Records Revisited – Ice-T’s Rhyme Pays, 1987

22.01.2014
Als das Debüt von Ice-T 1987 erschien, entstand ein neuer Ton im Rap. Das darauf enthaltene »6 ‘N The Mornin’« ist der Blueprint des Gangster Rap. Es legt aber auch offen, wie Rap funktioniert: »It’s all game. I’m just working these niggas«

»6 in the mornin’, police at my door/Fresh Adidas squeak across the bathroom floor/Out my back window I make an escape/Don’t even get a chance to grab my old school tape«.

Es waren diese ersten Zeilen des Songs »6 ‘N The Mornin’«, die den Gangster-Rap 1986 nicht nur zum Leben erweckten, sondern gleichzeitig auch dessen Siegeszug einläuteten. Auch wenn in demselben Jahr Boogie Down Productions’ »My 9mm Goes Bang« und Schooly Ds »PSK ‘What Does It Mean?’« erschienen, gilt »6 ‘N The Mornin’« heute als der Blueprint des Gangster Rap. In ihm vereinen sich all die Elemente, die nachfolgend durch NWA über 2 Pac bis zu all den Mittelklasse-Wannabe-Gangstern von Berlin bis Tokio auf die Spitze getrieben wurde: Gewalt, Sex, Kaltblütigkeit, Frauenverachtung, Drogen, Kriminalität. Über zehn Strophen erspinnt Ice-T acht Jahre eines Gangster-Lebens, das mit einer Verfolgungsjagd beginnt, dessen Protagonist nach sieben Jahren Knast erfolgreich auf die Straßen Los Angeles’ zurückkehrt, eine Nacht mit der Freundin vervögelt, um letzten Endes nach NYC zu fliehen und eine Schießerei zu verschlafen. »Deuced it to the Bronx to rest our heads/Where a shoot-out jumped off, nine people lay dead/It sounded like it happened with a Mac-10 blast/But it was 6 in the mornin’, we didn’t wake up to ask«. Damit beschließt Ice-T seine Erzählung in einer fast an James Joyce’ »Finnegan’s Wake« erinnernden Kreisbewegung zum Anfang des Songs. Das Ganze erzählt Ice-T in der emotionsfreien, faktischen Art und Weise seines Vorbildes und Namensgebers Iceberg Slim, der 1936 bis 1960 ein mittelmäßiger Zuhälter in Chicago war und nach einer Haftstrafe lieber darüber schrieb, als auf die Straße zurück zu kehren. In diesem Kontext ist »6 ‘N The Mornin’« zugleich Gangster-Rap in seiner reinsten und explizitesten Form. Ice-T erzählt staubtrocken und ohne Wertung. Die Erzählung, die in seiner Stringenz auch ein großartiges frühes Beispiel des Storytelling im Rap ist, bleibt weit entfernt von den von infantil-maskulinem Pathos überzogenen Gewaltverherrlichungen der späteren Gangster-Rap-Generationen.

Der Rest ergibt sich aus den unvermeidlichen Kausalitäten seines sozialen Umfeldes – ganz ohne Glanz und Gloria. Man muss nur mitspielen.

»Rhyme Pays«, auf dem »6 ‘N The Mornin’« das Kernstück bildet, ist das Debütalbum von Ice-T. Als es 1987 erschien, entstand damit ein komplett neuer Ton im Rap. Nicht nur stellt Ice-T im Titelsong klar, dass er nun vom Street Hustler zum Rap Hustler avanciert ist. Auf »Squeeze The Trigger« erläutert er kurz und knapp die sozialpolitische Realität (»Cops hate kids/Kids hate cops/Cops kill kids with warnin’ shots«) und nimmt die große Debatte über »Parental Advisory« auf die Schippe (»They say I’m violent/They should watch their TV/They say I’m brutal/They should check their P.D. [police department]«). »Somebody Got To Do It (Pimpin Ain’t Easy)« führt alles gleich wieder ad absurdum und zeigt Ice-T als übergroßen Pimp im cartoonhaften Blaxpoitation-Format. Auf »Sex« vertieft sich Ice-T in einen teils misogynen, teils aberwitzigen Klamauk-Porno. Während er mit »Pain« direkt an »6 ‘N The Mornin’« anschließt und in 29 Vierzeilern fast schon schizophren den Spaß, die Ängste und die Unvermeidlichkeit des Gangster-Lebens miteinander verwebt. Ice-T traf diese Ambivalenzen nicht ohne Grund so genau auf den Punkt. Als Tracy Marrow 1958 in Newark geboren, siedelte er nach dem Tod seiner Eltern zu seiner Tante nach Crenshaw um, einem Teil des berüchtigten Los Angeles South Central. Dort ging er als Teenager auf die Crenshaw High, stand den Crips nahe und tauchte Anfang der 1980er Jahre in ein Doppelleben als DJ/MC/Schauspieler und Zuhälter/Drogendealer/Juwelendieb/Bankräuber. Für ihn war die Erzählung in »6 ‘N The Mornin’« eher resignierter Alltag statt gefeiertes Heldenparadies. »Hier gibt’s keine Superhelden, nur einen Ghetto Noir Antihelden auf der Flucht« schreibt Hip-Hop-Journalist Jeff Chang in seinem Buch »Can’t Stop Won’t Stop«. Den einzigen Moment, den Ice-T wirklich zu genießen scheint, ist die Nacht mit seiner Freundin. Der Rest ergibt sich aus den unvermeidlichen Kausalitäten seines sozialen Umfeldes – ganz ohne Glanz und Gloria. Man muss nur mitspielen.

Genau das machte Tracy Marrow von vornherein und zeigte damit auch, dass Hip Hop immer ein Geschäftsfeld war, niemals nur utopisches Kulturland. Wie sonst schafft man es, sich in den Jahren von Tipper Gore mit einem beängstigend harten Rap-Stil bei Warner zu platzieren”. – einem der 1987 »größten und weißesten Label der Welt«, wie Hip Hop-Promoter und Journalist Dan Charnas es benennt. Wie sonst kann man Songs wie »Cop Killer« schreiben und im TV ständig gute Polizisten verkörpern (»New Jack City«, »Law & Order: Special Victim Unit«)? Tracy Marrow ist Hustler durch und durch – ein unglaublich eloquenter ohnehin. Wie er einst selbst bemerkte: »I can’t act, I really can’t act. I ain’t no rapper. It’s all game. I’m just working these niggas.« Genau das hat er auf seinem Debütalbum bereits klar gestellt.

Bisher in dieser Reihe erschienen:
Ornette Coleman’s The Shape Of Jazz To Come, 1959
Bob Dylan’s Blonde On Blonde, 1966
Gil Scott-Heron’s Small Talk At 125th And Lenox, 1970