Review

Tim Hecker

Love Streams

4AD • 2016

Die Frage nach der Liebe ist zu einem Politikum geworden. Unser Liebesleben hat sich in den letzten Jahren entlang der medialen Umwälzungen verändert, ist streambar geworden: Links oder rechts swipen? Durch diese Medien wurde die Erotik neoliberalisiert und es sieht nicht gut aus. »Warum bringt sich heutzutage niemand mehr aus Liebe um?«, lautet die Leitfrage von René Pollesch’ Theaterstück »Kill Your Darlings« und liefert die Antwort prompt mit: Weil uns das (Selbst-)Optimierungsdiktat unserer Zeit zuflüstert, dass es immer noch ein bisschen besser geht. »Love Streams« lautet nun der Titel von Tim Heckers neuem Studioalbum und das Programm des kanadischen Produzenten scheint einen Gegenvorschlag liefern zu wollen. Das Cover des – viel zu späten – Durchbruchsalbums des Noise-Künstlers, »Ravedeath, 1972« zierte die Fotografie von Menschen, die ein Piano von einem Gebäude schmissen, ein seltsames akademisches Ritual am MIT und zugleich das perfekte Analogon für Heckers Konzept. Seine kreative Kraft ist nämlich eine zerstörerische. Tonnen von Noise kippt er über seine Kompositionen, die zumeist mit imposanten und doch recht filigranen Instrumenten performt werden – Kirchenorgeln in letzter Zeit. Nachdem sich Hecker auf »Virgins« bereits christlicher Motivik und der damit einhergehenden keuschen Erotik gewidmet hatte, führt »Love Streams« diese Ideen mit nur wenigen Ergänzungen weiter. An die Seite der knirschenden, manipulierten Orgelsounds stehen nunmehr ultracleane Auto-Tune-Passagen. Auch Auto-Tune ist eine perfekte Metapher für die vermeintlich desolate Situation unserer emotionalen Befindlichkeit: Es ist ein (Selbst-)Optimierungsinstrument, mit dem viele Liebeslieder gesungen werden. Ein wenig erinnert diese Ästhetik an die Musik von Oneohtrix Point Never und damit an das gemeinsame Album »Instrumental Tourist« aus dem Jahr 2012 – was allerdings die Crux von »Love Streams« auf den Punkt bringt: Es wirkt heute schon gestrig. Zumal Heckers zum Teil extrem ziellose Klangexperimente immer noch auf Destruktion setzen. Aber sollten wir unser Liebesleben nicht eher dekonstruieren? Von »New Ways To Love« sang zuletzt auch Holly Herndon, die mit ihrem Album »Platform« ungleich hoffnungsvollere und zugleich konstruktivere Vorschläge vorbrachte, wie es nach der Agonie des Eros weitergehen könnte.