Daedelus – Das Geheimnis der komischen Anzüge

30.06.2008
Daedelus ist das untriebige Kind der kalifornischen Musikszene. Mit seinem unbändigen Output an qualitativ hochwertiger Musik nähert er sich langsam Madlib’schen Ausmaßen. Ein Gespräch über Liebe, Mode und Musik

Eines dieser wohl notwendigen Übel des technologischen Zeitalters sind Email-Interviews. Künstler wollen einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Presse bringen, indem sie die Schreiberlinge zwingen, wochenlang auf eine Antwort zu warten, um dann in Windeseile zwei Minuten vor der Deadline aus Ein-Satz-Antworten einen sinnvollen Text zu zaubern. Doch ganz anders in diesem Fall. Protagonist Daedelus antwortete ausführlich und sehr humorvoll auf den Fragenkatalog. Anlass für den elektronischen Datenaustausch war die Veröffentlichung von Daedelus†˜ jüngstem Schaffenswerk Love To Make Music To. Der Titel impliziert ja den zarten Hauch einer romantischen Schmonzette, weshalb ich mich bereits auf einen Verschnitt à la Automator einstellte, der mit Lovage ein Album für das intime Beisammensein schneiderte. Doch nichts dergleichen. Nicht zuletzt, weil sich der Protagonist mit dem Wort »Romantik« doch schwer tut. »Romantik ist ein schwieriges Wort. Ich möchte stets emotionale Musik machen, jedoch ist eine Romanze schon ein sehr spezieller und schwieriger Prozess. Andererseits ist es nicht einfacher mit dem Wort †ºLiebe†¹, nur ist dieses universeller einsetzbar. Es kann eine positive Message transportieren, ohne dass wir dabei denken, dass die Welt aus schönen Rosen und französischem Champagner besteht! Liebe transportiert eine große Vielschichtigkeit an positiven Botschaften, also warum sollte man nicht versuchen, dieses Konzept in einem Album unterzubringen.«

»Andererseits ist es nicht einfacher mit dem Wort †ºLiebe†¹, nur ist dieses universeller einsetzbar. Es kann eine positive Message transportieren, ohne dass wir dabei denken, dass die Welt aus schönen Rosen und französischem Champagner besteht!«

Daedelus
Im Wettstreit mit Madlib
Abgesehen von dieser bedeutungsschwangeren Botschaft geht es auf dem Album gewohnt elektronisch und schrunzig-verspielt zu, wobei es für den Nicht-Daedelus-Hörer eine Platte ist, zu der man einen ungewohnt leichten Zugang findet. Eher unromantisch, was aber ganz im Auge des Betrachters liegen sollte. »Für mich ist es wichtig, dass der Hörer sich ein eigenes Bild von meiner Musik macht. Vielleicht ist das nicht die †ºLiebes-Platte†¹ an die ich gedacht habe, vielleicht ist es für den Hörer eine Tanzplatte oder ein Album, zu dem man mit seiner Freundin Schluss macht. Wer bin ich denn, jemandem vorzuschreiben, was richtig oder falsch für ihn ist?« Überdies wehrt sich Daedelus gegen den Vorwurf einer strengen Liebeskonzipierung. So findet er, dass sein neuntes Album weniger durchgeplant sei als seine letzten Veröffentlichungen. Es geht hier vielmehr um eine Idee, die über dem Ganzen schwebt. »Das Album ist weniger konzeptionell als die letzten Sachen. Ich wollte eher Fragen aufwerfen, gerade mit dem Titel, der schon an sich eine Frage an den Hörer ist.« Der Hörer steht sozusagen zunächst mit leeren Händen da und muss die Leerstellen selbst mit Bedeutung füllen. Andererseits erscheint in den nächsten Wochen schon wieder das nächste Projekt von Alfred Weisberg-Roberts, wie er mit bürgerlichem Namen heißt. Angesprochen auf seinen doch bemerkenswert konstanten Output, verweist der Künstler auf sein Vorbild. »Wenn es um die Anzahl der Releases geht, schiele ich immer neidisch zu Madlib herüber. Bei all den Pseudonymen unter denen er veröffentlicht, wird mir ganz schwindelig! Dazu kommt noch die immer hohe Qualität seiner Platten. Vielleicht kann ich in zwanzig Jahren ungefähr auf die Hälfte seines Outputs kommen, wenn meine Karriere so gut weitergeht. Nichtsdestotrotz bin ich sehr stolz darauf, überhaupt in der Lage zu sein, meine Musik in diesem Rahmen zu veröffentlichen.«

»Musik ist aber mehr Sucht als Profession, also ist die Sache mit dem Burnout obsolet. Ich falle wohl eher tot um, als dass ich aufhöre mit der Musik!«

Daedelus
Alfred Weisberg-Roberts braucht Musik
Einem Künstler wie Daedelus, der eine immerwährende Recyclingmaschine von Sample-Schnipseln aller Zeiten ist, stellt sich natürlich die Frage, inwieweit er sich denn als Innovator oder Verwerter sieht. »Ich sehe mich ganz klar als eine Art Komponist. Was glaubst du, weshalb ich denn sonst immer so alberne Klamotten anhabe? Es gibt immer eine Kohärenz, was die Samples auf meinen Platten angeht. Sie erzählen eine Geschichte, die tiefergeht und die für die Leute bestimmt ist, die sich damit intensiver beschäftigen.« Doch wie steht es mit den Grenzen dieser Art von Kunst? Jemand, der schon soviel Material verschreddert hat, erreicht doch irgendwann ein Limit seiner selbst. »Musik hat schon immer bewiesen, dass sie grenzenlos ist, trotz allem was in den letzten Jahren passiert ist«, antwortet der in Los Angeles beheimatete Musiker. »Allerdings muss man unterscheiden zwischen Mash-Up-Kultur und Sample-basierten Produktionen. Ersteres halte ich für begrenzt, weil sie bekannt Lieder aufgreift und ihre Essenz leicht verändert. Dagegen nimmt Sample-basierte Musik eine unbekannte Quelle und kreiert aus ihrem Ursprung etwas völlig neues. Außerdem bewegt sich die Mash-Up-Kultur in einem sehr begrenzten Zeitraum, ungefähr von den 1970er Jahren bis zur Jahrtausendwende, während man beim Samplen Musik von 1880 bis 2045 verwenden kann.« Und wie siehts aus mit Burnout bei soviel Output? »Ich habe sehr viel Ablenkung. Musik ist aber mehr Sucht als Profession, also ist die Sache mit dem Burnout obsolet. Ich falle wohl eher tot um, als dass ich aufhöre mit der Musik!« So wird das Duell mit Madlib weitergehen und Daedelus auch in ferner Zukunft noch Altes zu erstaunlichem Neuem verarbeiten. Wahrscheinlich wird Alfred Weisberg-Roberts auch weiterhin komische Anzüge tragen. Und vielleicht, aber nur vielleicht, kann ich ihm beim nächsten Interview dann die Hand schütteln.