Review

Oneohtrix Point Never

Replica

Software • 2011

Rückblickend lässt sich sagen, dass Returnal von Oneohtrix Point Never im letzten Jahr ein entscheidender Impuls für das war, was 2011 an elektronischer Musik (v.a. aus den USA) vorgelegt wurde. Es hat den Synthesizer als Quelle vielfältiger Sounds wiederbelebt. Der amerikanische Autor Philipp Sherburne lobte das Album darum sehr und stellte die Verbindung zu Ambient, »Kosmische Musik«, Tangerine Dream und Klaus Schulze heraus, um anschließend zu betonen, »but it also sounds unusually original, which is a word you don’t get to use often«. Nicht nur weil eben Sherburne diese Zeilen formulierte, sondern auch, weil er diese Zeilen für Pitchfork schrieb, wurde damit der Bann für diese gleichzeitig rückständige und aktuelle Musik gebrochen, also in das Bewusstsein der Musiknerds jenseits und (wenn auch mit ungleich geringerer Wucht) diesseits des Atlantik gerückt. Diese Zeilen allein werden es aber nicht gewesen sein. Vielmehr hat Daniel Lopatin als Oneohtrix Point Never mit diesem nach hinten und nach vorne gewendeten, nostalgischen sowie progressiven Sound den Zeitgeist berührt. Da wurden Erinnerungen in denjenigen wach, die in den Achtzigern unweigerlich mit Musik aus Synthesizern aufgewachsen sind. In diesem Jahr hat er gemeinsam mit Joel Ford als Ford & Lopatin diesen Impuls ebenso aufgenommen wie M83 (in kitschiger Verklärung), Com Truise (erweitert und vulkanisiert durch Beats) oder das Label Spectrum Spools (durch exaltierte Soundstudien am Gerät). Letzterem steht Lopatin künstlerisch am nähesten. Seit frühesten Kindertagen erforscht er seinen Roland Juno-60. Nun legt er eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Gerät vor. Die visionäre Qualität des Vorgängers kann Replica zwar nicht bescheinigt werden, es ist dennoch hörenswert. Hat Lopatin in der Vergangenheit Keyboard- und Synth-bestimmtes Progzeug bearbeitet und von seinen unguten Konnotationen befreit, greift er hier auf Werbefilme, Dokumentationen, Lehrfilme aus den Achtzigern zurück, auf Ausgangsmaterial also, das durchaus noch gruseliger anmutet. Lopatin kreiert daraus einen düsteren, beschleunigteren Sound und ist vielfältiger in seinen Mitteln der Bearbeitung, benutzt Sampler, analoge Filterung, Tape-Manipulation, Klavier, Glitch, Subfrequenzen, Beats sogar. Und er zerschneidet oder dehnt Stimmen zu Cut-Ups bzw. Echos aus dem Jenseits. Diese Vielseitigkeit hat seinen Preis. Wo Returnal durch Kongruenz und dichte Kompositionen bestach, wirken hier manche Tracks nicht zu Ende gedacht, mitunter skizzenhaft und das Gesamtbild bleibt unschlüssig und vage. Dennoch bleibt der Verdacht, dass, wenn Lopatin der hier gezeigten Vielseitigkeit auch die kompositorische Tiefe hinzugesellt, dann werden wir in der Zukunft noch großes erwarten dürfen.