MF Doom – Zurück in die Spur

17.07.2009
Daniel Dumile, so der bürgerliche Name des Mannes hinter der Maske. Er ist der Kern des Ganzen. Das Herzstück. Die Wurzel allen Übels, wenn man so will. Ein Versuch der Lichtbringung ins tiefe Dunkel des Superschurken DOOM.

Daniel Dumile: Die Geburt des Superschurken
Zusammen mit seinem Bruder DJ Subroc und dem MC Onyx gründete der in London geborene und in New York aufgewachsene Daniel Dumile Ende der 1980er Jahre unter seinem ersten Künstlernamen Zev Love X die Gruppe KMD. Erstmalig als Rapper in Erscheinung trat Dumile jedoch 1989 mit einer Guest-Appearance auf dem Song »The Gas Face« vom »Cactus Album« von 3rd Bass, bevor dann 1991 endlich der KMD-Album-Klassiker »Mr. Hood« erschien. Eine Platte, die den Geist der Native-Tongue-Bewegung aufnahm, um ihr eine widerwärtige Widersprüchlichkeit verbaler Gewalt hinzuzufügen, aus der eine sagenumwobene Mixtur aus Humor, Politik und Freshness geformt wurde. Doch nachdem Dumile mit seinen beiden Mitstreitern diesen musikalischen Meilenstein zutage gefördert hatte, riss ihn das erdrückende Gewicht einiger Schicksalsschläge plötzlich in eine depressive Tiefe aus Alkoholsucht und Obdachlosigkeit: 1993 kam sein Bruder Subroc bei einem Autounfall ums Leben. 1994 weigerte sich Elektra Records wegen eines angeblich rassistischen Cover-Artworks, das KMD-Nachfolgealbum »Black Bastards« zu veröffentlichen, auf dem es um die Auseinandersetzung mit der immergleichen Darstellung ethnischer Gruppen ging. Daraufhin verloren KMD ihren Plattenvertrag.

Es dauerte einige Jahre, bis Daniel Dumile im Kampf gegen Alkoholismus und Depression endlich zu neuer Stärke fand und trotz vielfacher Wunden und Rückschläge Ende der 1990er Jahre erneut das funkelnde Schwert der Kreativität wiederentdeckte, um seine Widersacher damit in Stücke schlagen und es am Ende tatsächlich wieder siegreich in ungeahnte Höhen reißen zu können. Dieser Prozess des Austragens persönlicher Konflikte, dieser unerbittliche Kampf gegen die eigenen Dämonen haben Dumile jedenfalls gezeichnet. Und zwar so stark, dass er sein Gesicht nicht mehr der Öffentlichkeit zeigen konnte und wollte. Er war ein anderer geworden. Er war MF Doom.

MF Doom: Das Gute im Bösen
Dieses bedrohliche Alter Ego war Doctor Doom entliehen, dem Erzfeind der Fantastic Four aus der gleichnamigen Marvel-Comicreihe, und markierte 1999 mit dem Album »Operation Doomsday« in jeglicher Hinsicht Dumiles Neuanfang durch die musikalische Zerstörung alles bisher Dagewesenen. Es sei ihm mit der Platte darum gegangen, Rap von seiner Schändlichkeit zu befreien, wie er damals zitiert wurde. Neues erschaffen durch die Verwüstung des Alten. Die Zeitrechnung wieder auf Null zu setzen, um die Hip-Hop-Welt vollends nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Das Böse in ihm zu nutzen, um das Gute zurückzuholen. MF Doom repräsentiere vor allem Dumiles traditionelle B-Boy-Seite, die Vielseitigkeit eines erfahrenen Veterans, dem die Qualität der Musik über alles gehe: intelligent und verantwortungsvoll, aber dennoch raw und hardcore. Nachzuhören ist diese Facette von Dumiles vielen Identitäten auf »Operation Doomsday«, dem Nachfolgealbum »MM Food« (2004) und seinem ersten und einzigen Live-Release »Live From Planet X« (2005).

Metal Fingers: Der Boom zum Bap
Alleine mit dem Verfassen und Vortragen beeindruckender Raps war das kreative Potenzial des gebürtigen Londoners jedoch noch lange nicht erschöpft. Und da das MF nicht allein für »Mad Flows«, »Multi Faced« und »Mic Fiend«, sondern außerdem für »Metal Fingers« stand, schnappte Dumile sich neben dem Mikrofon kurzerhand die MPC als weitere Waffe, um damit wild um sich zu schießen. Treffer hat er damit einige gelandet, wie nicht nur auf seiner »Special Herbs«-Beattape-Reihe, sondern auch auf den Platten so illustrer Mit-Bösewichte wie MC Paul Barman, Ghostface oder Prophetix nachzuhören ist.

Hip-Hop ist schließlich nichts anderes als eine Spielwiese der Kreativität, Innovation und Fantasie – und davon hatte Dumile immer schon mehr als genug.

