Retrogott & Hulk Hodn – Gesprächsfetzenkontamination

06.12.2018
Seit nun auch schon beinahe 20 Jahren sind Retrogott und Hulk Hodn gemeinsam unterwegs. Lange Zeit als Huss&Hodn, seit 2013 mit neuem Namen. Geändert hat sich ansonsten allerdings nichts. Und diese Konstante, das genau ist ihre Kunst.

Ende der 1990er Jahre, deutschsprachige Rap-Musik erlebt ihren ersten, kommerziellen Boom. Der Kuchen wird in Stuttgart, Hamburg, Frankfurt, Berlin geteilt – in Städten wie Heidelberg, Minden, im Ruhrgebiet mit RAG, Too Strong oder Creutzfeld & Jakob versammeln zwar wichtige Akteure der Szene, der kommerzielle Durchbruch des Genres wird jedoch woanders verbucht. Auch Köln, die viertgrößte Stadt Deutschlands, ist zwar als Medienstadt und nicht zuletzt als Sitz des Musiksenders VIVA und Austragungsort der Popkomm, bekannt, musikalisch doch auf den ersten Blick eher in anderen Bereichen zu verordnen – Köln ist Kompakt, Köln ist Krautrock. Doch Köln ist auch HipHop: Das Äi-Tiem, Creme de la Creme, Die Firma, Die Coolen Säue, Microphone Mafia, Huss&Hodn bestehend aus dem Rapper und Produzenten Retrogott (auch Kurt Hustle) und Beatmaker HulkHodn und natürlich Eko Fresh entstammen der Domstadt, ihrem Umland oder nennen Köln seit vielen Jahren ihr Zuhause. Dass Köln dennoch nie als Hip Hop-Hochburg wahrgenommen wurde, liegt sicher auch an dem Fehlen eines verbindenden Elements wie es Mongo Clikke und Eimsbush, 0711 und Kolchose oder das Frankfurter 3P-Universum darstellten. Die Kölner Akteure von damals, heute zumeist Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 2018, auch Huss&Hodn ist längst Geschichte. Die Künstler hinter dem Projekt jedoch sind geblieben, genauso wie das »&« im Namen. In wenigen Wochen wird das fünfte Album »Kontemporärkontamination«, das die beiden Musiker zusammen aufgenommen haben erscheinen.

Sonntag, der 11.11.2018. Mittlerweile weiß wohl jeder in der Republik welche Bedeutung der Elfte im Elften, Elf Uhr Elf für den rheinischen Karneval hat – diese magischen Zahlen lassen die einen fluchtartig die Domstadt verlassen, treiben die anderen zu Zehntausenden auf die Straße, viele reisen für den Tag gar aus dem ganzen Bundesgebiet an. Auch ich sitze im Zug von der Elbe an den Rhein. Die neue Scheibe von Retrogott & HulkHodn noch eingeschweißt und wie meinen Augapfel gehütet neben mir. Um mich herum eine im Interessenspektrum eines alle Klischees erfüllenden Junggesellenabschieds für vermutlich ein Leben lang verharrende Gruppe, heute Karneval, morgen Helene Fischer-Konzert, nächste Woche Apre Ski-Hits. Dosenbier, Chauvinismus, Sprüche-T-Shirts: Konstanten im Leben dieser Leute. Vor mir: Ein Interviewtermin verbunden mit Heimatbesuch inmitten de Sessionsauftakt.

»Für mich ist Hip-Hop einfach Black Music, denn Hip-Hop hängt mit afroamerikanischer Kultur zusammen und für mich ist das essentiell wichtig. Ohne diesen geschichtlichen Faktor hätte Hip-Hop-Musik wahrscheinlich nicht denselben Groove und somit für mich auch nicht denselben ästhetischen Reiz«, sagt Retrogott und fügt an: »Ich zitiere da gerne Daddy-O, der mal sagte, Hip-Hop as a genre is not a standalone entity. It is an extention to traditional black music«.

