Records Revisited: MF Doom –Mm.. Food (2004)

15.11.2024
Picknick am Wegesrand der Hip-Hop-Historie: Als Daniel Dumile 2004 mit »Mm..Food« den herrschenden Rap-Diskurs in den USA konterkariert, hatte er im selben Jahr schon zwei vielbeachtete Alben gedropped. Rap-Connaisseure schätzen seine satirische Reimkulinarik bis heute als wegweisend für ein neues Verständnis des Genres.

Verlust des Bruders, Betrug durch die Industrie, jahrelange Obdachlosigkeit: Daniel Dumile hat schon zu Beginn seiner Karriere viel Scheiße fressen müssen. Als der Gangsterduktus von Death Row und Bad Boy Records Mitte der 1990er Jahre seine Heydays feiert, und soziokulturelle Missstände zum bloßen Stilmittel von Multimillionären verkommen, streift Dumile durch die Straßen von Manhattan, schläft auf Parkbänken oder in heruntergekommenen Apartments. Er schreibt Texte, leiht sich Studiozeit. Er hat keinen Plattendeal, kein Auto, kein Equipment.

Dass Knete und Karren für ihn fortan keine Themen von Relevanz sind, kann kaum verwundern. Als, gegen alle Widerstände, »Operation Doomsday« 1999 erscheint, etabliert der vom Leben gezeichnete Comic-Nerd und Hobby-Linguist stattdessen aus dem Stegreif einen Style aus transmedialen Querverweisen, humoristischer Wortakrobatik und kreativem Storytelling mit doppeltem Boden. Merriam-Websters Dictionary Of Allusions, Cartoons und Pulps schnibbelt Doom in einen Auflauf fein abgeschmeckter Referenzen: Von den Fantastic Four und Spiderman über die Sesamstraße und The Herculoids bis Frank Zappa und Les Baxter.

Von Tag eins ist MF Doom jemand, der kreatives Sampling aus eigener Hand als das begreift, was es spätestens seit Mitte der 80er ist: essenziell für Hip-Hop. Neben den Beats werden ab den 2000ern auch die Texte des gebürtigen Briten immer ausgefeilter, pointierter, humorvoller. Nachdem er 2004 schon das zweite Album unter seinem Pseudonym Vince Vaughn und das stilprägende »Madvillainy« zusammen mit Madlib droppt, erreicht er mit »Mm..Food« den vorläufigen Zenit seines Schaffens.

»Wie einfach ist es bitte eine Waffe zu zücken? Du könntest auch was Interessanteres machen.«

MF Doom

Als Konzeptalbum durchdacht, verpackt Doom hier fünfzehn Gerichte und Küchenutensilien in fünfzehn Tracks und Skits von seltener Handwerkskunst. So macht »Beef Rap« nicht nur die Doppeldeutigkeit mexikanischer Weizentaschen und dem profilierenden Zoff unter MCs auf, sondern stellt auch den Vergleich von überzuckerten Müllprodukten und künstlich überproduzierter Rapmusik an. »Top bleeding, maybe fella took the loaded rod gears/Stop feeding babies colored sugar-coated lard squares«. Kulinarisches und Kulturhistorisches werden miteinander verknetet, teilweise in Kritik am Status Quo von Rapmusik in den USA umgewandelt. »What, these old things? About to throw ‚em away/With the gold rings that make ‚em don’t fit like OJ/Usually I take them off with oil of Olay/Emcees is crabs in the barrel, pass the Old Bay«.

Gesundes Futter ist kein leicht gefundendes Fressen

Völlig unbeeindruckt von den Trends der frühen 2000er bewegen sich die Beats zwischen virtuos verwobenen Plunderphonics und Jazz Rap, wie im Feel-Good-Track »Guinnesses«, das die zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte Rapperin staHHr als Angelika mit grandiosem Flow präsentiert. Gewaltfreie Storys von den Straßen, humorvolle Referenzen zu diversen TV-Shows, Filmen und Serien, Redewendungen und Anspielungen mit Grüßen aus der Küche – alles wird genüsslich in den Mixer geknödelt und von Dooms makellosen Deadpan-Raps garniert. Währenddessen nutzt er die Madlib-Produktion »One Beer« um Reflexionen über Ego und Eskapismus im Business ineinander zu falten. »Getting money, DT’s be getting no new leads/It’s like he eating watermelon: stay spitting new seeds«.

Indem er also über Früchte und Fast Food philosophiert, nimmt MF Doom auf diesem Album seine eigene Zunft aufs Korn und schlägt einen Shift im materialistisch verkrusteten Rap-Diskurs vor. Denn unter und über aller Sozialsatire, hinter der kichernden Kulturkritik ist »Mm..Food« vor allem das Statement eines aufrichtigen Idealisten. Leitmotiv des Albums sei dementsprechend »Respekt für das menschliche Dasein« zu schaffen, sagte er 2004 während eines Interviews mit SPIN. »Reden wir darüber, Kinder zu kriegen, statt darüber, wie wir die Kinder anderer Leute umbringen«. Ein Abgesang auf das toxische Rezept seelenloser Kommerzialisierung, das bis heute einen bitteren Beigeschmack in der ursprünglich so emanzipatorischen Geschichte von Hip-Hop hinterlässt. »Wie einfach ist es bitte eine Waffe zu zücken? Du könntest auch was Interessanteres machen, etwa in einen Pool springen! Ist genauso einfach, aber niemand wird verletzt. Lasst uns alle schwimmen! Schwimmst du nicht, bist du wirklich wack«.