Wer gibt zu, den Hypetrain zu reiten? Niemand. Und doch sind viele im ersten Wagon, wenn Knete und Fame winken. Als vier MCs aus Oakland im September 1993 das ablehnen und nicht vor dem aufkommenden G-Funk-Hype einknicken, werden sie aufgrund ihres Alters von Teilen der Hip-Hop-Kultur belächelt. Feuilletons und Freunde gepflegten Sprechgesangs mit originärem Style waren hingegen geflasht – und sind es bis heute. Für Tajai, Opio, Phesto und A-Plus war die Sache von Beginn an klar: Konsumismus, Geldgeilheit, knarrenschwingendes Posing haben keinen Platz in ihrer Musik. Stattdessen geht es um existenzielle Langeweile im westlichen Wohlstandswunder, und Weed, Bücher,Leidenschaft zur Musik und Leid im Lebensalltag. Es ist der damals oft missachtete Stoff authentischer Lyricists, der das Debüt »93 ‚til Infinity« der Souls of Mischief bis heute zeitlos macht.
In den Anfängen des Kollektivs waren De La Soul und A Tribe Called Quest gerade dabei ihren Legendenstatus an der East Coast zu etablieren und hatten mit Arbeiten wie »3 Feet High And Rising« (1989) oder »The Low End Theory« (1991) auch einen enormen Einfluss auf das Geschehen am westlichen Ende der Staaten. Die Samplebase war mehr an Cool Jazz, Blues und Psychedelic Rock der 70er orientiert, eine Instrumentierung wie bei kleinen Combos wurde in Beats eingehegt. In diesem Milieu zählten Souls Of Mischief zu den Ersten, die das musikalisch konsequent umzusetzen wussten. Bar jeder Image-Projektion – ohne »Claim« – entwickelten sie die Idee eines Kollektivs von MCs weiter und schlüpften in die Rolle der Beobachter eines Lebensgefühls in den 90ern, das geprägt war von sozialer Ungleichheit, den desaströsen Auswirkungen der Reagonomics, aber auch von der Dialektik zwischen Innovation und Tradition sowie den bahnbrechenden Aufbrüchen neuer Subkulturen, die sich vom Status der Untergrundmusik emanzipierten und irgendwann zum Mainstream mutierten.
Ein Album als Freund für immer
Nicht zuletzt in Deutschland hatten die Souls damit einen enormen Einfluss auf Rap-Formationen. Auch bei den Absolute Beginnern, Fettes Brot, Dynamite Deluxe und Freundeskreis ging es nie teure Karossen, nackte Mädels oder gefährliche Gruppen vermeintlicher »Brüder«. Selbst Scheisse wurde selten gesagt. Der ursprüngliche Impetus von Rapmusik als disruptives Moment der Jugendkultur behielt bei diesen Gruppen seine Bedeutung – die Souls standen dafür Pate. Kommerziell erfolgversprechende Abwandlungen des Genres waren damals zur selben Zeit auf dem Vormarsch, doch entwickelte der später Conscious-Rap genannte Style eine kulturelle Relevanz unter all jenen, die Rap nicht als Entertainment konsumierten, sondern für die Bewältigung ihres Alltagslebens brauchten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mit der inhaltlichen Tiefe ging gleichzeitig eine raffiniertere Sprache einher, die auf Binnenreime setzte und komplexe Bars auf zwei, drei, vier Deutungsebenen expandierte.
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So ist das Album konzeptionell naturgemäß in den Bedingungen sozialer wie kultureller Realitäten begründet, denen sich das Quartett Anfang der Neunziger ausgesetzt sah. Die Underground-Szene an der Westcoast steckte noch in den Kinderschuhen. Crews wie Freestyle Fellowship oder Hieroglyphics, zu denen die vier gehörten, aber auch Kollegen vom Kaliber The Pharcyde oder Hiero-Gründer Del Tha Funkee Homosapien suchten ihren eigenen Style, genossen wenig Aufmerksamkeit durch MTV und waren frei zu experimentieren. Sie steuerten Beats bei und wurden als Freunde wichtig für den Entstehungsprozess von »93 ‚til Infinity«.
Mit der inhaltlichen Tiefe ging gleichzeitig eine raffiniertere Sprache einher, die auf Binnenreime setzte und komplexe Bars auf zwei, drei, vier Deutungsebenen expandierte. Dabei waren alle Mitglieder des Quartetts bei Release von »93 ‚til Infinity« noch nicht mal aus ihren Teenager-Jahren raus. Dass sie sich teilweise schon seit dem Kindergarten und der Grundschule kannten, trug sicher zum zurückgelehnten Vibe des Albums bei, dessen Lyrics etwa in »What A Way To Go Out« oder »Make Your Mind Up« oft wie Storys zwischen guten Freunden wirken. Auch der legendäre Titeltrack von »93 ‚til Infinity« rekurriert darauf, wurde von Producer A-Plus in der ursprünglichen Version jedoch langsamer und emotionaler angelegt. Sonniger und unbedarfter geriet er dann durch seine Kollegen – das zugrundeliegende Thema fand seinen musikalischen Ausdruck: Lebenslange Freundschaft.