Review

Nicolas Jaar

Cenizas

Other People • 2020

Nicolas Jaar hat es gut. Das Problem der zwei Seelen in der Brust, des ständig abliefernden Clubmusik-Produzenten auf der einen und des ambitionierten Komponisten mit Hang zur großen Geste auf der anderen Seite, hat er nämlich gelöst. Indem er seine inzwischen weit über House hinausreichenden Elektro-Tracks seit wenigen Jahren unter dem Alter Ego Against All Logic herausbringt, kann er sich unter Klarnamen ganz ungeniert seinem inneren Satie hingeben. Diese Aufteilung hatte sich schon 2016 angedeutet, als er neben dem raumgreifenden zweiten Album »Sirens« auch eine Compilation seiner typisch reduzierten Deep-House-Tracks unter dem Namen »Nymphs« veröffentlichte. Seither kann Jaar freidrehen: Mit Against All Logic ist ihm eine zeitgeistige Reinkarnation gelungen, die allseits beklatscht wird. Das lässt für seine anderen Projekte Raum, um noch tiefer einzutauchen in experimentellere Bereiche der Musik, die mit Electronica und Pop nur noch wenige Berührungspunkte haben. Das in diesem Frühjahr erschienene »Telas« ist so auch eigentlich nur die Momentaufnahme einer digitalen Soundinstallation, während »Cenizas« es dagegen nochmal ernsthaft mit dem Konzept des Albums versucht. Und dieser Versuch glückt im Großen und Ganzen: Jaar kreiert auf »Cenizas« eine atmosphärische Dichte, die er schon auf den Vorgänger-Alben anstrebte, die ihm so schlüssig bislang aber nur mit seinem Bandprojekt Darkside gelang. Und das, obwohl er auf diesem Album wirklich alles unterzubringen versucht: Vom Free-Jazz-haften Klavierstück (»Gocce«) über den schleppenden Psychedelic-Groover (»Mud«) bis zur soliden Pop-Perle (»Faith Made of Silk«). Mit »Cenizas« baut Nicolas Jaar weiter an seinem Bild vom großen Komponisten unter den Laptopmusikern. Zu einem Satie macht ihn das aber noch lange nicht.