Review

Emptyset

Blossoms

Thrill Jockey • 2019

Das Vokabular diverser Algorithmen, die von ProduzentInnen wie Holly Herndon, Darren Cunningham oder Sean Booth und Rob Brown zu maschinellen Quasi-Features gemacht werden, nimmt stetig zu. Nun präsentieren auch James Ginzburg und Paul Purgas als Emptyset eine eigens entwickelte Klang-KI, deren Sprachschatz unter anderem aus dem Gesamtwerk der beiden plus zehn Stunden improvisierter Aufnahmen von Holz, Metall und Schlagzeugfellen besteht. Aus widersprüchlichen Soundbytes, aus tausenden und abertausenden bruchstückhaften Geräuschen extrahierte das lernende Programm über ungezählte Stunden hinweg akustische Muster und spuckt auf »Blossoms« erste Kongruenzen aus. Sie besitzen insektenartige Qualitäten, klingen bizarr und kalt, aber auch wie Sprache, wie ein Monolog des Google-Quantencomputers Bristlecone oder eine von SETI-Astronomen zufällig detektierte Warnung außerirdischen Ursprungs. Doch beängstigend sind diese geschliffenen Noise-Abstraktionen vor allem deshalb, weil sie nicht einer gutmütigen Maschinengottheit zu entstammen scheinen, wie etwa auf »PROTO«. Hier äußert sich etwas, das unberechenbar und aggressiv verzögerungsfrei agiert, obwohl es gerade erst geboren wird. Von SSEYOs Koan-Software, die Brian Eno für seine generative Musik nutzte, über die kristallenen Experimente von Autechre und Richard Devine bis zu den Sets der Algorave-Gruppe Slub waren es gut drei Jahrzehnte. Jetzt, am Beginn der 2020er treten neuronale Netze und lernende Systeme prominenter denn je in der Musiksphäre auf, entwickeln sich zum aktiv gestaltenden Part. Der Computer nicht mehr als Instrument, sondern als Bandmitglied? Das wird kaum aufzuhalten sein. Unterm Strich weiß zwar noch niemand, ob wir die Genese von sich selbst replizierender KI imstande sind zu kontrollieren. Doch so oder so könnte der Erstkontakt tatsächlich wie dieses Album klingen – dann würde jedenfalls zunächst die Faszination überwiegen.