»Hey, du begleitest mich jetzt einfach ein bisschen bei meinem Tag, ich hab’ nämlich noch ein paar Dinge zu erledigen«. Wu-Lu verschenkt nichts. Vor allem keine Zeit. Als er seinen Kopf in den Zoom-Call steckt, chillt er noch auf der Couch, sein Pit Bull Sunny springt ihm auf den Schoß. Plötzlich bimmelt sein Handy. Akku leer. »Wir sehen uns in fünf Minuten«. Nach fünfzehn grinst Wu-Lu wieder in die Kamera. Diesmal sitzt er in seinem Auto.
Born and raised im Süden Londons, lebt der Mann mit dem Tingeltangel-Afro und der Zahnlücke noch immer in Brixton. »Eine scheißteure Gegend, sofern man nicht gerade sieben oder acht Riesen im Monat verdient«, sagt er, während er das Handy hinter die Gangschaltung klemmt. »Ich hab’ das Glück, immer noch hier zu wohnen, weil meine Familie früh in das Immobiliengeschäft einsteigen konnte und sich dieses Häuschen gecheckt hat.«
Loggerhead Black Vinyl Edition
Wu-Lu, der eigentlich Miles Romans-Hopcraft heißt, wohnt nicht nur in einer der teuersten Städte der Welt. Er bringt mit »Loggerhead« demnächst sein Debüt auf Warp raus. Miles smiles, weil er weiß, dass er damit angekommen ist – neben Producer*innen wie Flying Lotus, Nightmares on Wax oder LoneLady, die alle in den letzten Monaten auf dem britischen Elektronik-Label ihre Platten veröffentlichten.
Pokémon, Kickflips und Jazz
Der 31-Jährige ist nicht durch Zufall dort gelandet. Wu-Lu beginnt sich für Musik zu interessieren, bevor er seine Milchzähne verloren hat. Seine Mom, ehemals Tänzerin, unterstützt ihn, kreativ zu sein und die spirituelle Seite ebenso zu zuzulassen wie die Notwendigkeit, diszipliniert zu arbeiten. Miles’ Dad, selbst Musiker für Jazzbands, nimmt ihn bald mit auf Konzerte. Gemeinsam mit seinem Bruder hängt er Backstage ab, fährt im Tourbus mit, lebt in einer Welt, die sich auf der Bühne abspielt.
»Als Kind hatte ich deswegen das Gefühl, dass alle Musik machen, dass alle die gleiche Erziehung wie ich bekommen«, sagt Wu-Lu. »Ich habe die ganze Zeit Leute gefragt, was sie für ein Instrument spielen oder auf welchen Gigs sie waren. Dann hab’ ich gemerkt, dass diese Realität auf die meisten Menschen gar nicht zutrifft.« Musiker sei er also nur wegen seinen Eltern geworden, da sei er sich sicher. »Ich hab’ nämlich nicht gerade viel geübt, sondern bin meistens auf dem Skateplatz abgehangen.«
»Ob die Leute nun glücklich, wütend, traurig oder gestresst sind. Sie sollen sich meine Musik anhören und etwas fühlen, um eine andere Perspektive auf die Welt zu bekommen.«
Wu-Lu
Neben seiner Vorliebe fürs Kickflips und Rails verbringt er seine Nachmittage – wie jeder Frühpubertierende Ende der Neunziger – mit Pokémon und Dragon Ball Z. Demnächst will Miles, er hat mittlerweile drei Tattoos, sich sogar den Anime-Charakter King Kai stechen lassen. »Das ist pure Nostalgie. Ich liebe das, weil diese Dinge mir als Kind ein gutes Gefühl gegeben haben.«
Die Energie hochhalten
Dass Miles heute Beats baut, die klingen, als hätten sich die Death Grips mit Kendrick Lamar in den Neunzigern zu einem Brunch im Moshpit getroffen, führt er auf seine jugendliche Fernsehsucht zurück. »Ich bekam irgendwann die Doku ›Scratch‹ in die Hände. Da geht es um Hip-Hop-Culture, Leute wie DJ Shadow zeigen, wie sie auflegen und so. Ich hab’ mir das reingezogen, bevor ich in die Schule gegangen und nachdem ich wieder heimgekommen bin. Cheese and pickle Toastie, Chips und … ›Scratch‹ – das war für eine ganze Weile meine Welt!« Weil Miles keine Ahnung hat, wie Cut Chemist und Mixmaster Mike diesen »krassen Sounds« machen, fährt er in den nächsten Plattenladen nach Camberwell, fragt den Besitzer nach »Breaks« und geht mit zwei Greatest Hits-Platten von James Brown nach Hause.
Miles scratcht aber nicht nur auf Instrumentals rum, er hängt sich außerdem hinter den PC seines Dads und beginnt, mit einer frühen Version der Musiksoftware Reason herumzuspielen. »Das war wie ein Cartoon für mich, aber eine Connection zwischen den Beats auf dem Turntable und der ganzen Sache hab’ ich nicht gemacht – bis ich von Sampling hörte.« Für Wu-Lu sei das der »Spark« gewesen. Seitdem sammelt er alte Jungle-Jams, sampelt seltene Soul-Scheiben oder pusht mit dem Einfluss von Punk-Platten das Energielevel seiner Songs. Schließlich gehe es genau darum: Energie! »Ob die Leute nun glücklich, wütend, traurig oder gestresst sind. Sie sollen sich meine Musik anhören und etwas fühlen, um eine andere Perspektive auf die Welt zu bekommen.«
Wu-Lu bleibt vor einem Skateplatz stehen und dreht die Handykamera. »Schau mal, das ist genau der Vibe, den ich erreichen will.« Dann bricht der Zoom-Call ab. Der Mann mit dem Afro kommt nicht wieder. Dafür hat er ein paar Dinge erledigt. Und sein Handy aufgeladen.