Robert Lippok wählt 10 Platten, die ihn geformt, gebessert und gebildet haben

07.03.2024
Robert Lippok gehört zu den Urgesteinen der elektronischen Musik in Berlin. Nicht nur kombinierte er bereits Anfang der 1980er-Jahre Post-Punk mit Acid und House. Vor allem verkörpert er den Geist der Musik – nie zu erstarren, immer auf der Suche nach Neuem.

Rückblicke sind kein Selbstzweck. 2017 fragte die Jungle World Robert Lippok, ob die Underground-Szene der DDR, in der er groß geworden war, mittlerweile vergessen sei. Lippok antworte unverblümt: »Schön wär’s. Ich würde gerne mehr in die Zukunft schauen.« Vielleicht ist das die einzig angemessene Antwort für jemanden, der sich so konsequent Neuem zugewandt hat, wie Lippok.

Der spätere Maestro wurde 1966 in Berlin-Mitte geboren. 1983 gründete er mit seinem Bruder Roland die Band Ornament und Verbrechen, die Post-Punk mit frühem Acid und House kombinierte. Bald fing Robert an, mit einem Computer zu musizieren. Als Anfang der 1990er Techno populär wurde, zog es die Brüder zu einer neuen Machart: Post-Rock mit elektronischen Mitteln. Ihre zweite Band To Roccoco Rot war Vorbild für genügend andere. Und doch blieb Lippok nicht stehen.

Zurück in die Zukunft

2001 eröffnete er seine Solo-Karriere mit der EP »Open Close Open«. Lippok entwarf eine verträumten Mixtur voller sanften Klicks, warmen Rauschen und Gustav Mahler. Es ist, als verliere man sich auf einem Strand, nicht wissend, wo Gegenwart aufhört und Erinnerung anfängt.

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Robert Lippok sollte die nächsten 10 Jahre damit verbringen, dieses Terrain abzugehen. Die erste Solo-LP des DDR-Sohnes, »redsuperstructure«, erschein 2011. »Ich bin immer sehr selbst-kritisch gegenüber meinen Werken. Daher braucht es meistens eine ungeheure Menge Zeit, ein Album zu produzieren«, merkte er einmal an. Nichtsdestotrotz kann er auf ein beindruckend diverses, interdisziplinäres Oeuvre zurückblicken. Um es zu feiern, hat Morr Music sein Debüt »Open Close Open« remastert. Lippok steuerte einen neuen Track bei. Rückblicke sind eben kein Selbstzweck. Sie sind eine Gelegenheit, einen anderen Blick auf die Zukunft zu werden.


SND
4,5,6
SND • 2008 • ab 36.99€

Robert Lippok: Mark Fell and Mat Steel, habe ich Ende der Neunziger, nach einen To Rococo Rot-Konzert in Manchester kennengelernt. Sie sagten, dass unsere LP »Veicolo« und speziell das Stück
»Micromanaged« eine großen Einfluss auf sie hatten. Wir blieben in Kontakt und über die Jahre wurde ich Fan ihrer Musik. Ihr Release »Atavism« ist ein absolutes Meisterwerk des Post Rave Minimalismus. Auf »4,5,6« ist ihr Stil noch nicht ganz so ausformuliert - zwar schon dauer-euphorisch und schnell, aber auch noch mit einem roheren Klangbild. Knarzige FM Sounds, hyperventilierende Drumcomputer, Kickdrums die sich selbst überholen, geigerzählerhafte Breaks, Acid House Flächen und immer diese große Lust an Extase und Euphorie.

Redaktion
Fennesz
Plays
Mego • 2006 • ab 10.99€

Robert Lippok: Wenn ich mit recht erinnere, habe ich die 7inch bei A-Musik in Köln gekauft, nachdem Rashad Becker mich darauf aufmerksam machte. Es handelt sich um Coverversionen oder eher freie Interpretationen von »Paint It Black« (The Rolling Stones) und »Don't Talk (Put Your Head On My Shoulder)« von den Beach Boys. Entstanden sind zwei korrodierte, 8 Bit Harmonie-Cluster Miniaturen die eine Klammer zwischen dem frühen und dem späteren Werk von Christian Fennesz bilden. Die Stücke waren eine Bruchkante zu etwas neuem. Sie schweben und sind zugleich bodentief.

Redaktion
Rhythm & Sound
Never Tell You
Burial Mix • 1996 • ab 11.99€

Robert Lippok: Manche wissen, wo sie waren, als sie vom Tod John Lennons oder dem von Lady Di erfuhren. Ich weiß noch genau, wo ich war, als ich das erste Mal »Never Tell You« von Rhythm & Sound & Tikiman hörte. Ich befand mich in einem Taxi kurz vor dem Roten Rathaus in Berlin auf dem Weg zum WMF Club. Es war tiefe Nacht. Diese klangliche Tiefe und Dichte hatte ich noch nicht gehört, alles um mich herum schien sich zu verändern, selbst der Alexanderplatz schien für diesen Moment irgendwie besonders. Gleich am nächsten Tag fuhr ich ins Hardwax und kaufte mir die 10inch.

