Alben, die für Ahnungslose wie eine Eintrittskarte in eine unbekannte Musikrichtung funktionieren, sind selten. Noch seltener sind solche, die ein ganzes amorphes Genre zur Schau stellen. »Chico Mello / Helinho Brandão« ist so eines, es wirkt wie eine Best-Of der experimentellen Musik. Chico Mello, brasilianischer Gitarrist, Komponist und Sänger, hat es zusammen mit dem Altsaxofonisten Helinho Brandão und einem großen Ensemble an Begleitmusikern in Brasilien aufgenommen, bevor er Ende der 1980er-Jahre nach Berlin gezogen ist.
Was allein im ersten Track »Água« im Verlauf von neuneinhalb Minuten los ist, dürfte anderen Musiker:innen für ihre komplette Discografie reichen. Musique concrète wird von freien Verschlingungen auf dem Saxofon untermalt, bis ein Chor auf portugiesisch eine poppige Melodie singt und Männerstimmen ein religiöses Mantra anstimmen, dann baut sich im Hintergrund eine Soundtrack-artige Spannung auf, die wieder in den Musique-concrète-Modus übergeht, bis eine Spieluhrmelodie erklingt, die von einer Art Kinderchor begleitet wird.
Das Album ist ein Wunderwerk an Genrebending, Free Jazz und Minimal Music, freie Improvisation, Avant-Pop und die Musica popular brasileira gehen zusammen, als wäre das ein Naturgesetz. 2010 wurde »Chico Mello / Helinho Brandão« unter dem Titel »Água« in einer um zwei Tracks gekürzten Version beim Berliner Label M=minimal veröffentlicht. Die erste vollständige Vinyl-Wiederveröffentlichung erscheint auf Black Truffle, dem Label des australischen Avantgarde-Genies Oren Ambarchi.
Chico Mello / Helinho Brandão