»Prost Ihr Säcke!« Mit salbungsvollen Worten betört Nico von K.I.Z sein Publikum. Das antwortet: »Prost du Sack!« und schon ist die verbale Ebene zwischen Bühne und Publikum aufgehoben. Die letzte Barriere fiel spätestens als die drei Berliner dann in einem Schlauchboot zum Schlagerhit Knallrotes Gummiboot auf der Menge in See stechen wollten um endgültig eine Einheit mit dem Publikum zu bilden. Zwar misslang der Versuch zunächst als Tarek schon kurz nach der Bühne das Boot verließ. Mann über Bord. Dann verließen auch Maxim und Nico das sinkende Schiff auf den Wogen der Begeisterung und wurden auf Händen durch das gesamte Publikum getragen. Saufen, Stage-Diving und der Einsatz von aberwitzigen Requisiten: Man befand sich definitiv auf einem Festival.
Alles in trockenen TüchernDem Splash! Festival um genau zu sein, wo die Nike Airs und Crisp Tees im 14. Jahr seines Bestehens mal halbwegs trocken blieben. In trockene Tücher packte man dieses Jahr auch das Line-Up. Hatte man in den letzten Jahren mit Reggae oder auch verstärkt Künstler aus der Electronic-Ecke versucht »erwachsen« zu werden und mit einer musikalischen Diversität auch gleichzeitig dem Publikum mehr musikalische Offenheit zu präsentieren, lag dieses Jahr der Fokus einmal mehr auf bekannten Rap-Künstlern. Durchgestartete Deutsch-Rapper, gestandene Rap-Acts von Überseee und ein verschwindend kleiner Anteil, der musikalisch leicht aus der Reihe tanzte. Spank Rock gehörte mit seinen synthielastigen Discobeats dazu. Stell dir vor es ist geil und keiner geht hin! Schwer vorstellbar? Der Auftritt der Musiker aus Baltimore, Philadelphia lief aber genau unter diesen Umständen ab. Rhythmus, Skinny-Jeans und kristallklare Instrumentals reichten nicht, um das Publikum zu mobilisieren. Interessierte halt keinen. Nur wo waren dann eigentlich alle? Beim verdatterten Verlassen der kleinen Bühne erschloss sich einem die Antwort schnell. Man musste nur den Skatepark passieren, die Betontribüne überwinden und man sah, dass das Festival tatsächlich in vollem Gange war. Ein ganzes Meer von T-Shirts mit den Hipster-Kalligrafie-Aufdrucken von Casper, dem großen roten Schniedelwutz des K.I.Z -Logos und das GRN BLN-Shirt von Materia bewegte sich Richtung Hauptbühne. Erwachsen werden? Niemals! Lieber feierten die jungen Besucher ab, was sie eh schon kannten. Man sollte es ihnen nicht verübeln. Denn letztendlich geht ja doch keiner auf ein Festival, um seinen Musikgeschmack zu erweitern. Zu den Zeiten, in denen unbekannte Künstler aufgetreten sind, wurde mal schön das Lebervolumen an seine Grenzen gepusht. Das einzig Richtige, was man machen konnte, war diese Prämisse vom Erwachsen-werden des Festivals zu vergessen. Schließlich gibt es genügend Festivals, die vom Genre-Crossover leben. Also rein ins reine Rap-Vergnügen. Denn wo gibt es das sonst noch, pure HipHop-Kultur, außer auf einem Festival wie dem Splash!? Wirf die Vorsätze über Bord
Im Fernseher jedenfalls nicht, dort »rappen« irgendwelche Industrie-Marionetten über Euro-Dance-Instrumentals. Da sind Namen wie Public Enemy, Atmosphere, Cunninlynguists, Cypress Hill u.a. doch Balsam für die HipHop-Seele. Hallo Nostalgie, pfui Teufel Entwicklungswahnsinn! Dass die Performances der teilweise schon stark gealterten Helden dann teils die Erwartungen auch noch übertrafen, hatten sich alle treuen Fans mehr als verdient. Bei all der Besinnung auf »gute alte Zeiten«, die die Ami-Acts zum Großteil suggerierten, gab es auf dem Splash! dann doch noch so etwas wie den Stand der Kunst der Gegenwart. Und wer hätte gedacht, dass man so was mal skandieren würde: Dem Deutsch-Rap sei Dank! Den Orsons in All Black Everything und dem fabelhaft unverkrampften Spiel mit ihrem Boyband-Image zum Beispiel sei Dank. Oder dem Dendemeier, der seinen neu gefundenen Sound zelebrierte und Klassiker, die man gerne mit gespielter Reibeisenstimme mitkrächzt, zum Besten gab. Und dann natürlich K.I.Z! Nur krampfhaft verkopfte Kulturanthropologen fanden keinen Gefallen an Maxims komischem Hüftschwung, an Nicos Karikieren des 08/15-Proleten und Tareks verschmitzten Grinsen nach einer politisch inkorrekten Ansage. Auch Casper sei gedankt. Der Bielefelder belebte das Splash! just wie er das deutsche Rap-Geschehen seit seinem Erscheinen auf dessen Bühne erfrischte. Diese Performances waren es, die dem fiesen kleinen Musikjournalisten die analytischen Kanäle verstopften und ihn zwangen »den Scheiss zu lieben wie †ºne Schmeißfliege†¹«, um das mal frei nach Dendemann zu formulieren. Völlig berauscht setzten sich dann viele Rap-Liebhaber zwischen den Performances erst mal hin. Sie betrachteten die Bagger der »eisernen Stadt«, die wie stählerne Gottesanbeterinnen pompös die Kulisse beherrschten und viele von ihnen dachten so bei sich, während sie den Rauch auspusteten: »Ach, verdammt Splash!, dann bleib halt einfach jung, du bist gut so wie du bist«.