Musikszene einsetzen.

Ist Londons Position als Stadt da auch geprägt durch seine sehr diverse Einwohner? Außerdem ist die BPoc, die LatinX und die afro-karibische Community da viel aktiver als anderswo. Andererseits fallen alle Teile Englands zurück in dunkle Zeiten des Rassismus und des Nationalismus.
London hat da eine spezielle Position durch die wirklich diverse Community. Das merkst du vor allen Dingen, wenn du durch das Land, durch die Welt reisen kannst: Es gibt wenige Orte wie London.

Deine neue und erste Solo-LP »Source« scheint einer Reise zu verschiedenen Ebenen und Begegnungen mit gesellschaftlichen Veränderungen zu gleichen. Glaubst du es gibt gemeinsame Faktoren, die sowohl dein Werk als auch Aktionsbündnisse wie Black Lives Matter befeuern?
Das Album wurde schon letztes Jahr geschrieben… als schwarze Person, als schwarze Frau im Speziellen, wird mein Songwriting von bestimmten Erfahrungen und Gedanken beeinflusst. Ein konstanter Stream der Gedanken umgibt unser Kollektiv; dazu dachte ich auch über Fragen von Macht nach. Das war, was ich mit der Platte vermitteln wollte: Geschichten, Gedanken, Ideen, Erinnerungen.

Vielleicht wär es möglich gewesen. Ich habe mich früher mit Straight-Ahead auseinandergesetzt – und plane es auch in Zukunft. Klassische Jazz-Formen sind für mich genauso Part meines Lebens wie auch andere Einflüsse. Für mich war die Platte eine Chance mich zu strecken und verschiedene musikalische Idiome zusammen zu weben. Dieses Sound-Spektrum war sehr wichtig für mich.

Dieser Beitrag ist Teil des Themenschwerpunkts

Britischer Jazz

Unter dem Themenschwerpunkt »British Jazz« fassen wir Beiträge zur Jazzmusik aus Großbritannien zusammen.

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