Redaktion
Pan Sonic
Vakio
Blast First • 1995 • ab 89.99€

Robert Lippok: Als mir 1994 eine Freundin die erste EP von Pan Sonic vorspielte, sagte ich, dass mein analoger Synthesizer solche Klänge produziert, wenn er alleine zuhause rumsteht. Trotzdem war ich von der Verweigerung, Musik zu sein und der Konsequenz in der das geschah, sehr beeindruckt. »Vakio« das ein Jahr später erschien, wurde stilbildend für ein ganzes Genre von elektronischer Musik. Techno würde erlöst, reine Clubmusik sein zu müssen. Ich hatte das Glück ihren ersten Berlin Auftritt zu sehen. Ilpo Väisänen und Mika Vainio standen mit ihren Geräten hinter dem Tresen des von Mo Loschelder und Daniel Pflum betriebenen Clubs Panasonic ( der Legende nach haben sie sich nach dem Namen der Venuebenannt ), es knirschte und brummte laut. Auf einem kleinen Schwarzweißfernseher, der über der Bar angebracht war, sah man eine sich synchron zur Musik bewegende Sinuswelle. Viel mehr war es nicht und es war großartig.

Redaktion
Andrea Parker
Melodious Thunk
Mo Wax • 1996 • ab 6.99€

Robert Lippok: Mit ihrer präzisen Dunkelheit war »Melodious Thunk« von Andrea Parker ein Ausnahme-Release Mitte der 1990er-Jahre. So unglaublich schwer und klar mischen sich Bass, Kickdrum, Perkussionsinstrumenten und stehende Flächen. »Fallen Arches« ist ein Meisterwerk und mit 2:45 viel, viel zu kurz, es sollte zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten dauern oder zwei Tage.

Redaktion
Sophie
Oil Of Every Pearl's Un-Insides
Transgressive • 2018 • ab 27.99€

Robert Lippok: Sophie war ein Geschenk an uns alle. Dass sie so früh gehen musste, macht mich immer noch sehr, sehr traurig. Niemand davor und danach konnte Pop und Experiment mit so einer Leichtigkeit und Virtuosität verbinden. Als ich sie das erste Mal gehört habe, war mir das alles zu kitschig und es hat eine Zeit gedauert bis ihre Musik zu mir kam. Aber als es dann soweit war, schlug die Welle über mir zusammen und riss mich für immer mit sich mit.

Redaktion
Peaches
The Teaches Of Peaches
XL Recordings • 2000 • ab 27.99€

Robert Lippok: »The Teaches of Peaches« löste eine Schockwelle in der elektronischen Musikszene Berlins aus! Nichts sollte danach mehr so sein wie es vorher war.

Redaktion
Air
Live Air
Black Saint • 1980 • ab 17.99€

Robert Lippok: »Live Air« habe ich zufällig auf dem Flohmarkt entdeckt. Es wurde live eingespielt vom einem Jazz Trio Air, bestehend aus Henry Threadgill, Steve McCall und Fred Hopkins. Die ersten Minuten dieser freien Improvisation sind das leiseste, schönste und zarteste was Free Jazz je hervorgebracht hat.

Redaktion
Salem
King Night
Iamsound • 2010 • ab 14.99€

Robert Lippok: Aus dem Subgenre Witch House hervorgegangen, war Salem eines der wenigen Projekte, die mehr als nur Ketamine-trunkene Endlosschleifen produzierten. Flirrende, zum Teil bis zur Selbstauflösung verzerrte, wunderschönen Hymnen. Und obwohl die Tracks einem einfachen Strickmuster folgen und nicht mehr brauchen als einen 808-Drumcomputer, ein paar alte Synthesizer und Effekte, haben Salem daraus einen sehr eigenen Klang entwickelt.

Redaktion
Horacio Vaggione
Schall / Rechant
Recollection GRM • 2024 • ab 23.99€

Robert Lippok: Dieses Release ist eben erst auf Recollection GRM erschienen. Bis dahin war das Schaffen des argentinischen Komponisten Horacio Vaggione noch nicht bekannt. In den vier elektroakustischen Stücken auf »Schall / Rechant« entwickelt er eine komplexe, sehr detailreiche musikalische Grammatik. Die Musik scheint sich stetig selbst zu zerreissen und wieder neu zu bauen. Zum Teil vor zwei Jahrzehnten komponiert klingt die Produktion sehr aktuell. Eine echte Entdeckung.

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