Kollaboration Time: Gemeinsam gegen den Rest
Seine Mission, Hip-Hop wieder zurück in die Spur zu verhelfen, kann und konnte MF Doom jedoch nicht ganz allein vollführen. So sah sich Daniel Dumile aka MF Doom immer wieder dazu gezwungen, seine kreative Energie in wahnwitzig bahnbrechende Kollaborationen münden zu lassen. Gemeinsam mit Produzentengroßmeister Madlib agierte MF Doom beispielsweise als Madvillain auf dem legendären »Madvillainy«-Album von 2004. Mit DJ Danger Mouse fusionierte MF Doom knapp ein Jahr später zu DangerDoom auf »The Mouse & The Mask«. Und noch für dieses Jahr ist ein Album mit Ghostface namens »Swift & Changeable« geplant. Außerdem war MF Doom auf einzelnen Songs so illustrer Künstler wie Count Bass D, Prince Paul, Non Phixion oder Prefuse 73 zu hören.

King Ghidra/King Geedorah, Viktor Vaughn: Er ist nicht allein
Und wenn Dumile dann doch dazu genötigt wurde, sein böses Spiel alleine zu treiben, wurden einfach neue Spielkameraden erfunden. Hip-Hop ist schließlich nichts anderes als eine Spielwiese der Kreativität, Innovation und Fantasie – und davon hatte Dumile immer schon mehr als genug. So verwandelt sich Dumile unter dem Alter Ego King Geedorah bzw. King Ghidra gerne ab und an in eine riesige Weltraumechse, um mit ihren drei Köpfen als Außenstehender einen Blick auf das aktuelle Weltgeschehen werfen zu können (nachzuhören auf dem Big Dada-Release »Take Me To Your Leader« von 2003). Im Verbund mit der Underground-Supergroup Monster Island Czars, bestehend aus MF Grimm aka Jet Jaguar, Megalon, Rodan, Kong, Gigan und X-Ray, erschien im selben Jahr die Platte »Escape From Monster Island«.
Hinter dem Pseudonym Viktor Vaughn versteckt sich wiederum ein 19-jähriger Superschurke in Gestalt eines menschlichen Wesens. Er ist selbstverliebt, frauenfixiert, albern und respektlos, aber mit solch unfassbaren Rhymeskills gesegnet, dass es einem die Schuhe auszieht. Veröffentlicht hat der rappende Jungspund bisher »Vaudeville Villain« (2003) und »VV2: Venomous Villain« (2004).

DOOM: Zum Ursprung zurück
Wir sind im Heute angekommen. Das MF hat DOOM mittlerweile hinter sich gelassen. Stattdessen wird jeder einzelne Buchstabe seines Namens jetzt genauso groß geschrieben wie sein qualitativer Anspruch. Das aktuelle Album-Credo »BORN LIKE THIS.«, von Skandal-Autor Charles Bukowski entlehnt, darf dabei als Metapher für sein bisheriges künstlerisches Schaffen angesehen werden – denn auch dieses markiert vor allem eines: Größe.
So erschafft DOOM im Post-Mortem-Zusammenschluss mit J Dilla hell aufleuchtende Klangfarben auf »Lightworks«, das bereits auf dem Jay Dee-Release »Donuts« mit audiovisuellen Blendgranaten haufenweise Glückshormon-Lager im Gehörgang aufgesprengt hat. Zusammen mit den fleißigen Killerbienchen Tony Starks aka Ghostface Killah und Raekwon vom allmächtigen Wu-Tang Clan hat er nicht nur den Vogel, sondern auch akustische »Angelz« abgeschossen, um die heiß begehrten Plätze auf Wolke Sieben für die geneigte Zuhörerschaft freizumachen. Auf einem hodensackweichen Beat von Jake One schwadroniert der böse dreinblickende Maskenmann über »Ballskin«. Und auf »Cellz« spaziert DOOM mit bereits erwähntem Bukowski als prähistorisches Urzeitwesen aka »Dinosauria, We« über die bebenden Landschaften des Holozän.

DOOM (MF DOOM)
BORN LIKE THIS.
Lex • 2009 • ab 33.99€
Fakt ist: DOOM ist zurück. Und wenngleich er sein MF nun auf »BORN LIKE THIS« vorerst hinter sich gelassen hat, liegt er selbst weiterhin ganz weit vorne – und zwar in sämtlichen Belangen. Denn »BORN LIKE THIS.« ist tatsächlich ein wegweisendes Stück Musik geworden, dass auf den Ideen eines einzigen Individuums in dieser Form vermutlich gar nicht erst hätte entstehen können. Ein Werk, das die Gedankengänge mehrerer Persönlichkeiten bedurfte, um aus den Kräften Vieler das Großwerk eines Einzelnen zu machen. Ein futuristisches B-Boy-Document mit modernem Old School-Appeal. Eine Hip-Hop-Platte in seiner reinsten Essenz. Eben das neue Album von DOOM.