Review

Gastr Del Sol

We Have Dozens Of Titles

Drag City • 2024

Bei Gastr del Sol wundert man sich im Nachhinein, wie wenige Jahre sie bestanden und wie wenige Alben sie hinterlassen haben, gemessen an ihrer Nachwirkung. Allein der Name kann andächtiges Schweigen oder expressivere Reaktionen der Ehrerbietung hervorrufen. Ihr Klang kam dabei keinesfalls aus dem Nichts: Die spukhaften Folk-Innovationen John Faheys etwa hatten als Einfluss bei ihnen ebenso ihren Platz wie die akustischen Drones Tony Conrads, hinzu kam der beherzte Einsatz von Sampling, sei es als Plunderphonics oder im Stil der Musique concrète mit Field Recordings. Jetzt erscheint 26 Jahre nach ihrer Auflösung die Compilation »We Have Dozens Of Titles« aus bisher unveröffentlichtem Material und Raritäten, die sich wie ein sehr spätes letztes Album anhört.

Den Auftakt macht »The Seasons Reverse« von »Camoufleur« in einer reduzierten instrumentalen Live-Version, 1997 aufgenommen bei ihrem letzten Konzert auf dem Festival International de Musique Actuelle de Victoriaville. Von dem Auftritt stammen auch die Versionen von »Dictionary of Handwriting« und dem abschließenden »Onion Orange«, einer minimalistisch anmutenden Gitarre-und-Synthesizer-Meditation, mit 18 Minuten die längste Nummer. Das Stück »The Harp Factory on Lake Street«, zuvor als EP erschienen, bietet ein schönes Beispiel dafür, wie sich die Band mit ihren klaren ästhetischen Vorstellungen überhaupt nicht für marketingübliche Grenzziehungen des Musikgeschäfts interessierte, lange bevor das Adjektiv »genreüberschreitend« zu Marketingzwecken aufkam. Das in Kammerbesetzung, verstärkt von vier Bläsern, drei Streichern und Perkussion dargebotene Werk könnte über weite Strecken als Neue Musik durchgehen. Gastr del Sol ließen lieber die eigenen Grenzen stets hinter sich, als ihre Identität mit einem »Sound« festzuschreiben. Scheinbar paradoxerweise klingen Gastr del Sol bis heute einzigartig.