»Hip-Hop zu machen hat auch immer etwas expressives, man eignet sich Fähigkeiten durch Ausprobieren an, nicht durch eine formelle Ausbildung«

Retrogottt
Hulk Hodn und Retrogott kommen Mitte der 1990er Jahre über das Skaten mit der Hip Hop-Kultur in Berührung, unabhängig voneinander, in verschiedenen Vorstädten der Domstadt. »Irgendwann lief da wo ich skatete Hip Hop-Musik. Ich fand die Musik sofort toll und habe mich dann mehr mit der Kultur beschäftigt. Anfangs bin ich ein bisschen bei Graffiti kleben geblieben und dadurch dann auch in die Großstadt gekommen, wo ich weitere Leute kennenlernte die sich auch für die HipHop-Kultur interessierten und habe mir schließlich einen Plattenspieler gekauft. Da kam eines zum anderen«, erinnert sich HulkHodn an seine ersten Berührungen mit Hip-Hop.

In Bad Honnef, dort wo Konrad Adenauer mehr als 30 Jahre bis zu seinem Tod lebte und die Basketballer der Rhöndorfer Dragons bis Ende der 1990er Jahre in der ersten Bundesliga spielten, wächst zur gleichen Zeit Retrogott auf, der zwar auch skatet, zuerst jedoch durch Punkrock musikalisch sozialisiert wurde. »Meine älteren Geschwister hatten einen großen Einfluss darauf, was ich gehört habe. Ich fand die Musik wahrscheinlich zuerst auch aus einem Zu-den-Geschwistern-Aufschauen-Gedanken gut, aus Peer Pressure – Gründen«, lacht Retrogott, »aber sie hatte dann doch auch meinen Geschmack getroffen. Die ersten Sachen, die ich so richtig gehört habe, waren Beastie Boys und Wu-Tang und ich hatte dann auch schnell den Impuls das machen zu wollen. Mich hat die Ästhetik fasziniert, vor allem aber auch dieser Mitmach-Gedanke. Jeder konnte HipHop-Musik machen, das waren ja alles keine geschulten Musiker. Dabei ging es mir nicht um Selbstverwirklichung, solche Gedanken hat man in dem Alter noch nicht, sondern um das Verwirklichen der Sache an sich.«

Wir sprechen über den niedrigschwelligen Zugang zur HipHop-Szene und die damit einhergehende Gemeinsamkeit mit Punk: Anfängliche Fähigkeiten seien nicht so wichtig, wie das Ausprobieren, da sind wir uns einig – anders als in anderen Genres, wo eine schief gespielte Note nicht einfach eine schief gespielte Note, sondern eine Falsche sei. Das Amateurhafte, das stümperhafte Element, wie Retrogott ganz ohne negative Intention, anmerkt, mache seit jeher möglich, dass ein jeder sich in der HipHop-Szene ausleben kann. »Hip-Hop zu machen hat auch immer etwas expressives, man eignet sich Fähigkeiten durch Ausprobieren an, nicht durch eine formelle Ausbildung«, findet er. Ebenso fasziniere ihn, wie aus altem, etwas Neues entsteht – wie in einer Remix-Kultur, wie dem Hip-Hop bzw. dem Pop im Allgemeinen, üblich und verweist auf den lehrenden Aspekt einer Referenzkultur: Denn nichts ist wie wir‘s kennen, weil wir es kennen wie wir es kennen. »Ich habe den P-Funk durch den G-Funk kennengelernt. Vielleicht würde ich den P-Funk auch so kennen, aber es ist nun mal ein Fakt, dass es anders lief.« Die bildenden Verweise würden zwar im nicht samplebasierten Hip-Hop weitestgehend fehlen, Samples seien aber kein Schutz vor Inhaltslosigkeit. Die Faszination von Hip-Hop macht für Retrogott auch der Bruch mit Regeln aus: »Vor kurzem hörte ich einen Vortrag von Anthony B. Pinn, einem afroamerikanischen Theologen. Er sprach von der Regelwidrigkeit im Hip-Hop in einem positiven und identitätsstiftenden Sinn: Hip-Hop hat immer etwas regelwidriges. Der B-Boy ringt seinem Körper Dinge ab, die man nicht für möglich hält. Der DJ den Platten. Er macht aus altem etwas neues, etwas was so eigentlich nicht hätte sein sollen. Der MC tut dasselbe mit der Sprache. Auch der Writer geht regelwidrig mit dem Material um, das er nutzt.«

Nicht nur weil Retrogott hier die vier Säulen des HipHop anschneidet, auch beim Hören des kommenden Albums »Kontemporärkontamination«, wie auch dem sonstigen Output der beiden, könnte man meinen, ein allgemein als »Oldschool« bezeichneter Sound, Werte und Definitionen seien den beiden wichtig. Verstehen sich Retrogott und HulkHodn also gar als Realkeeper? Erst einmal, stellt HulkHodn klar, sei ein Begriff wie »Oldschool« ja Definitionssache, sein Neffe würde auf die Frage schließlich etwas anderes antworten, als er selbst.

