Die Harfe hat im Jazz weiterhin Konjunktur. Klassiker von Alice Coltrane und Dorothy Ashby, die das Instrument einst in die Improvisation führten, werden wiederentdeckt – nicht zuletzt dank der erinnerungsfreudigen, zukunftszugewandten Arbeit von Kolleginnen wie Brandee Younger oder Amanda Whiting. Die klassisch ausgebildete Musikerin aus Wales veröffentlichte allein im vergangenen Jahr zwei Alben: The Liminality of Her sowie die Weihnachtsplatte A Christmas Cwtch, auf der sie u. a. Vince Guaraldis Peanuts-Soundtracks Tribut zollte.
Nun legt Whiting mit Can You See Me Now eine EP vor, die mit zurückhaltender Laufzeit kommt, dafür aber klanglich umso weiträumiger ausfällt. Ihre zart-horchenden Harfenlinien werden minimalinvasiv mit dezent straffen Beats kombiniert, sodass trotz kompakter Form ein Gefühl von Weite und Nachdenklichkeit entsteht. Unterstützt wird Whiting von ihren Trio-Mitstreitern Aidan Thorne (Bass) und Jon Reynolds (Drums), hinzu kommen der Produzent Adam Scrimshire sowie Faye Houston, deren Chorstimme der kammermusikalischen Nähe immer wieder neue Horizonte öffnet. In »What Is It We Need?« – dem einzigen klassischen Song der EP – übernimmt Alice Russell den Gesangspart: zurückgenommen, aber eindringlich. Mehr braucht es tatsächlich nicht.

Can You See Me Now