Wie Jazz-Saxophonist Otis Sandsjö in Berlin seine Träume sucht und eine Heimat fand

17.06.2024
Foto:Hagen Möller © We Jazz
Alles klingt nach Zukunft im Jazz von Otis Sandsjö. Was den schwedischen Saxophonisten antreibt und wovon er in Berlin träumt, hat er mit uns besprochen.

»Wenn du mit Otis reden möchtest, musst du mit Petter reden – die beiden sind wie Zwillinge«, schreibt der Manager und meint: Otis Sandsjö und Petter Eldh. Den einen Jazzzerstückler haben wir hier schon eingeleuchtet, der andere kommt eine halbe Stunde zu spät in den Call. »Dafür hab ich noch 21 Prozent Akku«, sagt Sandsjö und grinst, als hätte ihn gerade jemand auf seine Filmkarriere angesprochen. »Dann muss ich aber weiter zum Kindergarten.«

Dort sei natürlich das Kind, kein Konzert. Wobei sich das manchmal durchaus so anhöre wie bei den Free-Jazz-Verrücktheiten, für die er vor zehn Jahren nach Berlin gekommen sei. Anfang 20 war der Göteborger damals und so weltmotiviert, wie man sein kann, wenn man gerade keine Termine hat. Schließlich hat Sandsjö davor geleistet. Er studierte, bereiste den Balkan und sang in einer Reggaeband. Ach ja, Schauspieler war er auch. Mit zehn, frage nicht.

Bald war die Musik sowieso wichtiger als Hollywood. Für Schlagzeugstrapazen waren die Eltern (»sie Schauspielerin, er Werber mit Punkvergangenheit«) zu alt. Die Klarinette wurde zum Kompromiss. Später kam das Saxophon hinzu. Sandsjö hat schon zirkulär geatmet, bevor andere in den Stimmbruch kamen. Dann: Ausbruch zum Austausch nach Kopenhagen. Sandsjö: »Dort gab es nur klassischen Jazz, aber erste Verbindungen nach Berlin.«

Ja-Sagen in Berlin

Sandsjö fing an, immer mal wieder für ein paar Tage »runterzufahren« – Gigs spielen, feiern, das Leben mitnehmen, wie er sagt. Irgendwann wurden aus den Aufenthalten Wochen, ein Monat, der ganze Sommer. »Schließlich hat mich ein Typ namens Petter gefragt, ob ich auf seiner Platte spielen will«, so Sandsjö. »Außerdem zog jemand, den jemand kannte, aus einer Wohnung aus. Ich habe einfach die Gelegenheiten genutzt, die sich mir boten und nicht nein gesagt.«

»Die Stadt ist ein seltsamer Ort, wenn man älter wird. Weil man weiß, dass man ursprünglich wegen eigenen Träumen gekommen ist. Und plötzlich feststellt, dass Berlin auch nur eine Stadt mit deutscher Bürokratie ist.«

Otis Sandsjö

Der Mietvertrag war unterschrieben, der Beschluss klar: endlich Teil »einer internationalen Community« werden, so Sandsjö. »Ich habe bei meinen Berlinbesuchen nämlich immer wieder mitbekommen, was hier für ein Netzwerk existiert. Die Leute kommen aus der ganzen Welt, überall wird improvisiert, alles ist DIY und die meisten buchen sogar ihre eigenen Touren, um verrückte Musik spielen zu können. Diese Energie war aufregend.«

Mittlerweile sind ein paar Jahre vergangen. Neben seinem Musikerleben auf Tour und in Bands wie Y-Otis, Speak Low oder Koma Saxo führt Sandsjö ein Familienleben in Berlin. Bis heute habe die Stadt für ihn dennoch eine mystische Aura behalten. Berlin, das sei schließlich mehr Traum als alles andere, sagt Sandsjö. »Was wohl daran liegt, dass Menschen hier immer Träume haben und eine Energie erschaffen, die man woanders nicht findet.«

Träumen, aufwachen, Realität!

Je weiter man sich in die 1990er Jahre zurückdenke, desto mehr von dieser Energie könne man entdecken. Hätten ihm zumindest jene erzählt, die damals schon in Berlin getrötet haben. »Dass dieser Traum zunehmend seltener wird, macht mich traurig, obwohl ich es auch verstehe: Die Stadt ist ein seltsamer Ort, wenn man älter wird. Weil man weiß, dass man ursprünglich wegen eigenen Träumen gekommen ist. Und plötzlich feststellt, dass Berlin auch nur eine Stadt mit deutscher Bürokratie ist.«

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Anfang der 2010er war der Traum für Sandsjö noch real. Für die Improszene zog er nach Berlin. Ähnlich wie sein Kumpel Petter habe er sich aber bald davon gelöst. Weil darin viele etwas weiterführen wollten, das auf reiner Vergangeheit aufbauen sollte, sagt Sandsjö. »Das ist auch gefährlich, denn in diesem Aufbauen ist die Idee eines Erbes eingeschrieben und das kann auch konservativ sein.« 

Was Sandsjö meint, weiß man, wenn man die Alben seiner Band Y-Otis hört. Das ist sicher immer noch Jazz, aber nicht festgeklebt im Traditionssessel, sondern so, dass dann lustige Musikjournalisten immer auch dazuschreiben dürfen: Gefällt auch Leuten, die eigentlich gar keinen Jazz hören. Die werden immer weniger, was Sandsjö freut. »So bleibt Berlin nämlich verträumt«, sagt er und meint: »Sieben Prozent, ich muss dann gleich los.«

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