»Unsere aktuelle Platte ist eher Battle-mäßig gehalten. Sie ist nicht abwechslungsreich, nicht vielfältig. Ich glaube dass dadurch die Platte eine gewisse Eigenständigkeit bekommt.«

Retrogott
Aber davon abgesehen und auch wenn es solche Begrifflichkeiten, wie auch Fragestellungen nach, sagen wir, der »Realness« schon immer gab, empfinde er die Verwendung solcher Kategorien als Quatsch. Überhaupt würde man nicht in solchen Bahnen denken, die eigene Musik sei für den einen »Oldschool«, für den anderen nicht, vor allem aber das Ergebnis des persönlichen Geschmacks der beiden und weder eine bessere, noch schlechtere Version von Rapmusik – mit einigen anderen Definitionen könne man schlicht persönlich nur nichts anfangen. Ihre Existenzberechtigung verliere Musik, die zum Beispiel in irgendeiner Top Deutschrap Playlist 2018 auftaucht, dadurch allerdings nicht und man wünsche sich eben so wenig, dass sich andere Rapper auf den 90er, 80er Jahre HipHop mit seinen Soul und Funk-Anleihen beziehen nur um irgendetwas zu erhalten. »Unsere aktuelle Platte ist eher Battle-mäßig gehalten. Vom musikalischen Entwurf her bleibt alles in einer Schublade, es ist nicht abwechslungsreich, nicht vielfältig. Ich glaube dass dadurch die Platte eine gewisse Eigenständigkeit bekommt. Für mich hat das einen ästhetischen Wert, da ich keine Platte machen will, auf denen die gleichen Songs drauf sind, wie auf allen anderen Platten. Die irgendwo ein Breakdown haben, dann kommt der trappige Part, dann der Drop, dann geht es Richtung Eurodance. Es wird halt alles immer abgedeckt und das bieten wir halt nicht.«

Überhaupt mache man sich keine Sorgen, das Spielarten von Rapmusik die nicht mehr als modern gelten, verloren gingen. Es gebe genug Leute, die sich treu geblieben seien und eine Nische erspielt haben, die es dann zu halten gelte. Da hätten es die, die ständig Trends hinterher laufen, deutlich schwerer auf Dauer zu Bestehen. Doch auch wenn das Duo den verschiedenen Interpretationen von Hip-Hop ihr Existenzrecht nicht abspricht, Kritik an heutigen Künstlern im Allgemeinen, nicht nur innerhalb der Hip Hop-Szene, viel mehr noch, der Gesellschaft als Ganzes, ist der thematische rote Faden von »Kontemporärkontamination«.

Dabei geht es weniger um die Verpackung, sondern den Inhalt – auch in der Kunst. Fehlt dieser, wird die Verpackung zur Hülle degradiert. »Ich glaube, dass viele Menschen gar nicht mehr das Bedürfnis haben, etwas auszudrücken. Viele Künstler gar keine Ansprüche haben, sondern die Ansprüche anderer sind. Stattdessen gehe es bei vielen nur noch um das bestmöglich verkäufliche Produkt. Die ganzen Musiker stellen sich auch alle so auf, alles machen zu können«_, beobachtet Retrogott. Pflege man immer eine Versatzkultur, könne man am Ende vieles, aber nichts so richtig. Die beiden Musiker beschränken sich lieber bewusst auf das Wesentliche, wie sie es schon immer getan haben. In Instrumentierung und den Texten referenzieren sie wie gewohnt an eine längst vergangene Generation von Rappern und deren musikalische Vorbilder, thematisch setzen sie sich hingegen mit dem Hier und Jetzt auseinander. Auch in Zeiten von Vorab-Streams, Video-Snippets und limitierten Boxen hat sich an ihrer Verweigerungshaltung gängiger Marketingprozesse über nichts geändert.