Review

Ash Ra Tempel

Join Inn

MG.Art • 1973

Nachdem sie in London fast das gesamte Sound-Equipment von Pink Floyd gekauft haben, beginnen Manuel Göttsching, Hartmut Enke und Klaus Schulze im Sommer 1970 mit den Aufnahmen ihres Debüts »Ash Ra Tempel«. Ein verheißungsvoller Start, bedenkt man wie verhältnismäßig klein das Projekt zu diesem Zeitpunkt noch ist. Schulze hatte zuvor zwar auf »Electronic Meditation« (1970) von Tangerine Dream die Drums besetzt, Göttsching und Enke Projekte wie Bad Joe, Bluebirds oder die Steeple Chase Blues Band verfolgt. Doch erst als Ash Ra Tempel und in dieser Konstellation vor allem mit dem 1973 veröffentlichten vierten Album »Join Inn« prägt das Trio nicht nur Krautrock als solchen, sondern legt im Prozess auch Grundsteine der modernen elektronischen Musik, auf die sich später die gesamte sogenannte Berlin School aber auch Giganten wie Kraftwerk berufen würden. Entstanden während der Aufnahmen zu Walter Wegmüllers Allstar-Album »Tarot« (1973), bei einer nächtlichen Jam-Session ohne Rehearsals eingespielt, entpuppen sich die beiden Longtracks des Albums als grandios angelegte Improvisationen zweier Seiten des »Krautrock«-Begriffs. Auf der einen »Freak’n’Roll«, zweifellos einer der ersten Heavy-Psych-Songs der Geschichte, der Schulze in finaler Topform dabei zeigt wie er sein Schlagwerk unter einem gleißenden WahWah-Regen aus Göttschings Gitarren vermöbelt und Enkes sublimes Bassspiel als Medium nutzt. Der große Jammer: Danach kehrte Schulze den Drums bis an sein Lebensende im Frühjahr 2022 den Rücken. Selbst einem Julian Cope fielen zu diesem Machwerk nichts als entzückende Worte ein. Völlig anders die B-Seite. Warum »Jenseits« vielleicht das schönste Stück Musik ist, an dem irgendeines der beteiligten Mitglieder je mitgewirkt hat, lässt sich nur schwer mit Begriffen fassen. Sicher spielen die kongenial gelayerten Synth-Akkorde Schulzes eine tragende Rolle und nehmen gewissermaßen den Soundtrack zum Tarkowski-Klassiker »Stalker« (1979) von Edward Artemiev vorweg. Auch die ultraviszeralen Gitarrenkaskaden Götschings und jene legendären Bassimpulse aus Enkes Gibson erlauben es diesem Trip über stellare Skalen hinweg auszuufern. Unterwegs ist es allerdings Rosi Müllers lakonische Lyrik, die wie Prophetie über allem schwebt und am Ende das magische Moment des Albums definiert: »Ich dachte wir sind im Paradies. Wir waren wie Kinder. Wir fassen uns an – und tanzen auf dem feuchten Rasen«. Zeitlose Zauberei.