Review

Biosphere

Angel’s Flight

AD 93 • 2021

Astralprojektionen schwirren durch den wattigen Nachthimmel, als der Cocktail aus Traubensaft, Molke und Datura-Samen zu wirken beginnt. Langsames Entgleiten wird spürbar, der Boden weicht dem Weltraum – die Vision kickt rein. Derlei channelte Geir Jenssen in den letzten 30 Jahren über alle denkbaren Frequenzen und Bewusstseinszustände hinweg: Vom bahnbrechenden Debüt »Microgravity« (1991) über die »Polar Sequences« (1996) und das kosmoskalte »Substrata« (1997) bis zur deliranten Jazz-Reformation »Dropsonde« (2004) hatte der Pionier immersiver Field Recordings als Biosphere eigentlich alles gesagt, was es in Sachen Ambient zu sagen gibt. Bis auf jene Momente, wenn er selbst noch mal das Wort ergreift und in den Außenregionen elektronischer Soundgenese Feldforschung betreibt – da, wo gemeinhin kaum etwas wächst. »Angel’s Flight« steht in dieser Tradition, sucht aber weniger vor, als viel mehr hinter den Augen nach ausgedehnten Landschaften zwischen dem Kommenden und Vergangenen. Basierend auf Beethovens 14. Streicherquartett, dröhnt und raunt diese Platte eine Dreiviertelstunde wie ein durch Tapefilter gedrücktes Kammerorchester vor sich hin, erfindet dabei nichts neu, wirkt zunächst fast schon unspektakulär, schält sich aber spätestens nach dem zweiten Turn immer eindringlicher aus den Boxen und weist anhand ausufernder Moll-Melodien in Richtung der eher dramatischen Szenarien des Biosphere-Spektrums. Subtil ist diese Musik zwar, doch in ihren besten Momenten auch eine Demonstration, wie klassische Musik fit für’s 21. Jahrhundert gemacht werden kann. Erinnerungen an Thomas Bückers Bersarin Quartett werden in diversen Tracks wach, was zweifellos immer eine gute Sache ist. Lange möge sich Jenssen jedenfalls bitte nicht mehr Zeit lassen, bis er endlich Filme von Andrey Zvyagintsev oder Lukas Feigelfeld scored. Der zeitgenössische Film braucht so eine Kombo.